Die Politik hat zugeschlagen. Mitten in der Corona-Krise hat die Bundesregierung festgestellt, daß zwei Vorhaben, die – nicht zum ersten Mal – in der Koalitionsvereinbarung standen, noch nicht abgearbeitet waren: die Reform des Stiftungsrechts und die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Für beides gab es von Experten – auch von uns – und Verbänden seit vielen Jahren Vorschläge, Ideen, Grundlagenarbeit. Nichts davon fand in den Ministerien Beachtung. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe von Beamten der Stiftungsaufsichtsbehörden erarbeitete eine „Reform des Stiftungsrechts“, genauer des im BGB festgelegten Rechtsrahmens für einen Teilbereich davon, die Stiftungen des bürgerlichen Rechts; Reformansätze zum Gemeinnützigkeitsrecht verschwanden im Jahressteuergesetz 2020. Im September und Oktober legten die zuständigen Ministerien Entwürfe vor: Die Fachwelt war entsetzt. Es ist kaum zu glauben, wie wenig nach über 20 Jahren Debatte erreicht worden ist, wie rückwärtsgewandt unsere Staatsverwaltung denkt und handelt. Wieder einmal waren wir mit Stellungnahmen und Kommentaren beschäftigt.
Wieder haben wir uns mit vielen anderen bemüht, Öffentlichkeit herzustellen und deutlich zu machen, daß es so nicht geht – wir, das heißt Experten aus der Wissenschaft und einigen der betroffenen Verbände. Weder Politik noch Medien zeigten an diesem Diskurs das mindeste Interesse. Daß die Stiftungen bürgerlichen Rechts unverändert als Mündel des Staates behandelt werden sollen, daß es steuerbegünstigten (gemeinnützigen) Organisationen weiterhin verwehrt sein soll, aktive Teile der deliberativen Demokratie zu sein, daß sich Parteien an Privilegien klammern, die sie sich nur durch eigene fehlerhafte Interpretation des Grundgesetzes verschafft haben, daß wieder mal Bonbons wie die Erhöhung der Übungsleiterpauschale unter’s Volk geschmissen werden, obwohl sie niemand haben will, während partizipative Demokratie in der Erarbeitung gesetzlicher Rahmenbedingungen für die Staatsverwaltung nach wie vor ein Fremdwort ist, all das scheint nur „im engsten Familienkreis“ die Gemüter zu erregen. Was, so müssen wir uns fragen, haben wir da falsch gemacht?
Im September, als unser letzter Newsletter erschien, hatten wir an anderer Stelle Hoffnung. Die Infektionszahlen waren gefallen, und man fing an zu glauben, die befürchtete zweite Welle der Covid-19-Infektionen könnte ausbleiben. Ich konnte mein Blockseminar im Weiterbildungsstudiengang in Münster vor Ort durchführen und in Siegburg meinen Akademie-Unterricht halten. Wir begannen in der Stiftung, darüber nachzudenken, wann wir wieder ein Colloquium machen können. Es hat nicht sollen sein!
Inzwischen bereiten wir uns auf einen langen Shutdown- oder Lockdown-Winter vor.
Das hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Arbeit. Die Mitglieder des Maecenata-Teams verbringen maximal 25% ihrer Arbeitszeit an ihrem Arbeitsplatz. Es gibt schon seit Monaten keine Präsenzveranstaltungen; die Sitzungen des Forschungscollegiums, Lehre an Hochschulen und Intensivseminare finden online statt, andere Zusammenkünfte sowieso. Dienstreisen sind uns allen untersagt.
Wir sehen das als Herausforderung und Chance – nicht zuletzt in dem Bewußtsein, daß wir gegenüber vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern außerordentlich privilegiert sind. Wir können zu Hause arbeiten; viele können das nicht. Wir haben Zoom und andere Möglichkeiten zur Verfügung, um mit unseren Partnern und Netzwerken weltweit im Kontakt zu bleiben; viele haben das nicht. Wir haben mehr als genug zu tun; anderen geht die Arbeit aus. Unsere Stiftung ist (noch?) in einer wirtschaftlich stabilen Situation; das ist in der Zivilgesellschaft, zu der wir gehören, heute weniger selbstverständlich denn je. Schließlich: wir können unsere Mission als Denkwerkstatt durch Publikationen und im Online-Kontakt erfüllen und haben dies in den letzten Monaten mehr getan als je zuvor:
Über zahlreiche andere Aktivitäten gibt der nachfolgende Newsletter Auskunft. Besonders hervorzuheben ist, daß wir bislang in unserem Transnational Giving Programm keinen Rückgang der Spendenbereitschaft zu verzeichnen haben. Die Aufrufe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderer einschlägiger Organisationen sind beispielsweise auch in Deutschland auf beträchtliche Resonanz gestoßen. Das heißt allerdings nicht, daß dies so bleiben muß.
Zum Schluß: Was kommt jetzt auf die Zivilgesellschaft zu? An der Spitze der Herausforderungen sehe ich nicht die wirtschaftlichen Probleme, auch wenn diese gewiß einschneidend sein werden. Vielmehr wird, denke ich, der Zusammenbruch vieler freiwillige Gemeinschaften durch die leider notwendigen Shutdowns und Lockdowns den größten Einschnitt für viele zivilgesellschaftliche Akteure darstellen. Wenn sich die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr in ihren freiwilligen Gemeinschaften treffen, austauschen, unterhalten und nicht zuletzt auch gegenseitig helfen können, verelendet unsere Gesellschaft! Der Wiederaufbau dieser für unser Gemeinwesen unabdingbar notwendigen Kollektive kommt als wohl wichtigster Beitrag zum Wiederaufbau auf die Zivilgesellschaft zu. Wer glaubt, ein Gemeinwesen ließe sich weg- und wieder herverwalten, hat wirklich von sozialen Prozessen keine Ahnung.
Deswegen ist die Vernachlässigung und oft genug bewußte Geringschätzung der Zivilgesellschaft in der Krise nicht nur gedankenlos, sondern brandgefährlich. Wer da glaubt, sich bei der guten Gelegenheit die unbequemen Warner, Wächter und Mahner, aber eben auch Dienstleister, Gemeinschaftsbildner und politischen Mitgestalter durch finanzielle Austrocknung vom Hals schaffen zu können, der versündigt sich an unserer Gesellschaft und sägt überdies den Ast ab, auf dem er selber sitzt.
Mit Sorge und Ernst blicken wir daher in das kommende Jahr. Es wird nicht so aussehen, daß sich das Virus plötzlich mit oder ohne Impfung verflüchtigt, und alles wird wieder so wie früher. Nein, es wird anders sein. Wir werden Ansprüche an andere herunterschrauben, weniger Überfluß mit Gelassenheit ertragen und mehr denn je darüber nachdenken müssen, was wir einbringen können. Nicht die Hand aufhalten, sondern die Ärmel raufkrempeln, ist das Gebot der Stunde. Manches, das gar nicht so toll war, können wir getrost über Bord werfen, wenn wir daran gehen, eine neue, Post-Covid-19-Ordnung zu gestalten.
In diesem Sinn wünschen wir Ihnen und Euch trotz allem
ein frohes Weihnachtsfest und ein gesundes, friedvolles und aktives neues Jahr!