Observatorium 7 | 15.01.2016 | In Zusammenhang mit den angedeuteten Änderungen des Stiftungsrechts fasst Rupert Graf Strachwitz zusammen, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen eine bestmögliche Entfaltung der Zivilgesellschaft in einer modernen, offenen Gesellschaft sicherstellen können.
Auf Anregung des Hamburger Senats und infolge von Beschlüssen der Innenministerkonferenz vom 13. und der Justizministerkonferenz vom 26. Juni 2014 befaßt sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Zeit mit möglichen Änderungen des BGB im Hinblick auf das Stiftungsrecht (§ 80-89). Auf den Hamburger Tagen des Stiftungs und Nonprofitrechts an der Bucerius Law School wurde am 30. Oktober 2015 darüber berichtet und diskutiert. Zur Diskussion stand u.a. die von Hamburg ins Gespräch gebrachte und auch vom Bundesverband Deutscher Stiftungen befürwortete, von anderen Ländern und unabhängigen Fachleuten aber sehr skeptisch beurteilte Änderung, die Stiftern die Möglichkeit einräumen soll, noch nach Errichtung der Stiftung deren Satzung in allen Punkten zu ändern.
Es erscheint wichtig, diese und andere geplante Änderungen in einen größeren Zusammenhang zu stellen, dies um so mehr, als der Reformprozeß (der 2. in 15 Jahren nach über 100 Jahren ohne substantielle Gesetzesnovellierung) droht, kurzatmig zwei aktuelle Erscheinungen allzusehr in den Mittelpunkt zu stellen:
Es sollte bei einer Reform des Stiftungsrechts, die diesen Namen verdient, nicht darum gehen, historisch gewachsene Grundsätze „aus gegebenem Anlaß“ immer weiter zu durchlöchern, sondern eher darum, notwendige Klärungen vorzunehmen und zu prüfen, inwieweit im 19. Jahrhundert erarbeitete Rechtsgrundsätze dem Gesellschaftsbild und Rechtsempfinden des 21. Jahrhunderts noch entsprechen.
Es erscheint ebenso notwendig, das Sozial- und Kulturphänomen Stiftung ein Stückweit aus einer rein rechtsdogmatischen Betrachtungsweise zu befreien. Wie anderswo, soll das Recht unbeschadet der erstrebenswerten Herrschaft des Rechts (rule of law) solchen Phänomenen dienlich sein, nicht sie beherrschen.
Eine besondere Eilbedürftigkeit ist für diese Reform nicht erkennbar. Die nachfolgenden Anmerkungen sollen daher zu grundsätzlichen Überlegungen anregen.
I.
Je nach Zählweise gibt es in Deutschland zwischen rd. 50.000 und rd. 150.000 Stiftungen. Durch das BGB erfaßt sind von diesen nur rd. 20.000, d.h. 40% bzw. 13,3%. Es sind dies die rechtsfähigen, staatlicher Aufsicht unterliegenden Stiftungen des bürgerlichen Rechts, eine erst im 19. Jahrhundert voll ausgebildete Stiftungsform, die sich dadurch von anderen Organisationsformen der Zivilgesellschaft und von anderen Formen der Stiftung unterscheidet, daß sie keine Mitglieder oder Eigentümer kennt.
Die zahlreichen anderen Formen, unter denen Stiftungen auftreten, haben nur sehr rudimentäre oder keine spezifische zivilrechtliche Grundlage. So leiten sich die Bestimmungen für die (grob geschätzt) 30.000 nicht rechtsfähigen Treuhandstiftungen (auch unselbständige oder fiduziarische Stiftungen genannt) in der Regel aus dem Treuhandrecht her, sind aber in diesem Zusammenhang nicht gesondert erwähnt oder gar normiert. Diese unselbständigen Stiftungen können sogar, wie vor einigen Jahren gerichtlich festgestellt wurde, im Einzelfall auch Schenkungen unter Auflage (und trotzdem eigene Steuersubjekte) darstellen. Diese Sichtweise wirft freilich besondere Probleme auf; eine Klärung im Sinne eines echten Treuhandverhältnisses wäre wünschenswert.
