1.1 Aktuelle Herausforderungen in der Humanitären Hilfe
Die Humanitäre Hilfe steht weltweit vor großen Herausforderungen: Immer mehr Menschen sind auf sie angewiesen, allen voran Menschen auf der Flucht und in Kriegsgebieten. Die finanziellen Mittel sind zwar stark gewachsen, halten aber mit dem Bedarf nicht Schritt. Zudem erreicht die Hilfe viele Menschen in Kriegs- und Konfliktgebieten nicht. Gleichzeitig greifen die Konfliktparteien in vielen Krisengebieten zunehmend humanitäre Helferinnen und Helfer sowie zivile und humanitäre Einrichtungen wie z.B. Krankenhäuser an.1 Das traditionelle, westlich dominierte internationale System der Humanitären Hilfe hat Akteure aus anderen Teilen der Welt bisher nur schlecht integriert. Zudem besteht Konsens, dass Humanitäre Hilfe zwar Leid lindern, aber nicht dessen Ursachen überwinden kann.
Vor diesem Hintergrund hat im Mai 2016 der erste humanitäre Weltgipfel (WHS) stattgefunden – allerdings ohne durchgreifende Erfolge. Zu den vielversprechenden Initiativen gehörten u.a. neue Netzwerke von NRO aus dem globalen Süden (NEAR), von regionalen Organisationen (ROHAN) und von Firmen (CBI) sowie Selbstverpflichtungen internationaler NRO (Charter4Change)2 und islamische Finanzierungsinstrumente.
Im Rahmen des dreijährigen WHS-Prozesses befassten sich viele Akteure, darunter auch Hilfsempfänger, zum ersten Mal mit der globalen Gestaltung der Humanitären Hilfe und erarbeiteten Selbstverpflichtungen. Die Vereinbarung eines „Grand Bargain“ zwischen den wichtigsten Gebern und Hilfsorganisationen soll die Humanitäre Hilfe effizienter und transparenter machen und auf einem direkteren Weg zu den Hilfsbedürftigen führen. Für die Stärkung lokaler Akteure könnte der WHS einen Wendepunkt markieren.
Der dramatischen Missachtung des humanitären Völkerrechts mit Angriffen auf Hilfseinrichtungen und mit Blockaden der Hilfe etwa in Syrien oder im Jemen hatte der WHS allerdings kaum etwas entgegenzusetzen. Auch für die Menschen auf der lebensgefährlichen Flucht durch die Sahara und über das Mittelmeer oder in den Flüchtlingslagern weltweit öffnete der WHS kaum Perspektiven. Vor diesem Hintergrund hatte sich Ärzte ohne Grenzen entschieden, nicht an dem Gipfel teilzunehmen. Einige der Staaten, die Humanitäre Hilfe finanzieren, sind für die Entstehung großer humanitärer Not mitverantwortlich – auch deshalb waren vermutlich einflussreiche Staaten wie die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (VN) nicht hochrangig auf dem Gipfel vertreten.
1 Ein Faktor für die zunehmende Anzahl der Angriffe ist vermutlich auch im wachsenden Volumen der Hilfe begründet. Die Angriffe konzentrieren sich vor allem auf fünf Länder: Afghanistan, Syrien, Pakistan, Somalia, Südsudan. Siehe www.aidworkersecurity.org (alle Links zuletzt aufgerufen am 20.09.2016).
2 Siehe https://charter4change.org.