Ein Jahr nach Corona. Wie finden wir einen Weg aus der Krise?

Ein Jahr nach Corona
Wie finden wir einen Weg aus der Krise?

Observatorium 49 | 18.03.2021 | Zum 1-jährigen “Jubiläum” der Corona-Beschränkungen evaluiert Rupert Graf Strachwitz, Vorstand der Maecenata Stiftung, die Arbeit der Bundesregierung und plädiert für eine bessere Einbindung der Zivilgesellschaft. Nicht allein für eine effektivere Anti-Corona-Strategie, sondern auch damit die Kluft zwischen Politik und Bürgerinnen und Bürger nicht noch größer wird.

Wie geht es uns?
Am 18. März 2020 trat für die Maecenata Stiftung wie in jenen Tagen für viele andere Organisationen der Zivilgesellschaft eine Regelung in Kraft, die die Arbeit weitgehend ins Home Office verlagerte und Veranstaltungen im Haus und Dienstreisen untersagte. Seit einem Jahr lebt nun also die Denkwerkstatt Maecenata im Ausnahmezustand. Wichtige Formate unserer Arbeit, häufige Begegnungen untereinander, die Begrüßung von Gästen zu Colloquien und Besprechungen, Reisen zu Konferenzen, zur Lehre, zu Vorträgen und, um Projekte vor Ort in Augenschein zu nehmen, sind mit ganz geringen Ausnahmen zum Erliegen gekommen.

Die zahlreichen Calls im Zoom und ähnlichen Formaten haben manches auffangen und uns lehren können, daß man nicht für jedes Gespräch durch halb Europa reisen muß. Ein wöchentliches Zoom-Meeting mit den Führungskräften, bei uns „Kleines Consilium“ genannt, vor einem Jahr neu eingeführt, hat inzwischen über 50-mal stattgefunden und sich als fester Bestandteil unserer internen Kommunikation bewährt. 26 eigene Fachpublikationen, dazu 20 ‚Stimmen aus der Zivilgesellschaft‘, Newsletter, Jahresbericht und zahlreiche Beiträge von Maecenata-Autoren in fremden Veröffentlichungen wurden vorgelegt, darunter nicht wenige mit konkretem Corona-Bezug; die Stiftung richtete ein besonderes Augenmerk auf die aktuelle Situation und beteiligte sich zudem intensiv an öffentlichen Debatten zu relevanten Themen. Wir, ihre Mitarbeitenden, konnten also weiterarbeiten und waren und sind gegenüber vielen anderen Akteuren der Zivilgesellschaft, aber auch der Wirtschaft privilegiert. Nimmt man hinzu, daß unser Team kaum von Covid-19-Erkrankungen betroffen war, daß wir nicht unter Einnahmeverlusten zu leiden hatten und weitgehend das machen konnten, was wir uns in Erfüllung unseres Satzungsauftrags vorgenommen hatten, haben wir eigentlich keinen Grund zu jammern. Aber: Wie viele andere sehe ich mit großer Sorge, was um uns herum geschieht.

Wie geht es der Gesellschaft?
Am 1. April 2020 habe ich einen Beitrag mit dem Titel veröffentlicht: ‚Die Corona-Krise: Was bleibt? Was muß sich ändern?[1] Dort heißt es unter anderem: „Als die Pandemie, die große Krise ausbrach, reagierte man zunächst kopflos, ratlos, planlos“. … Man setzte auf das, „was die staatliche Verwaltung am liebsten macht: regeln, prüfen, kontrollieren, absperren, strafen. Hinzu tritt die Politik mit ihren Lieblingsaktionen: sich öffentlich darstellen und Geld ausgeben.“ Nach einem Jahr muß ich feststellen: Daran hat sich – und das erfüllt mich nicht mit Befriedigung – nichts geändert. Natürlich war der erste Lockdown erst einmal die einzig mögliche Lösung. Und ja, Menschen, die sich partout nicht daran halten wollten, mußten mit den Mitteln der hoheitlichen Gewalt dazu gebracht werden. Es war überaus bedrückend mitzuerleben, daß im Sommer 2020 Menschen für von mir hochgehaltene Anliegen wie Versammlungsfreiheit auf die Straße gingen, mit denen ich aber nicht das Geringste zu tun haben wollte. 

