Corporate Social Responsibility im Spannungsfeld zwischen individueller und institutioneller Verantwortung

Opusculum 67 | 01.11.2013 |

Nicht erst seit der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise ist auch in der breiten Öffentlichkeit großes Interesse am Umgang von Unternehmen mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld, ihren berechtigten Anspruchsgruppen, zu beobachten. Dies beschränkt sich bei weitem nicht nur wie im Fall der Finanzkrise auf das Geschäftsgebaren von Banken, sondern das jeglicher zumindest größerer Unternehmen. Zum einen die Frage nach dem richtigen Einsatz ihrer Einflußmöglichkeiten, zum anderen die Frage nach ihrer Rolle sowohl in der Gesellschaft als auch in der nationalen und internationalen Politik beschäftigen immer wieder sowohl die öffentliche als auch die wissenschaftliche Debatte. Mitte April war ein Vorstoß der Europäischen Kommission Thema der öffentlichen Debatte. Danach sollen „Europas Unternehmen […] künftig alljährlich über ihr Engagement im Umweltschutz, ihre sozialen Tätigkeiten oder ihren Umgang mit Korruption berichten.“1 Es ist also angedacht, Unternehmen ähnlich der bestehenden Publizitätspflicht zur Offenlegung des kaufmännischen Jahresabschlusses2 auch dazu zu verpflichten, Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie mit ihren Corporate Social Responsibility Aktivitäten ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachgekommen sind. Diese Diskussion um die Übernahme sozialer Verantwortung durch Unternehmen3 hat eine lange Geschichte und läßt sich aus verschiedenen Denkrichtungen begründen. In der Literatur finden sich unterschiedliche Schulen, die teilweise komplementär, teilweise aber auch diametral sind in ihrer Auslegung sowohl was das Ausmaß als auch die Ausrichtung, vor allem aber die Rechtfertigung bzw. die Verpflichtung zu einer solchen Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen anbelangt. Schon bald zeigt sich dem Leser der einschlägigen Literatur, daß sich die Verschiedenheit der Denkrichtungen nicht nur auf die soeben genannten Aspekte der sozialen Verantwortung von Unternehmen beschränkt, sondern daß sich die Diskussion auch im Spannungsfeld zwischen Individual- und Institutionenethik abspielt. Ungeklärt scheint dabei die Frage darüber, wer – welches Subjekt also – diese Verantwortung tatsächlich zu tragen hat, bzw. sie zu tragen im Stande ist.

Wer ist wirklich verantwortlich, wenn z.B. ein Unternehmen gegen seinen Vertriebspartner, der in anderer Sache auch sein Wettbewerber ist, in einer konfliktträchtigen Sache sofort rechtlich gegen diesen vorgeht, statt zunächst im Dialog eine kooperative Lösung zu suchen? Wer hat es zu verantworten, wenn ein Zulieferer „stranguliert“ wird, die ihm „zustehende“ Marge festgesetzt und ihm seine wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Abnehmer abgerungen wird? Wer ist verantwortlich für die Umweltschäden eines Produktionsunfalls? Ist es der Vorstand, ist es jeder Mitarbeiter je anteilig, ist es jeder Aktionär je anteilig, oder sind es doch die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter, der einzelne Produktmanager, der Einkäufer und der Plattformingenieur? Läßt sich die Situation vielleicht so betrachten, daß die Eigentümer und Geschäftsführer den Rahmen setzen, in dem gehandelt werden darf, und die einzelnen Mitarbeiter in ihrer jeweiligen Auslegung ihres Auftrages ihre konkreten Handlungskonsequenzen verantworten? Leicht ist erkennbar, daß Verantwortung, schon allein ein komplexes Konstrukt, in Unternehmen nicht eben leicht zuzuordnen ist. Es wird deshalb im weiteren Verlauf dieser Abhandlung auch die Diskussion um Indvidual-, Kollektiv- oder Institutionenethik in Korporationen – hier in Wirtschaftsunternehmen – zu Rate zu ziehen sein. Daß Unternehmen sich darum bemühen müssen, sich auch vor der Öffentlichkeit zu legitimieren ist unbestritten, schon deshalb, weil „die gesellschaftliche Akzeptanz heute eine notwendige Bedingung für wirtschaftlich erfolgreiches unternehmerisches Handeln darstellt“4 und „es in [eines jeden Unternehmens] vitale[m] Eigeninteresse liegt, moralische Werte in Form einer individuellen Selbstbindung unter Beweis zu stellen und öffentlich zu kommunizieren“5. Erschöpft sich Verantwortung von Unternehmen in diesem Eigeninteresse? Wenn die heute nicht mehr nur von amerikanischen Großunternehmen verfaßten und verbreiteten Berichte über Corporate Social Responsibility (CSR) mehr als lediglich der Öffentlichkeitsarbeit dienen sollen – sonst verdienen sie ihren Namen nicht6 – bleibt zu fragen, worin die darin formulierte Verantwortung des Unternehmens besteht, wie sie ethisch gerechtfertigt wird, und vor allem, wer sie tatsächlich trägt.

1 Kafsack (2013) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über den Vorschlag für eine “Directive of the European Parliament and of the Council amending Council Directives 78/660/EEC and 83/349/EEC as regards disclosure of non-financial and diversity information by certain large companies and groups“ (http://ec.europa.eu/internal_market/accounting/docs/non-financial-reporting/com_2013_207_en.pdf – zuletzt abgerufen am 25.04.2013).
2 Nach § 325 HGB.
3 Als Unternehmen seien im Folgenden, wenn nicht explizit davon abweichen vermerkt, Organisationen verstanden, die maßgeblich zur Verfolgung von wirtschaftlichen Zielen gegründet worden sind – Wirtschaftsunternehmen also.
4 Homann/Blome-Drees (1992), S.129.
5 Dieselben, ebenda, S. 137.
6 Und verstößt zudem gegen Kants Selbstzweckformel: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ Kant (1977).