Förderstiftungen

Opusculum 9 | 01.03.2002 | Eine Untersuchung zu ihren Destinatären und Entscheidungsprozessen

1. Einleitung

Während staatliche Bürokratien und Wirtschaftsunternehmen schon lange Gegenstand organisationssoziologischer Untersuchungen sind, ist die Organisationsform der Stiftung nahezu unerforscht. Stiftungen sind bislang „black boxes“; was in ihnen geschieht, weiß niemand genau. Aber auch die Interaktionen von Stiftungen mit ihrer Umwelt sind bislang nicht näher in den Blick genommen worden (vgl. Riaz 1997).

Es ist ein weit verbreitetes Mißverständnis, daß sich die Aufgabe einer Stiftung darauf beschränkt, Anträge entgegenzunehmen und dann gleichsam automatisch finanzielle Mittel zuzuteilen. Dabei wird oft übersehen, daß schon die Entscheidung für die konkreten Förderkriterien und das Auswahlverfahren an sich eine operative Tätigkeit ist, die nur für diejenigen Stiftungen entfällt, die einen vom Stifter festgelegten Destinatär aufweisen. Die Förderstiftung, die Anträge entgegennimmt oder eine intensive Projektauswahl betreibt, nähert sich in der Arbeitsweise der operativen Stiftung an. Stiftungen mit festen Destinatären betreiben dagegen einen wesentlich geringeren operativen Aufwand; die Arbeit beschränkt sich idealtypisch auf eine reine Verwaltungstätigkeit. Eine Stiftung mit festem Destinatär, die bspw. einen Lehrstuhl oder eine Sozialeinrichtung finanziert, zeigt eine gewisse Nähe zu dem Fall, daß eine operative Stiftung durch Auslagerung etwa einer gemeinnützigen GmbH zu einer Förderstiftung wird. Der Arbeitsaufwand der Förderstiftung mit wechselnden Destinatären ist ungleich höher, und die strikte Unterscheidung zwischen operativer und fördernder Tätigkeit wird künstlich durch die Abgabenordnung produziert.

In der vorliegenden Untersuchung wird der Frage nachgegangen, wie Stiftungen, die sich als Förderstiftungen bezeichnen, tatsächlich arbeiten, welche Probleme und Bewältigungsstrategien sie haben. Lassen sich innerhalb der Gruppe von Förderstiftungen verschiedene Typen ausmachen? Außerdem werden zu den internen Entscheidungsprozessen einige organisationssoziologische Überlegungen angestellt. Die vom Maecenata Institut durchgeführte Untersuchung über operative Stiftungen (Adloff/Velez 2001a) hatte das Ziel, die Unterscheidung zwischen fördernder und operativer Tätigkeit zu problematisieren. Komplementär hierzu ist diese Untersuchung zu fördernden Stiftungen angelegt, die das gleiche Ziel verfolgt. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf den Unterschied zwischen Förderstiftungen mit festen Destinatären und Stiftungen mit einem offenen Kreis an möglichen Destinatären gelegt werden.

Die Abgabenordnung1

In den USA hat die (steuer-)rechtliche Unterscheidung zwischen fördernden und operativen Stiftungen eine relativ große Bedeutung. Das deutsche Recht verwendet die Begriffe „operativ“ und „fördernd“ nicht ausdrücklich. Ob die Stiftung selbst oder durch Dritte ihre Zwecke verfolgt, findet sich allerdings im steuerlichen Gemeinnützigkeitsrecht wieder. Der sogenannte „Grundsatz der Unmittelbarkeit“ in § 57 Abgabenordnung (AO) verpflichtet eine steuerbegünstigte Körperschaft, ihre (gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen) Zwecke „unmittelbar“, d.h. „selbst“ oder durch „Hilfspersonen“ zu verwirklichen. Von diesem Grundsatz machen § 58 Nr. 1-4 AO mehrere Ausnahmen. Die Körperschaft darf hiernach in bestimmten, praktisch wichtigen Fällen auch an andere steuerbegünstigte Körperschaften materielle Vorteile zuwenden („Geld, Arbeitskräfte, Räume“).