Allerdings gehörte ich auch zu denen, die nicht nur durchaus argwöhnisch beobachteten, ob nicht die Pandemie einen guten Vorwand für eine dauerhafte Beschränkung von Grundrechten und öffentlichem Raum bilden würde, sondern auch für die permanente Vermischung von Krisenmanagement und Wahlkampf ebenso wenig Verständnis aufbringen konnten, wie für die völlige Unterwerfung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens unter die PR-Ziele der Regierung. „Ich habe mich immer gefragt, wie der Übergang der Bundesrepublik Deutschland in einen wie auch immer gearteten postdemokratischen Zustand aussehen würde“, kommentierte die Publizistin Susanne Gaschke. „Nach einem Jahr fortdauernder Grundrechtseinschränkungen – betroffen sind unter anderem die Freiheit der Berufsausübung, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Versammlungsfreiheit, der Schulbesuch und persönliche Kontakte in der Familie – kann man wohl sagen: Jetzt wissen wir es.“ Angebrochen ist, so möchte man meinen, die unbeschränkte Herrschaft der Staatsverwaltung mit ihren fast 5 Millionen Mitarbeitenden (+ 10% seit 2009). Sie treibt die gewählten Mandatsträger vor sich her.

Die immer langweiligen und oft unverständlichen Verlautbarungen des Robert-Koch-Instituts (RKI), einer staatlichen Behörde mit 1.200 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von 133 Millionen Euro, das selbstverständliche Tolerieren und In-Schutz-Nehmen von offenkundig leistungsschwachen anderen Behörden („An den Wochenenden übermitteln manche Gesundheitsämter keine Zahlen!“) und der völlige Mangel an Kreativität in der Erarbeitung von Lösungen wurde von Woche zu Woche unerträglicher. Warum blieben in Südkorea und Taiwan die Infektionszahlen extrem niedrig? Warum sind (Stand 8. März) in Israel 100% der Bürgerinnen und Bürger mindestens einmal geimpft, in Deutschland (wo regierungsamtlich „gut demokratisch“ lieber von der ‚Populationsdichte‘ gesprochen wird) nur 9%?

Warum waren auch in Deutschland Bürgermeister (wie in Rostock) und zivilgesellschaftliche Organisationen (wie in Tübingen) mit eigenen Pandemie-Bekämpfungskonzepten erfolgreich? Dazu von den Regierungen, dem RKI, im Fernsehen fast kein Wort, schon gar keine Anerkennung! Kein Wort oder allenfalls eine lapidare Verdammung („Verschwörungstheorie!“) auch für jeden alternativen wissenschaftlichen Ansatz! Dafür immer wieder nur – und allzu oft in quälenden Sondersendungen – dasselbe dumpfe Zahlenspiel, dieselbe eitle Selbstdarstellung, dazu zu jedem neuen – stets hinter verschlossenen Türen zustande gekommenen – Beschluß schier endlos lange Verordnungen, jedes Mal ein neues Bürokratiemonster! „Es ist die Lust an der Bürokratie. Vor der Pandemie war sie vor allem im Ausland ein Anlass für Witze, Ratgebertexte und Youtube Videos. Jetzt, in der Krise, zeigt sich ihr zerstörerischer Charakter“, so ein Kommentar in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Dazu ausgiebiges Behörden-Pingpong: EU-Kommission – Bund – Land usw. Für einen ernsthaften Diskurs über den richtigen Weg aus der Krise bleibt da natürlich keine Kraft und Zeit! Darum hat die Bundeskanzlerin jede Kritik als „Meckern“ abgekanzelt.

