Bewegter Ruhestand: Ehrenamt im Rentenalter – Eine empirische Betrachtung im Gesundheitsbereich

Opusculum 89 | 01.02.2016 | Empirische Beobachtung zum Thema Ehrenamt und Rentenalter

Einleitung

Das Ehrenamt hat Konjunktur und wurde selten so hochgelobt wie gegenwärtig. Der Internationale Tag des Ehrenamtes nährt sich dieses Jahr zum 29. Male und vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und dem damit verbundenen wachsenden Anteil an Älteren, wird darüber debattiert, wie die Motivation, gerade auch der älteren Bevölkerung, sich ehrenamtlich zu engagieren, gefördert werden kann. Ursula von der Leyen konstatierte diesbezüglich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (2008): „Ohne Ehrenamt kein gutes Alter“ und bezieht sich hiermit explizit in zweifachem Sinne auf die wachsende Bedeutung der Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten durch Ältere, insbesondere im Gesundheits- und Pflegekontext, sowohl auf gesellschaftlicher Ebene, als auch auf der individuellen Ebene der Ehrenamtlichen. Denn einerseits nimmt mit dem steigenden Anteil älterer Bevölkerungsgruppen auch der Anteil an Pflegebedürftigen im hohen Alter zu, andererseits erhöht sich auch die Zahl der potentiell Engagierten im Rentenalter, die mit ihrem Engagement in dieser Lebensphase einen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen leisten können, mit denen sich das Gesundheits- und Pflegesystem angesichts der steigenden Anzahl Pflegebedürftiger, konfrontiert sieht. Dass dieses Potential auch umgesetzt wird zeigt sich im steigenden Engagement Älterer gerade auch im Gesundheits- und Pflegebereich, welches von der Politik, unter anderem durch das 2013 in Kraft getretene Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG), gestärkt und gefördert wird. Diese Altersgruppe macht innerhalb des Engagements im Gesundheitsbereich, im Vergleich zu anderen Altersgruppen, einen verhältnismäßig großen Anteil aus, noch höher ist dieser, wenn nur der Bereich der Pflege betrachtet wird (Simonson, 2013:26). Innerhalb der komplexen Infrastruktur ehrenamtlicher Tätigkeiten im Gesundheits- und Pflegebereich, übernehmen die Älteren verschiedene Aufgaben in unterschiedlichen organisatorischen Kontexten. Die Bedeutung Ehrenamtlicher ist somit unumstritten, denn das überlastete Gesundheitssystem ist auf ihre Zeitressourcen angewiesen. Unbeantwortet bleibt jedoch die alterssoziologisch interessante Frage, welche Bedeutung die ehrenamtliche Tätigkeit gerade für die Ehrenamtlichen einnimmt, die diese im Ruhestand ausüben. Häufig wird diese individuelle Bedeutung in der Forschung von den jeweiligen Motiven abgeleitet, die die Ehrenamtlichen ihrer Tätigkeit entgegenbringen. Im Alter seien vor allem Motive der Sinnstiftung, des Ausbaus oder der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte und des Sammelns neuer Erfahrungen bedeutsam für die Ausübung eines Ehrenamtes in diesem Bereich (Naumann/Schacher, 2013:43). In der vorliegenden Arbeit soll die Bedeutung, die das Ehrenamt für die Ehrenamtlichen im Alter einnimmt, differenzierter, über die konstatierten Motivationen hinaus, unter Einbezug der Biographie der Ehrenamtlichen, analysiert werden. Im Mittelpunkt der Arbeit sollen daher die Älteren der Bevölkerung stehen, speziell, jene Personen im sogenannten Dritten Alter von 65 -75 Jahren, die sich nach ihrem Ausstieg aus dem Erwerbsmarkt und dem Eintritt in die neue Lebensphase des Dritten Alters, weiterhin oder erstmalig einem ehrenamtlichen Engagement widmen. Die Bedeutung, die das Ehrenamt für die interessierende Personengruppe hat, soll lebenslaufperspektivisch, mithilfe qualitativer Interviews, untersucht werden. Hierbei liegt die Annahme zugrunde, dass das Ehrenamt in der Lebensphase des Dritten Alters auf zwei verschiedenen Ebenen für die Ehrenamtlichen von Bedeutung ist. Auf der ersten Ebene wird vermutet, dass das Ehrenamt in der Bewältigung eines als kritisch empfundenen Lebensereignisses, welches von den Ehrenamtlichen als handlungsleitend für die Übernahme des Ehrenamtes im Gesundheits- bzw. Pflegebereich thematisiert wird, eine bedeutsame Hilfe darstellen kann. Hierbei soll ein besonderes Augenmerk auf dem Umgang mit dem Übergang in den Ruhestand und der damit (un)mittelbar verbundenen Beendigung des Erwerbsverhältnisses liegen. Die zweite Bedeutungsebene generiert sich, nach Überlegungen der Autorin, aus den konkreten Erfahrungen, die schließlich mit dem Ehrenamt gemacht werden. Ziel soll eine Typologie der Ehrenamtlichen im Dritten Alter sein, die die Verschiedenartigkeit der Bedeutung, die ein solches Ehrenamt in der Lebensphase des Dritten Alters einnehmen kann, zu systematisieren versucht, um eine differenziertere Beschreibung jener Personen zu ermöglichen, die sich in dieser Lebensphase für ein Ehrenamt im Gesundheits- oder Pflegebereich entscheiden. Weiterhin soll die Arbeit eine kritische Perspektive auf die Thematik legen, um das Wohlbefinden der Ehrenamtlichen nicht aus dem Auge zu verlieren, die sich freiwillig bereit erklären, eine Aufgabe für die Gemeinschaft zu übernehmen, die theoretisch, besonders was den Gesundheits- und Pflegebereich anbelangt, in den Zuständigkeitsbereich des Sozialstaates fällt. Denn die Zeit, die die Ehrenamtlichen unentgeltlich mit den Hilfe- oder Pflegebedürftigen verbringen, ist ein wertvolles Geschenk und sollte nicht ausgenutzt werden, um Kosten einzusparen. Eine wissenschaftlich kritische Perspektive ist daher nicht nur interessant, sondern notwendig, vor allem, da die Seite der Ehrenamtlichen in der empirischen Forschung bisher nur unzureichend betrachtet wird. Eine zweite Forschungsfrage, die den Mehrwert dieser Arbeit für die bereits existierenden Forschungsarbeiten zum Thema Ehrenamt im Alter darstellt, ist daher die explizite Frage nach individuellen Erfahrungen mit der ehrenamtlichen Tätigkeit, die von den Ehrenamtlichen als subjektiv kritisch wahrgenommen werden. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass die ehrenamtliche Arbeit gerade im Gesundheits- und Pflegebereich, vor dem Hintergrund von Kosteneinsparungen und Abbau von Pflegekräften, mit erheblichen, vor allem psychischen Belastungen für die älteren Ehrenamtlichen einhergehen könnte. Hierzu sollen zunächst die etablierten quantitativen Studien (Freiwilligensurvey, Alterssurvey, Generali Altenstudie 2013) hinsichtlich der Thematisierung bzw. Erhebung kritischer Erfahrungen und Auswirkungen inhaltsanalytisch untersucht werden, um anschließend, mithilfe der qualitativen Interviews, eben jene eruierten fehlenden kritischen Aspekte zu thematisieren und kritischen Stimmen Gehör zu geben. Die kritische Betrachtung soll eine Forschungslücke schließen und kann außerdem eine Grundlage liefern, um mögliche politische Implikationen zur Verbesserung und Förderung der Rahmenbedingungen ehrenamtlicher Betätigung der älteren Bevölkerungsgruppen, abzuleiten. Die drei in dieser Arbeit zu untersuchenden Forschungsfragen lauten daher:

1)    Welche Bedeutung hat das Ehrenamt in der Lebensphase des Dritten Alters für die Ehrenamtlichen im Gesundheits- und Pflegebereich?

2)    Werden kritische Erfahrungen, die mit der Ausübung eines Ehrenamtes im Dritten Alter einhergehen, von den etablierten Surveys erhoben?

3)    Welche als kritisch wahrgenommenen Erfahrungen machen die befragten Ehrenamtlichen in ihrer Tätigkeit?

 

Zur Beantwortung der Forschungsfragen ist die Arbeit in drei Teile gegliedert. Den ersten Teil bildet die Theoriegrundlage. Hier wird zunächst die Relevanz der vorliegenden Forschungsarbeit mit Bezug zum aktuellen Forschungsstand zum Thema Ehrenamt im Alter, speziell im Gesundheits- und Pflegebereich und vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, erläutert. Anschließend werden die relevanten, der Arbeit zugrunde liegenden Begriffe: Alter und die Lebensphase des Dritten Alters sowie der Begriff des Ehrenamtes, im Hinblick auf die gewählte Bereichsspezifik Gesundheit und Pflege, definiert und im Kontext des jeweiligen Forschungsstandes diskutiert, um sie daraufhin zusammenzuführen zum Untersuchungsthema: Die Bedeutung des Ehrenamtes in der Lebensphase des Dritten Alters für die Ehrenamtlichen im Gesundheits- und Pflegebereich. Den zweiten Teil bildet die empirische Erhebung. Hier erfolgt eine kurze Einleitung in die Methodologie und die Erläuterung des Erhebungsinstrumentes des leitfadengestützten, problemzentrierten Interviews (PZI) nach Witzel sowie die Operationalisierung der Forschungsfragen. In die Operationalisierung der Forschungsfragen fließt in diesem Teil schon die inhaltsanalytische Auseinandersetzung mit den etablierten quantitativen Studien ein, da die Ergebnisse der Analyse Eingang in die Leitfragen der qualitativen Interviews finden sollen. In einem dritten Teil erfolgt die Analyse der Interviews entlang der Forschungsfragen 1 und 3. Die Ergebnisse werden abschließend zusammengefasst und diskutiert.