Man kann daher im Falle des § 57 AO von einer „operativen“ Tätigkeit und im Falle des § 58 Nr. 1-4 AO von einer fördernden Tätigkeit der (gemeinnützigen) Stiftung bzw. Körperschaft sprechen. Das Unmittelbarkeitsgebot des Gemeinnützigkeitsrechts unterteilt also die Stiftungen in solche, die ihren Zweck durch eigene Maßnahmen verwirklichen, und in solche, die durch finanzielle Zuwendung eine Mittlerposition einnehmen.

Fraglich ist allerdings, ob eine solche Unterscheidung in der Praxis hilfreich oder eher mißverständlich ist. Denn das Adjektiv „unmittelbar“ bezieht sich auf eine Tätigkeit, die final einen Zweck erfüllen soll. Die Einordnung „unmittelbar“ – „mittelbar“ hängt damit im Ergebnis davon ab, wie der Zweck formuliert wird. Mit anderen Worten, dieselbe Tätigkeit läßt sich je nach der Gestaltung der Satzung als fördernd oder als operativ definieren.2

Statistische Angaben

Gleichwohl arbeiten empirische Untersuchungen zum deutschen Stiftungswesen mit der Unterscheidung operativ/fördernd, wobei sie sich auf die Angaben der Stiftungen verlassen. Die statistischen Angaben des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen weisen bei einer Gesamtheit von 8.263 Stiftungen 60,9 Prozent fördernde Stiftungen aus (BDV 2001: 34). Die Definition für fördernde Stiftungen lautet, daß sie ihre Mittel auf Antrag nach außen bzw. an Dritte vergeben. Die operativen Stiftungen (Stiftungen, die ihre Aufgaben durch Eigenprojekte selbst erfüllen und ihre Erträge anderen nicht zur Verfügung stellen) werden mit einem Anteil von 21,8 Prozent ausgewiesen, die Mischform operativ und fördernd tätig mit 17,3 Prozent (ebd.). Die bisherigen Statistiken des Maecenata Instituts kommen zu vergleichbaren Ergebnissen. In einer neueren Untersuchung hat Sprengel (2001: 73) weitgehend auf die Zweiteilung des Stiftungswesens in operative und fördernde Stiftungen verzichtet. Statt dessen differenziert er das Feld in Anstalten (1759 Nennungen), Preise (630 Nennungen), Eigenprojekte (477), Projektförderung (1978), institutionelle Förderung (1325), Personenförderung (3262) und Stipendien (562 Nennungen).3 Den Angaben des Bundesverbandes und Sprengels ist zu entnehmen, daß die operativen Stiftungen wie die Anstaltsträgerstiftungen bzw. die Mischtypen in Deutschland eine wichtige Größe sind.

Die Stiftungsdatenbank des Maecenata Instituts bietet keinen direkten Zugriff auf den Typ der Förderstiftung mit festen Destinatären. Er wird sich allerdings zum größten Anteil unter der Rubrik „institutionelle Förderung“ finden lassen. In dieser Rubrik finden sich aktuell 1.333 Stiftungen, von denen aber nur ein kleiner Teil ausschließlich eine institutionelle Förderung mit einem festen Destinatär betreibt. Des weiteren lassen sich reine Familienstiftungen dieser Kategorie zuordnen.

Historischer Hintergrund

Der landläufige Stiftungsbegriff – eine Rechtspersönlichkeit, die mit einem Vermögen für die Verwirklichung eines Stifterwillens ausgestattet ist – ist das Ergebnis der Rechtsdogmatik des 19. Jahrhunderts (v. Campenhausen 1998: 25). „Gerade in den Formen körperschaftlicher Organisation und fiduziarischer Stiftungen, deren Stiftungsvermögen im Eigentum eines anderen Rechtssubjekts steht, hat das Stiftungswesen eine große Vergangenheit und Geschichte. Die Dogmatik des 19. Jahrhunderts klärte zwar den Unterschied von Körperschaft und Stiftung, schnitt aber die rechtsfähigen von den unselbständigen Stiftungen, die vor der Moderne eindeutig dominierten, ab. Damit wurde eine rechtliche Klärung, aber auch eine Engführung des Stiftungsbegriffs vorgenommen, denn die unselbständige Stiftung kann als ursprüngliche Form der Stiftung angesehen werden.