Selbst bei den Teilöffnungen dieses Monats März wird nicht etwa gelobt oder gar näher untersucht, warum die berühmte Inzidenz in Rostock bei 20 liegt, sondern nur wieder vor den Gefahren gewarnt, die entstehen, wenn Menschen von außerhalb nach Rostock zum Einkaufen fahren. Und ist je wirklich thematisiert worden, daß sich all diese Lockerungen und Doch-wieder-Shutdowns allein an der (vor der Pandemie sträflich vernachlässigten) Kapazität und Leistungskraft des staatlichen Gesundheitssystems orientieren? Die Mobilisierung zusätzlicher Kräfte, jede Anstrengung, Abhilfe zu schaffen, ja selbst jedes bürgerschaftliche Engagement stößt auf Bedenken und ungezählte bürokratische Hürden. Sieben Unterschriften muß jeder Arzt im Impfzentrum für jede Impfung leisten! Unzählige ausgefüllte Formulare werden im Zeitalter der Digitalisierung in Leitz-Ordnern abgelegt. Die rd. 80 allein beim RKI beschäftigten IT-Spezialisten haben dafür offenkundig keine brauchbare Software entwickeln können, ebenso wenig, wie in anderen Ländern zur Validierung der Zahlen alternative Umfragen und Tests durchzuführen. Dieses Amt war ja damit ausgelastet zu berechnen, daß 2020 durch Corona in Deutschland rd. 300.000 Lebensjahre verloren gegangen sind. Welchen Aussagewert hat diese Zahl?

Welche Legitimation als Guru der Nation hat schließlich der Chef dieser Behörde, der im März 2020 öffentlich gesagt hat: „Wir sind alle in einer Krise, deren Ausmaß ich mir nie hätte vorstellen können“? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat es sich 2012 (!) in einem Bericht an den Bundestag sehr wohl vorgestellt und hat dringend präventive und Vorsorgemaßnahmen eingefordert (und wurde, als sie dann da war, offenbar zum Schweigen verurteilt). Zivilgesellschaftliche Akteure wie Bill Gates, der mehrfach eindringlich öffentlich warnte, auch!  

Kein Wunder also, daß die NZZ, extremer Positionen oder Verschwörungstheorien unverdächtig, aber für ihr unabhängiges Urteil bekannt, im Februar 2021 von einem „Lehrstück über die Langsamkeit von Bürokraten, missglückte Kommunikation und eine ungute Nähe von Wissenschaft und Politik“ sprach.  Der monatelange Eiertanz um Masken ist dafür eines von vielen Beispielen, das Chaos um die Impfungen ein anderes. Daraus folgerte das Blatt (an anderer Stelle) zu Recht, der Umgang des deutschen Staates mit der Pandemie sei mittelalterlich.

Deutschlands politisches System sah und sieht sein Heil in der Krise in allererster Linie offenkundig darin, ebendieses System zu schützen und zu verteidigen. „Bund und Länder hingegen verharren in einem trübsinnigen Lock-down-Fundamentalismus. So nehmen sie in Kauf, dass die Entfremdung zwischen Gesellschaft und Staat zunimmt und die sozialen wie wirtschaftlichen Kollateralschäden ins Unermessliche wachsen.“ Sie halten sich strikt an die Direktive des preußischen Innenministers Gustav v. Rochow (1838): “Es ziemt dem Untertanen, seinem Könige und Landesherrn schuldigen Gehorsam zu leisten und sich bei Befolgung der an ihn ergehenden Befehle mit der Verantwortlichkeit zu beruhigen, welche die von Gott eingesetzte Obrigkeit dafür übernimmt; aber es ziemt ihm nicht, die Handlungen des Staatsoberhauptes an den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen und sich in dünkelhaftem Übermute ein öffentliches Urteil über die Rechtmäßigkeit derselben anzumaßen.”

Zwei gravierende Probleme tun sich auf. Zum einen kann eine Verwaltungsherrschaft allenfalls dann funktionieren, wenn sie auch leistet, was sie verspricht und die Bürgerinnen und Bürger von allen Sorgen um die Ordnung der Gesellschaft befreit. Diese Situation haben wir offenkundig nicht. Zum anderen bleibt es selbst dann demokratietheoretisch höchst zweifelhaft, ob Herrschaft ohne Partizipation im 21. Jahrhundert durchsetzbar oder gar wünschenswert ist. In der Krise wäre es vielmehr mehr denn je wichtig, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen und sie ernsthaft an der Entscheidungsfindung zu beteiligen, damit die Pandemiekrise sich nicht zu einer Demokratiekrise auswächst. Auch vor dieser haben Akteure der Zivilgesellschaft vielfach und eindringlich gewarnt.

