Neue Fragen zum bürgerschaftlichen Raum: 3 Beiträge

Opusculum 185 | 30.01.2024 | Rupert Graf Strachwitz widmet sich in drei Beiträgen zentralen Fragestellungen zum bürgerschaftlichen Raum

Inhalt

  • Philanthropie – Engagement – Demokratie: Wie paßt das zusammen?
  • The Illiberal Turn – What Role and Challenges for the Civic Space?
  • Kirchliche Dienste, Werke und Einrichtungen im zivilgesellschaftlichen Kontext

Vorwort

Im Zusammenhang mit der Resilienz unserer auf Menschen- und Bürgerrechten, der Herrschaft des Rechts, der Demokratie und den kulturellen Traditionen gegründeten Ordnung wird der Beitrag der Bürgerinnen und Bürger seit neuestem viel diskutiert. Zur Abwehr populistischer, autoritärer, rechtsradikaler und anderer diese Ordnung gefährdender Tendenzen werden sie aufgerufen, für die Demokratie zu kämpfen. Aber so einfach ist das nicht! Nicht nur haben sie vor Generationen einen Verfassungsstaat geschaffen und diesen beauftragt, in hohem Maße Aufgaben dieser Art wahrzunehmen. Betrachtet man die Steuern und Abgaben aus ihrer Perspektive, lassen sie sich dies außerordentlich viel kosten. So gesehen, steht es nicht im Belieben der politischen Führung, wann sie die Bürgerinnen und Bürger zur Mithilfe auffordert und wann sie diese Mithilfe zurückweist, zumal sie in den letzten Jahrzehnten mehr als je zuvor versucht hat, Kompetenzen und Handlungsräume an sich zu ziehen. Dieselben Bürgerinnen und Bürger, die hier aktiv werden sollen, erfahren täglich, wie sie von der politischen Führung mißachtet und geringgeschätzt und mit platten Sonntagsreden abgespeist oder von der staatlichen Verwaltung mit vielfältigen Bürokratiemonstern schikaniert werden. Der Kern des bürgerschaftlichen Raums, die Zivilgesellschaft, leidet unter der Überregulierung und vor allem unter der Verweigerung, als Partnerin im öffentlichen Raum anerkannt und respektiert zu werden.

Oft wird deshalb vom Shrinking Civic Space, vom schrumpfenden bürgerschaftlichen Raum gesprochen, manchmal auch vom Contested, Narrowed oder Closed Civic Space, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit autoritär regierten Ländern, sondern auch in Bezug auf unser Gemeinwesen und die in anderen „westlichen“ Ländern. Andererseits wird immer deutlicher, daß unsere Ordnung ohne einen Open Civic Space, einen offenen, unabhängigen und aktiven bürgerschaftlichen Raum nicht bestehen kann. Es gilt:

Ohne bürgerschaftliches Engagement keine Zivilgesellschaft,
ohne Zivilgesellschaft keine Demokratie!

Die Voraussetzungen dafür sind gegeben. Die Zivilgesellschaft ist in den letzten 30 Jahren nicht nur gewachsen, sondern hat sich auch stärker zusammengefunden. Mehr als früher sehen sich Wohlfahrtsverbände und Protestgruppen, Stiftungen und Sportvereine als Akteure in einer gemeinsamen Arena, nehmen ihre gemeinsame Verantwortung dort wahr und lassen sich auch nicht mehr auf Dienstleistungen oder auf die lokale Ebene reduzieren. Sie erheben, oft in ganz neuen Koalitionen von Gleichgesinnten, ihre Stimme, während die alte Verbändedemokratie in weiten Teilen ausgedient hat. Immer mehr Initiativen, Bewegungen, Organisationen und Institutionen, die analytisch der Zivilgesellschaft zuzuordnen sind, sehen sich, unabhängig von ihrem Herkommen, ihren Zielen, ihrer Zusammensetzung und ihren Ressourcen auch in ihrem eigenen Selbstverständnis als zivilgesellschaftliche Akteure und akzeptieren die Handlungsmodalitäten des bürgerschaftlichen Raums. Die seltenen Entgleisungen und Übertretungen sollten darüber nicht hinwegtäuschen. Regelverletzungen sind auch im Staat und in der Wirtschaft an der Tagesordnung! Zu denen, die in ihrem Denken und Handeln auf dem Weg in die Zivilgesellschaft sind, gehören nicht zuletzt die Religionsgemeinschaften und Gewerkschaften. Sie geben dem bürgerschaftlichen Raum und besonders der organisierten Zivilgesellschaft viel zusätzliches Gewicht und verdeutlichen die Heterogenität und Pluralität einer offenen Gesellschaft.

Schon seit vielen Jahren setzt sich die Maecenata Stiftung dafür ein, daß diese Zusammenhänge Eingang in das politische Denken finden. In vielen Forschungsprojekten, in der akademischen Lehre, in Veröffentlichungen und Vorträgen setzen sich meine Kolleginnen und Kollegen am Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft und ich – ebenso wie viele andere – mit zahlreichen Einzelaspekten dieser für die Entwicklung unserer Gesellschaft unerläßlichen Prozesse auseinander. Wir wollen damit einen Beitrag zu einer kritischen, evidenzgestützten und sachgerechten Debatte liefern. Die hier vorgelegte Publikation enthält dafür drei Beispiele aus den letzten 1 ½ Jahren. Sie behandeln in Anknüpfung an zur Zeit öffentlich geführte kontroverse Debatten das Verhältnis zwischen Philanthropie, Engagement und Demokratie, die besonderen Herausforderungen im Zusammenhang der aktuellen Auseinandersetzung zwischen liberalen und illiberalen Gesellschaften und das besondere Potenzial religiös fundierter zivilgesellschaftlicher Akteure. Eine Fülle weiterer Beispiele findet sich in weiteren Veröffentlichungen. Wir wollen damit zum Nachdenken anregen und die dringend notwendige Debatte bereichern.

Berlin, im Januar 2024
Rupert Graf Strachwitz

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Rupert Strachwitz

Dr. phil. Rupert Graf Strachwitz

Vorstand der Maecenata Stiftung
rs@maecenata.eu

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