Hier zeigt sich ein gewisses Paradoxon. Einerseits gehen die meisten Beobachter des Stiftungswesens davon aus, daß die operative Stiftung die ältere Form ist, andererseits kennzeichnet das 20. Jahrhundert das Verständnis, daß die fördernde Stiftung der dominierende und moderne Stiftungstyp sei. Beide Sichtweisen sind nicht unproblematisch. Strachwitz (1998: 677f.) hat darauf aufmerksam gemacht, daß aus der Existenz der ältesten deutschen Stiftungen – den Anstaltsträgerstiftungen wie die im Jahre 917 gegründete Bürgerspitalstiftung in Wemding – geschlossen wird, daß diese Stiftungen die ursprüngliche Form der Stiftung darstellen und Förderstiftungen erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen. Doch schon im 13. Jahrhundert finden sich neben den Anstaltsstiftungen sogenannte Hauptgeldstiftungen. Die mittelalterlichen Stiftungsbriefe waren sehr individuell ausgestaltet, „ohne daß ein Unterschied zwischen der nur als Mittel zur Verwirklichung eines ideellen Zwecks vorgesehenen Tätigkeit und einer solchen als Inhalt der Zweckverwirklichung in jedem Fall erkennbar wäre.“ (Ebd.: 678) In den meisten Fällen dürfte es schwerlich möglich sein, die mittelalterlichen Stiftungen der Kategorie ‚fördernd‘ oder ‚operativ tätig‘ zuzuordnen. Nach Strachwitz hat sich diese Unterscheidung allein über das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht in das Stiftungswesen eingeschlichen. Gegen diese These spricht, daß auch im juristischen Schrifttum die Unterscheidung kaum eine Rolle spielt. M.E. sind für die Ubiquität der Unterscheidung auch Entwicklungen innerhalb des amerikanischen Stiftungswesens verantwortlich. Die amerikanische Entwicklung ließ die Förderstiftungen in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Die großen Stiftungen wie Ford, Rockefeller und Carnegie, die Anfang des 20 Jahrhunderts entstanden, haben die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen – und damit auch deren Fördertätigkeit. Die Dominanz der großen US-Stiftungen in der internationalen Philanthropie auch nach 1945 ließ die Förderstiftung als den modernen Prototyp der Stiftung erscheinen (vgl. Anheier 2001: 48). „Indeed, the relatively few largest grantmaking foundations began to symbolize in popular understanding the essence of foundations in the United States.“ (Toepler 1999: 164) In den USA kommt hinzu, daß es tatsächlich eine handfeste rechtliche Unterscheidung zwischen operativen und fördernden Stiftungen gibt. In dem Internal Revenue Code finden sich Regelungen, die die operative Stiftung von der fördernden Stiftung unterscheiden. Operativen Stiftungen kommt in den USA damit ein anderer rechtlicher Status als Förderstiftungen zu.

Die Ausführungen belegen, daß die Unterscheidung von operativer und fördernder Stiftungstätigkeit keine historisch-traditionelle Unterscheidung ist. Die Unterscheidung ist vielmehr jüngeren Datums und weist einen steuerrechtlichen Charakter auf. Bestimmte Interessen der Öffentlichkeit an der (amerikanischen) Förderstiftung und dadurch bestimmte Aufmerksamkeitsverschiebungen trugen mit dazu bei, die Unterscheidung festzuschreiben.