Die Stimme der Zivilgesellschaft
Eine Splittergruppe, genannt ‚Querdenken 711‘, hat es geschafft, einen ehedem überaus positiv besetzten Begriff zu kapern und zu desavouieren. Sie hat, vielleicht sogar vorsätzlich, damit der Zivilgesellschaft einen Bärendienst erwiesen. Gegen den Strich bürsten zu können, ehedem ein Erkennungszeichen einer intakten Demokratie, gilt im Jahr 2021 als anrüchig, wer es tut, als Feind der Demokratie. Welch furchtbare Perversion! Querdenken 711 ist ebenso wie die Identitäre Bewegung und andere Zivilgesellschaft von der Art, mit der ich fundamental nicht übereinstimme; ich denke, der großen Mehrheit engagierter Bürgerinnen und Bürger geht es ebenso. Gerade deswegen will ich nicht mit Gruppen dieser Art in eine Ecke gestellt werden.

Spätestens seit etwas mehr als einer Generation ist eine sichtbare und sich deutlich artikulierende Zivilgesellschaft vielmehr weltweit ein Wesenselement positiv verlaufender politischer Prozesse. Seit Vaclav Havel und Nelson Mandela erscheint Politik ohne Zivilgesellschaft schlechthin undenkbar. Helden dieser Zivilgesellschaft gibt es viele – zur Zeit beispielsweise in Belarus, Hongkong und Myanmar, aber auch permanent in Rußland, der Türkei und überall in Europa. Auch in den USA gibt es ja nicht nur gewaltbereite Gruppen, die das Kapitol stürmen, sondern auch zahllose Verteidiger von Demokratie und Herrschaft des Rechts, von Black Lives Matter bis March for Our Lives. Wenn diese Proteste sich gegen autoritäre Regime richten, werden sie in Deutschland, wenn auch nicht gerade enthusiastisch, gutgeheißen – ja überhaupt medial zur Kenntnis genommen. Finden sie im eigenen Land statt, ist man empört. Sie sind von Mißachtung und Bedrängung bedroht – bis hin zu politischen Winkelzügen, die ihnen die Arbeit erschweren sollen. Eine absurde Situation: Demokratisch gewählten Mandatsträgern erscheint die Rettung eines maroden politischen Systems vordringlicher als die Weiterentwicklung der Demokratie mit Hilfe einer politisch aktiven Zivilgesellschaft. Autoritäre Gruppen, die einen gut beleumundeten Begriff kapern und für ihre Ziele verbiegen, kommen ihnen da gerade recht! „So entsteht“, schreibt der Schweizer Kaspar Villiger, „ein Teufelskreis: Der betreuende Staat nährt die Illusion der Bürger, der Staat sei dazu da, alle auftauchenden Probleme schmerzlos zu lösen. … Dadurch wird der Staat zum überforderten Staat, der die Erwartungen der Fordernden enttäuscht. Das wiederum mindert die Zustimmung zur Demokratie. Die ausbalancierenden kontrollierenden Gegenkräfte der Zivilgesellschaft funktionieren kaum mehr. … Der Staat driftet in Richtung des despotischen Leviathans.“

Dieser Befund wird in Bezug auf alle OECD- und EU-Staaten durch eine im Januar 2021 vorgelegte Studie gestützt, die u.a. nach der Beteiligung externer Fachleute an der Vorbereitung von politischen Entscheidungen fragte[2]. Deutschland liegt hier im Vergleich im Mittelfeld. Historisch betrachtet, siegt allerdings letztlich stets die Unordnung über die Ordnung. So gesehen, fällt unser Staat in die Falle, die ihm die Feinde der Demokratie gegraben haben und hilft mit, sich sein eigenes Grab zu schaufeln. Daran werden Wahlen herkömmlicher Art nichts ändern.

Dabei hat die Zivilgesellschaft mit ihren Hunderttausenden von höchst heterogenen Akteuren und Millionen von bürgerschaftlich Engagierten gerade in einer Krise wie der jetzigen so viel zu bieten. Es ist daher eigentlich nur mit politischer Borniertheit zu erklären, daß, wie Studien des Maecenata Instituts vom Oktober 2020 (Opusculum Nr. 144) und April 2021 (Opusculum Nr. 149 i.E.) zeigen, allenfalls Organisationen in Dienstleistungsfunktion (vornehmlich im Sozial-, Kultur- und Bildungsbereich) von den Rettungsschirmen mit profitieren konnten, die der Staat in der Pandemie-Krise so großzügig über der Wirtschaft aufgespannt hat. Wer sich zivilgesellschaftlich für Menschen- und Bürgerrechte engagieren wollte oder die freiwilligen Gemeinschaften als Basis einer freiheitlichen Gesellschaft retten wollte, mußte sehen, wo er oder sie bleibt. Und wer gar die Mitwirkung an der Gestaltung von Politik für sich in Anspruch nahm, sah sich kategorischer Nichtbeachtung und nicht selten Diffamierung ausgesetzt.