Die Stiftungen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft werden rechtlich als Kapitalgesellschaften (GmbH, AG usw.) behandelt, ohne dort gesondert erwähnt zu werden. Stiftungen öffentlichen Rechts werden im öffentlichen Recht kaum erwähnt. Die rd. 100.000 Stiftungen kirchlichen Rechts unterliegen der auf der verfassungsrechtlichen Autonomie der Religionsgemeinschaften beruhenden kirchlichen Rechtsetzung, die sie freilich nicht ermächtigt, im allgemeinen Rechts- und Geschäftsverkehr als juristische Personen aufzutreten.
Dennoch handelt es sich bei all diesen (und weiteren) Formen in der Regel zweifellos auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte, im funktionalen Sinn und als soziale Phänomene um Ausprägungen echter Stiftungen. Sie sind insoweit weder „unecht“ noch haben sie Ausnahmecharakter. Nur die Stiftungen bürgerlichen Rechts als „echt“ zu bezeichnen, ist daher nicht nur unzutreffend, weil diese eine Minderheit und die sogenannten Ausnahmen die Mehrheit darstellen. Sie bilden auch historisch eine relativ sehr neue Ausformung einer Grundform korporativen Handelns.
Die Treuhandstiftung, die bereits in den frühen Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens nachweisbar ist, ist, so gesehen, viel „echter“; einige noch bestehende Kirchenstiftungen stammen vermutlich aus dem 1. nachchristlichen Jahrtausend und sind somit viel älter als die ältesten selbständigen Stiftungen, die seit dem Spätmittelalter nachweisbar sind und durch das BGB der staatlichen Aufsicht unterworfen wurden.
Von einer Reform des Stiftungsrechts zu sprechen, ist infolgedessen irreführend. Es geht allenfalls um die Reform des für einen vergleichsweise kleinen Teil einschlägigen Rechts, noch genauer um einen Teil eines Teils, denn wesentliche gesetzliche Bestimmungen finden sich nicht im BGB, sondern in den Stiftungsgesetzen der Länder. (Inwieweit es sich um Bundeskompetenz oder konkurrierende Gesetzgebung handelt bzw. ob die Landesgesetze nur Ausführungsgesetze zum Bundesrecht darstellen, kann hier außer Betracht bleiben, sollte aber nicht für immer ungeklärt sein.)
II.
Das definitorische Element einer Stiftung ist nicht etwa, wie in der Öffentlichkeit oft geglaubt wird, das Vorhandensein eines materiellen Vermögens. Vielmehr bildet die Bindung an den bei der Gründung formulierten Stifterwillen als ideelles Vermögen der Stiftung den definitorischen Kern. Dies unterscheidet die Stiftung prinzipiell von dem als permanenter Willensbildungsprozeß seiner Mitglieder konzipierten Verein, der infolgedessen zwingend auf Mitglieder angewiesen ist. Ein mitgliederloser Verein ist nicht vorstellbar, eine mitgliederlose Stiftung dagegen wohl, allerdings durchaus auch eine von Eigentümern oder Mitgliedern getragene Stiftung. Als sozial- und kulturhistorischer Beleg ersten Ranges mögen hierfür der Islam und das Christentum gelten, letzteres in der klassichen Theologie häufig als „die Stiftung Jesu Christi“ bezeichnet, die sehr wohl über Mitglieder verfügt. Die Stiftung bildet im Kern eine gebundene, nicht eine mitgliederlose Organisation.
III.
Schon in der historischen Stiftungsliteratur (so bspw. deutlich bei Kant) werden real existierende Teilfunktionen regelmäßig ausgeblendet, wodurch ein unzulässig verengtes Stiftungsbild die Normen prägt. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die Stiftung ist insbesondere kein Finanzierungsinstrument, sondern ein handlungsfähiger korporativer Akteur, heute eine der wesentlichen Organisationsformen der Zivilgesellschaft, gekennzeichnet durch die Besonderheit der Bindung an den Anfang. Viele Vereine sind vermögender als die meisten Stiftungen. Im Rahmen ihrer Bindung kann die Stiftung ebensogut eine Eigentümer-, operative, fördernde oder mildtätige Funktion ausüben. Der Rechtsrahmen hat dieser Breite Rechnung zu tragen. Insbesondere sind Regeln über Vermögensanlagen nur für einen Teil der Stiftungen relevant.
IV.
