In der Kakophonie der interessengeleiteten Forderungen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zur Corona Schadensbegrenzung finden gleichstellungsorientierte Stimmen mal wieder nur schwer Gehör. Während ein virtueller Wirtschaftsgipfel den nächsten jagt, die staatlichen Maßnahmenpakete zur Stützung derselben rasch umgesetzt wurden und die ersten Geschäfte wieder öffnen, herrscht noch immer planloses Schulterzucken über das ob, wann und wie von Betreuungs- und Bildungs-angeboten. Durch Corona hat der Staat diese gesellschaftlichen Dienstleistungen von einem Moment zum nächsten komplett privatisiert und auf jene abgewälzt, die ‚eh schon grad dabei waren‘. Was schon vorher empirisch gut belegt war, verschärft sich in der Krise frappant: Die Sorge-Arbeit liegt wieder einmal in erster Linie bei Frauen, mit dem Unterschied, dass es nun zusätzlich zur Heimarbeit auch noch Heimarbeit 2.0 gibt.
Hatten Frauen auch vor der Corona-Krise bereits doppelt so viel Sorgearbeit geleistet wie Männer – im Schnitt vier Stunden und 13 Minuten täglich – zeigt eine aktuelle Studie der arbeitnehmernahen Hans Böckler Stiftung, dass die Corona-Pandemie gerade einen Retraditionalierungstrend auslöst: Spürbar mehr Frauen (24 Prozent) als Männer (16 Prozent) haben ihre Arbeitszeit reduziert. Damit steigt die Lohn- und Rentenanspruchslücke mal wieder. Frauen sind deutlich häufiger freigestellt und befinden sich zudem häufiger im krisenbedingten Urlaub. Leben Kinder im Haushalt, übernehmen Frauen den größten Teil der nach Kita- oder Schulschließungen anfallenden Betreuungsarbeit. Laut der Studie setzen sich dabei in vielen Familien schon vorher bestehende Muster der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung nun zugespitzt fort. Und auch von den Elternpaaren, die sich die Erziehungsarbeit zuvor ungefähr gleich aufgeteilt haben, tun das nur noch rund 62 Prozent auch während der Krise. Zwischen Home-Office, Kinderbetreuung, häusliche Altenpflege und Haushalt bahnen sich psychische und gleichstellungstechnische Katastrophen an, die sozial verheerend sind und die die erstrittenen Freiräume und den Kampf um mehr Geschlechtergerechtigkeit um Jahrzehnte zurückwerfen können, wenn wir nichts tun.
Dieses Tun und die unterstützende Stimme dahinter, sollte, ja muss, aus der Zivilgesellschaft kommen. Denn die Zivilgesellschaft hat aus zweierlei Gründen eine besondere Sorgfaltspflicht zur Umsetzung einer gleichstellungsgerechter Lebenswelt: Die organisierte Zivilgesellschaft besteht zu einen in ihrer Arbeitnehmerstruktur überproportional aus Arbeitnehmerinnen, d.h. dreiviertel der Menschen, die in diesem Sektor arbeiten, sind weiblich. Gleichwohl ist die Arbeitgeberseite, die Führungsposition nach wie vor männlich dominiert. Der vor kurzem veröffentlichte Fair Share Monitor zeigt, dass nach wie vor 70% aller Führungspositionen in zivilgesellschaftlichen Organisationen (ZGO) von Männer besetzt sind und ein Mann sechs Mal so gute Chancen hat, eine Führungsposition zu erlangen als eine Frau. Mit dieser Unwucht geht eine besondere Verantwortung einher, da wir schlichtweg nicht davon ausgehen sollten, dass Vollzeitarbeitende ‚CIS-Chefs‘, die Bedarfe und Perspektiven von zumeist in Teilzeit arbeitenden Frauen antizipieren werden. Ein Problem ganz besonders in dem Moment, in dem Betriebsstrukturen radikal umgebaut, digitalisiert und neujustiert werden müssen. Ein anschauliches Beispiel dieser blinder-Fleck-Analytik dürfte diese Tage Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina dargestellt haben, deren Kommission aus 26 (!) Männern und zwei Frauen zwischen 51 und 78 Jahren sich zu Recht vorwerfen lassen mussten, in ihrer Stellungnahme zur Corona-Maßnahmen wesentliche, substantielle Positionen, u.a. von Frauen, vergessen zu haben.
