Bericht von der 15. Internationalen Konferenz von ISTR in Montreal, Kanada

21.07.2022 I Globale Zivilgesellschaft in turbulenten Zeiten – Der Blick der Forschung

Die 15. Internationale Konferenz von ISTR wurde am 12. Juli in Montreal, Kanada, eröffnet. ISTR ist die internationale akademische Vereinigung der Zivilgesellschaftsund Philanthropieforscherinnen und -forscher; sie wurde 1993 gegründet. Das Maecenata Institut ist seit seiner Gründung 1997 Mitglied der Vereinigung. Die diesjährige Konferenz findet nach mehrjähriger corona-bedingter Pause in Präsenz, zum Teil auch hybrid statt. Viele Hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jeden Alters und aus allen Kontinenten nehmen daran teil und freuen sich, einander wiederzusehen und neueste Entwicklungen in Forschung, Praxis und Umfeld zu diskutieren. Auch Praktikern steht die Teilnahme offen. Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wurden wie stets ausdrücklich zur Teilnahme ermuntert.

Die diesjährige Konferenz steht unter der Überschrift ‚Navigieren in turbulenten Zeiten – Perspektiven und Beiträge der Zivilgesellschaft‘. Die einleitende Sektion mit 10 Parallelveranstaltungen war der Einführung in die Thematik gewidmet. Dazu gehörte auch – im Programm an erster Stelle genannt – ein Roundtable des Maecenata Instituts, von Siri Hummel moderiert und mit Claire Breschard (Lyon), Anna Domaradzka (Warschau), Ruth Simsa (Wien) und Rupert Graf Strachwitz (Berlin) auf dem Podium. Es ging wesentlich um ein Update zum Fortgang des Projekts zum Shrinking Civic Space, das zur Zeit am Maecenata Institut durchgeführt wird. Alle Genannten sind in dieses Projekt eingebunden. Die Diskussion widmete sich zwei Fragestellungen:

1. Was sind die wesentlichen aktuellen Herausforderungen für den bürgerschaftlichen Raum und die Zivilgesellschaft?
2. Welchen Einfluß haben Corona und der Krieg in der Ukraine auf die Entwicklung des bürgerschaftlichen Raums?

In der eineinhalbstündigen Debatte wurden viele interessante Punkte aufgegriffen, aber nicht alle konnten ausdiskutiert werden. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den dargestellten Ländern wurden deutlich, vor allem aber europäische Trends. Von nationalen Zivilgesellschaften zu sprechen, erscheint insofern überholt und realitätsfremd. Unterschiede zwischen einer analytischen Betrachtung und der Selbsteinschätzung vieler zivilgesellschaftlicher Akteure wurden ebenso herausgearbeitet. Das Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Staat wird überall als nicht unproblematisch gesehen, mit Unterschieden auf der politischen Ebene etwa zwischen Polen und den anderen beleuchteten Ländern. Ein Teilnehmer aus Italien überraschte mit der Mitteilung, in die italienische Verfassung sei vor kurzem ein Zusatz aufgenommen worden, nach dem die Bürgerinnen und Bürger einzeln oder kollektiv das Recht haben, sich im Sinne einer deliberativen Demokratie in politische Debatten einzubringen – ein starker Kontrast zu anderen Erfahrungen. Aber auch hier wie in den meisten europäischen Ländern ist die Akzeptanz der Zivilgesellschaft als Partnerin im Meistern der aktuellen Herausforderungen als defizitär gesehen. Einig waren sich Panel und Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Bewertung der Bedeutung der Zivilgesellschaft nicht nur für den bürgerschaftlichen Raum, sondern für die Entwicklung und Bewahrung der Demokratie insgesamt.

Insgesamt war es ein guter Auftakt mit zahlreichen Anregungen für die Arbeit am Projekt. Bis Freitag wird es eine Fülle von weiteren Parallelveranstaltungen geben, sowohl als klassische Sektionen, in denen längere Texte vorgetragen werden als auch als Roundtables mit mehr Raum für Debatten. Hinzu kommen wenige Plenarsitzungen und einige Sonderveranstaltungen, etwa für neue Mitglieder, Doktoranden oder für Autoren, die kürzlich erschienene Bücher vorstellen können. Jeder vorgeschlagene Text und jeder Roundtable wurde übrigens im Vorfeld einer peer review, d.h. einer Begutachtung durch Kollegen unterzogen. Einen besonderen Akzent erhält die diesjährige Konferenz schließlich durch die Würdigung der Arbeit des im vergangenen Jahr verstorbenen amerikanischen Forschers Lester Salamon, dessen Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project in den 1990er Jahren am Beginn der internationalen Zusammenarbeit in der Zivilgesellschaftsforschung und von ISTR stand. Helmut Anheier, ehem. Präsident der Hertie School of Governance, wird in einer Plenarsitzung an dieses Projekt erinnern.

Rupert Graf Strachwitz

Montreal, 12. Juli 2022

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Rupert Strachwitz

Dr. phil. Rupert Graf Strachwitz

Vorstand der Maecenata Stiftung
rs@maecenata.eu

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