Die staatliche, durch eine Landesbehörde ausgeübte Stiftungsaufsicht, einst als Kompensation der Eigentümerlosigkeit der Stiftung erdacht, wird heute vielfach als Kontrolle der Stiftungstätigkeit gesehen. Diese erfaßt nicht nur lediglich eine Minderheit der Stiftungen, sondern beinhaltet auch nur, daß in Abwesenheit von Mitgliedern oder Eigentümern durch die hoheitliche Gewalt die nachhaltige Befolgung des Stifterwillens sichergestellt wird. Die Vollzugspraxis sieht oft anders aus. Insbesondere haben die Aufsichtsbehörden durch Mustersatzungen und mündliche Empfehlungen dafür gesorgt, daß schon a priori keine Stiftung entstehen kann, in der sich der Stifterwille etwa durch eine großzügige Übertragung von Veränderungsrechten an die Stiftungsorgane manifestiert. Es kann jedoch durchaus den Willen des Stifters darstellen, daß spätere Organe den Zweck der Stiftung ändern oder die Tätigkeit der Stiftung beenden können. Dies wird dadurch verhindert, daß den Stiftern verwehrt oder ausgeredet wird, solche Bestimmungen in der Satzung zu verankern.
V.
Der schon im Schrifttum des 18. Jahrhunderts, das sich mit dem Antagonismus zwischen reichen Stiftungen und der Souveränität hochverschuldeter Staaten auseinandersetzte, manifeste Anspruch des Staates, Stiftungen unter dem Vorwand vorrangiger öffentlicher Belange nach Belieben aufzuheben, lebt im BGB (§ 87) bis heute fort, obwohl sowohl das Deutsche Reich nach 1933 (unter Rückgriff auf Rassengesetze) als auch die DDR nach 1953 (im Vollzug kommunistischer Ideologie) formal nach Recht und Gesetz, sachlich aber ebenso exzessiv wie mißbräuchlich davon Gebrauch gemacht hatten.
Heute herrscht eher eine Praxis vor, Stiftungen zu lange leben zu lassen; der Durchbruch durch das Grundprinzip der Stiftungsautonomie ist jedoch vergleichbar. Die Bedingung der Gemeinwohlgefährdung (§ 87,1 BGB) unterliegt der alleinigen Definition durch die Staatsverwaltung; anders als beim Verbot von Vereinen fehlen Konkretisierung und Verfahrensvorschriften.
VI.
Zu den Grundprinzipien des Stiftens gehört auch, daß es sich dabei um eine Vermögensentäußerung handelt. Mit ihrer Gründung (oder, im Falle der rechtsfähigen Stiftung, spätestens mit der Anerkennung ihrer Rechtsfähigkeit – s.u.) ist die Stiftung eine fremde Dritte. Für die Stifter mag dies emotional schwer verständlich erscheinen, für die Stiftung ist es konstitutiv. Allerdings kann der Stifter die Wirkung dadurch mildern, daß er sich im Rahmen der Festlegung seines Stifterwillens in der Stiftung Rechte zumißt, später also nicht von außen, sondern als Organ, Mitglied eines Organs oder Quasi-Organ das Leben und Wirken der Stiftung mitbestimmt.
Dies alles vorausgeschickt, lassen sich für eine Reform des Stiftungsrechts folgende konkrete Überlegungen formulieren:
1. Zusammenfassung und Definition:
Eine Reform des Stiftungsrechts könnte dieses aus dem nur teilweise einschlägigen BGB herauslösen und in einem eigenen Stiftungsgesetz zusammenfassen, in dem auch die übrigen Stiftungsformen ihren Platz haben.
Wohlgemerkt kann es dabei aber nicht darum gehen:
Doch ließen sich hier bspw. niederlegen:
2. Stärkung der Autonomie:
a) Entscheidungen über jede Art von Satzungsänderungen, die Auflösung der Stiftung, deren Zusammenlegung mit einer anderen, die Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung usw. sind den Stiftungsorganen vorzubehalten.
Die Aufsichtsbehörde hat (natürlich nur bei den ohnehin der Aufsicht unterliegenden Stiftungen) lediglich zu nachzuprüfen, ob sich diese Entscheidungen im Rahmen des zur Gründung formulierten Stifterwillens bewegen.