Folgerungen
Henry Kissinger, gewiß jeder Verschwörungstheorie unverdächtig, veröffentlichte am 3. April 2020 (!) in der Zeitung Wall Street Journal einen Artikel, dem er den Titel gab: „The coronavirus pandemic will forever alter the world order“. Auch der italienische Denker Giorgio Agamben hat schon zu Beginn der Krise erstaunlich präzise vorausgesagt, daß die zunächst ersehnte Rückkehr zur Normalität ausgeschlossen ist[3]. Hinter der Pandemie vollzieht sich, so Agamben ein sozialer und existenzieller Strukturwandel. Als Erklärungsmuster bietet er die altrömische Rechtsfigur des nackten Lebens an. Früher ein Erklärungsansatz für das Handeln autoritärer Regime, haben für ihn vorgeblich demokratische Staaten undemokratische Übergriffe mit der Erhaltung des biologischen Lebens begründet und diese Übergriffe zunehmend auf Dauer gestellt. Dafür als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt, verweist Agamben auf Michel Foucaults Geschichtstheorie, wonach gesellschaftliche Prozesse letztlich weder organisierbar noch steuerbar sind, während so tiefgreifende Veränderungen, wie wir sie zur Zeit erleben, notwendigerweise Veränderungen anstoßen und Spuren hinterlassen werden.

Es sind keine Anzeichen erkennbar, daß er nicht recht behalten wird. Nur wenige faseln noch von der Rückkehr zum früheren Normalzustand. Dennoch ist größte Aufmerksamkeit geboten! Die deutsche Politik ist erkennbar in diesem Jahr mit der Organisation von politischer Macht beschäftigt, dem Sieg bei Wahlen, dem Schmieden von Koalitionen. Es ist nicht zu erkennen, daß Nachdenken, schon gar darüber, wie eine demokratische, auf der Herrschaft des Rechts aufbauende, der Freiheit zur Individualität ebenso verpflichtete wie den globalen Herausforderungen global zu begegnen bereite Ordnung aussehen soll.

Darüber intensiv weiter nachzudenken und Zwischenergebnisse und Ergebnisse dieses Nachdenkens in den öffentlichen Diskurs zu bringen, ist jedoch Voraussetzung dafür, einen Weg aus der Krise zu finden. Die  Zivilgesellschaft kann, will und muß sich daran beteiligen; den echten Querdenkern muß sie Gehör verschaffen. Solange dies überhaupt vertretbar ist, muß sie die Regeln des Staates achten, die Bürgerinnen und Bürger haben diesen schließlich damit beauftragt, sie zu setzen und bezahlen ihn dafür. Ziviler Ungehorsam bleibt eine ultima ratio, die im Angesicht einer virulenten Ansteckungsgefahr besonders  gründlich überdacht werden muß.  Aber die Bedingungen für Wohlverhalten und Nachdenken muß sie einfordern: die Anerkennung ihrer Rolle als Themenanwältin, Wächterin, Gemeinschaftsbildnerin und politische Mitgestalterin. Nach einem Jahr Corona-Krise können wir doch erwarten, daß der Staat versteht, daß er es nicht allein schafft. Als die Flüchtlinge kamen, hieß die Devise „Wir schaffen das!“, und mit sehr viel bürgerschaftlichem Engagement und einer aktiven Zivilgesellschaft haben wir es auch geschafft. Können wir das nicht wieder versuchen?

[1] https://www.maecenata.eu/2020/04/04/01-04-2020-observatorium-40/
[2] Christof Schiller / Thorsten Hellmann: Ungleiche Ausgangsbedingungen für erfolgreiches COVID-19-Krisenmanagement. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Policy Brief 2021/01
[3] Giorgio Agamben: An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik. Dt. Wien 2021

Rupert Strachwitz

Dr. phil. Rupert Graf Strachwitz

Vorstand der Maecenata Stiftung
rs@maecenata.eu

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