 

1 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Adloff/Velez 2001a.
2 Zur Veranschaulichung seien einige Beispiele genannt: Beispiel a: Eine Stiftung finanziert eine wissenschaftliche Forschungsarbeit, die sie durch einen angestellten Wissenschaftler erstellen läßt. Hierbei handelt es sich um einen eindeutigen Fall einer “operativen Tätigkeit”. Die Stiftung verfolgt ihren gesetzlich als gemeinnützig anerkannten Zweck 11 Vgl. § 51 Abs. 1 und Abs. 2 a 1. Var. AO: Förderung der Allgemeinheit auf dem Gebiet “Wissenschaft”. Allerdings muß das Ergebnis der Allgemeinheit auch zugänglich gemacht werden. “Erstellung einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit” unmittelbar im Sinne des § 57 AO, nämlich durch den ihr als “Hilfsperson” zurechenbaren Angestellten.
Beispiel b: Eine Stiftung finanziert eine wissenschaftliche Forschungsarbeit, die sie durch einem externen Nachwuchswissenschaftler erstellen läßt (Stipendium). Auf den ersten Blick scheint es sich hierbei um eine “fördernde” Tätigkeit zu handeln: Der Nachwuchswissenschaftler ist in der Regel keine “Hilfsperson” im Sinne des § 57 AO, weil er weder angestellt, noch weisungsabhängig ist. Auch § 58 Nr. 1-4 AO greifen indessen nicht: Erlaubt ist hiernach keine Geld-Förderung an natürliche Personen, sondern nur an andere gemeinnützige Körperschaften (z.B. ein Forschungsinstitut in Form einer gemeinnützigen GmbH). Grund hierfür ist, daß nur Körperschaften, nicht aber natürliche Personen gemeinnützig sein können (siehe die Legaldefinition des § 51 S. 1 AO). Damit ist aber noch nicht gesagt, daß das Stipendium unzulässig wäre. Denn der Fall läßt sich im Ergebnis doch noch als “operative” Tätigkeit unter § 57 AO einzuordnen, indem der Zweck, der “unmittelbar” verwirklicht werden soll, entsprechend präzisiert wird. Das Gesetz verlangt nicht, daß die Forschungsarbeit “erstellt” wird. Ausreichend ist nach Ansicht der Finanzverwaltung auch, daß eine Forschungsarbeit der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird, m.a.W. veröffentlicht wird (vgl. § 51 Abs. 1 und Abs. 2 a 1. Var. AO: Förderung der Allgemeinheit auf dem Gebiet “Wissenschaft”). Bei einer solchen Zweckdefinition muß nur die Veröffentlichung der Arbeit “unmittelbar” durch die Stiftung durchgeführt werden. Die Erstellung der Arbeit hingegen gehört nicht mehr zum “Zweck”, und muß daher nicht von der Stiftung unmittelbar verwirklicht werden.
Beispiel c: Eine Stiftung finanziert ein wissenschaftliches Projekt, das sie durch die Angestellten eines gemeinnützigen Forschungsinstituts erstellen läßt. Nach dem bisher Gesagten hängt es von der Formulierung des Zwecks ab, ob § 57 AO oder § 58 Nr. 1-4 greift. Möglich sind beide Möglichkeiten. Ist der Zweck die “Erstellung der Forschungsarbeit”, so ist das Institut zwar keine “Hilfsperson” im Sinne des § 57 AO. Da es sich aber um eine gemeinnützige Körperschaft handelt, ist eine Geldförderung des Instituts gemäß § 58 Nr. 2 AO zulässig, da die Satzung des Instituts den Zweck “Erstellung von Forschungsarbeiten” enthalten dürfte. Diesen Zweck verwirklicht das Institut “unmittelbar”. Ist der Zweck die “Veröffentlichung der Forschungsarbeit”, so gilt dasselbe wie in Beispiel b: Es liegt eine unmittelbare Zweckverwirklichung i.S.d. § 57 AO vor.
3 Mehrfachnennungen waren möglich. Die Angaben beziehen sich auf 6441 Stiftungen.