Ziel der Gründungsberatung darf insofern nicht die Empfehlung sein, eine Mustersatzung anzuwenden, sondern die, Optionen auszuloten. Der Stifter/die Stifterin muß insbesondere in die Lage versetzt werden zu entscheiden, wieviel Kompetenzen er den Organen einräumen will. Im Sinne der angestrebten Langfristigkeit sollte stets eine möglichst flexible Regelung empfohlen werden. In vielen Einzelheiten sollte den Stiftungsorganen jeder Ermessenspielraum zugestanden werden, den der Stifter nicht ausdrücklich eingeschränkt hat.
b) Das Recht des Staates, Stiftungen aufzuheben, ist abzuschaffen, da es ein Relikt des Obrigkeitsstaates darstellt und einem modernen Verständnis von Zivilgesellschaft nicht entspricht. Unter Berücksichtigung allgemeiner Grundsätze (bspw. Unerfüllbarkeit des Stifterwillens) oder besonderer Bestimmungen des Stifters (bspw. nach Ablauf einer vorgegeben Zeitspanne) ist es nach modernem Verständnis das vornehmste Recht einer autonomen Körperschaft, in eigener Zuständigkeit ihr Ende zu beschließen.
Der Aufsicht bliebe die Nachprüfung, ob der entsprechende Beschluß formal richtig und inhaltlich sachgerecht zustande gekommen ist. Eine besondere Kompetenz des Staates zur Aufhebung einer Stiftung bei verfassungswidrigem Verhalten muß gewiß erhalten bleiben. Diese ist jedoch auszuformulieren; die Entscheidung ist der Gerichtsbarkeit vorzubehalten.
3. Kongruenz des Rechts:
Im Sinne der Rechtssicherheit erscheint es unabdingbar, im Wege der Reform die Rechtsgebiete aufeinander abzustimmen.
Immer wieder haben bspw. Unterschiede zwischen der zivilrechtlichen und der steuerrechtlichen Bewertung von Stiftungshandeln unzumutbare Unklarheiten zur Folge gehabt.
Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung um Erhalt des Stiftungsvermögens vs. zeitnahe Mittelverwendung. Nicht zu befürworten ist allerdings die mancherorts eingeführte Praxis, daß Aufsichtsbehörden für von ihnen beaufsichtigte oder zu beaufsichtigende Stiftungen Anfagen an oder Verhandlungen mit Finanzbehörden führen (sog. one-stop-System). Dies sind unmittelbare Pflichten und Rechte der Stifter vor und der Organe nach der Gründung.
4. Beseitigung von Unsicherheiten:
An mehreren Stellen enthält das geltende Recht (der rechtsfähigen Stiftungen) Unsicherheiten, die dringend zu beseitigen sind.
Beispiele:
Insgesamt gilt auch hier, daß die Stiftungsorgane die primär Entscheidungsbefugten sind. Im Zweifelsfall müssen vorrangig sie den Stifterwillen interpretieren.
5. Diskussion weiterer Vorschläge:
Seit Veröffentlichung der Absicht, das Stiftungsrecht zu novellieren, werden, wie schon zwischen 1997 und 2002, Vorschläge für Änderungen und Ergänzungen vorgebracht. Dazu gehören u.a.:
6. Veränderbarkeit des Stifterwillens nach der Gründung:
Aus dem vorgenannten sollte deutlich geworden sein, daß Eingriffe von Stiftern zur Veränderung des Stifterwillens nach der Gründung abzulehnen sind. Die Definitions- und Interpretationshoheit über den Stifterwillen geht mit der Gründung auf die Stiftungsorgane über. (Zudem entstehen erhebliche Probleme der Gleichbehandlung institutioneller Stifter.) Einen Ausweg bietet freilich die Möglichkeit, daß Stifter als oder in einem Organ der Stiftung an Veränderungen mitwirken können.
Abschließend sei daran erinnert, daß die moderne Stiftung, anders als im 19. Jahrhundert konzipiert, kein Mündel des Staates darstellt. Sie ist Teil der Zivilgesellschaft und bedarf insoweit keiner hoheitlichen Beaufsichtigung Die Kompensation für die Eigentümerlosigkeit stellt vielmehr eine Leistung des Staates dar, die in der Leistungsfähigkeit desselben ihre Grenzen findet. Es kann nicht im öffentlichen Interesse liegen, kleinen und kleinsten Stiftungen diese Leistung über Jahrhunderte anzudienen oder gar aufzuzwingen.