Zum anderen ergibt sich die besondere Sorgfaltspflicht der ZGOs aus ihrer Gemeinwohlorientierung.
Wir sehen momentan wie stark das Gemeinwohl auf den Schultern von Frauen liegt – und schon immer lag -; sei es als Ärztin, Verkäuferin oder Pflegerin in ihren Berufen oder als jene ‚Leiterinnen des kleinen erfolgreichen Familienunternehmens‘ der Vorwerk Werbung, die darauf achtet, dass das soziale Auseinander eingehalten, die Hände desinfiziert und niemand im Dichtestress der eigenen vier Wänden verrücktspielt. Sollte das die alleinige Aufgabe von Frauen sein? Sicherlich nicht – und dennoch ist Fakt: Frauen übernehmen mit der Sorge-Arbeit auch den Großteil des sogenannten mental loads, also jene Mehrbelastungen, die über die Summe der praktischen Aufgaben hinaus auch die Last der alltäglichen Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie, die Beziehungspflege sowie das Auffangen persönlicher Bedürfnisse und Befindlichkeiten umfasst. Eine Last, die in der momentanen, auch emotionalen, Ausnahmesituation, in der wir alle stecken, noch viel mehr an Gewicht gewinnt. Ihnen diese Fürsorge und Systemrelevanz mit Ignoranz und absehbar wieder geringeren Rentenansprüchen zu vergelten, wäre – mit Verlaub – unglaublich ungerecht und asozial!
Solidarität wird in diesen Zeiten großgeschrieben; und solidarisch handeln heißt in dieser Bedeutung nichts anderes als gemeinwohlorientiert handeln. Die Zivilgesellschaft und ihre Organisation sollten in der Achtsamkeit und Sorge füreinander eine Vorreiterrolle einnehmen und sich ihrer inhärenten Handlungslogik des gemeinnützigen Imperativs noch bewusster werden. Konkret heißt das: Die Arbeitsbedingungen sollten so flexibel wie möglich gestalten, der Druck nicht auch noch erhöht werden, sei es mit Abgaben, mit abschlägigen Vertragsverlängerungen oder in der unsicheren Förderung von Projekten. Flexibel heißt hier gerade nicht im Sinne einer neoliberalen Allzugriffigkeit und Optimierung der Arbeitnehmerin, sondern im Sinne der Sorgfalt füreinander, die sich der aktuellen Mehrfachbelastung der Mitarbeitenden bewusst ist. Viele ZGO tun das bereits in bemerkenswerter Weise. Es sollte aber unser Anspruch sein, die Vorreiterrolle wirklich einzunehmen und neue Parameter zu setzen.
Die Corona Krise katapultiert uns in die digitalisierte Arbeitswelt, da sind sich die meisten Experten sicher. Dass dies arbeitnehmerverträglich und geschlechtergerecht geschieht, kann nicht nur Aufgabe von Gewerkschaften sein, sondern muss von der Zivilgesellschaft und ihrer eigenen ‚Betriebslogik‘ gefördert und umgesetzt werden. Beispielweise mit einem Anrecht auf Home-Office, ebenso wie einem Anrecht auf einen Arbeitsplatz im Büro – flexibel und nach Bedarf eben.
Es wäre die besondere Aufgabe von zivilgesellschaftlichen Organisationen ihre Gemeinwohlorientierung, zu der sie sich verpflichtet haben, genau hier neu zu interpretieren.