Operative Stiftungen

Opusculum 8 | 01.09.2001 | Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung zu ihrer Praxis und ihrem Selbstverständnis

1. Einleitung

In der vorliegenden Untersuchung sind wir der Frage nachgegangen, wie Stiftungen, die sich als operativ oder als operativ und fördernd bezeichnen, tatsächlich arbeiten, welche Probleme und Bewältigungsstrategien sie haben, und in welchen eventuellen Wandlungsprozessen sie sich befinden.

Es ist ein weit verbreitetes Mißverständnis, daß sich die Aufgabe einer Stiftung darauf beschränkt, Anträge entgegenzunehmen und finanzielle Mittel zuzuteilen. Auch die neuere Stiftungsdefinition im Gesetzesentwurf der FDP vom April 2001 vermittelt den Eindruck, daß die finanzielle Förderung die dominante Form der Zweckverwirklichung ist: Eine „Stiftung ist eine nichtmitgliederschaftlich organisierte juristische Person, die einen satzungsgemäß bestimmten Zweck mit Hilfe eines dazu gewidmeten Vermögens dauerhaft fördert.“1 Dabei wird oft übersehen, daß schon die Entscheidung für die konkreten Förderkriterien und das Auswahlverfahren an sich eine operative Tätigkeit ist, die nur für diejenigen Stiftungen entfällt, die einen vom Stifter festgelegten Destinatär aufweisen.

Die Abgabenordnung

In den USA hat die (steuer-)rechtliche Unterscheidung zwischen fördernden und operativen Stiftungen eine relativ große Bedeutung. Das deutsche Recht verwendet die Begriffe „operativ“ und „fördernd“ nicht ausdrücklich. Ob die Stiftung selbst oder durch Dritte ihre Zwecke verfolgt, findet sich allerdings im steuerlichen Gemeinnützigkeitsrecht wieder. Der sogenannte „Grundsatz der Unmittelbarkeit“ in § 57 Abgabenordnung (AO) verpflichtet eine steuerbegünstigte Körperschaft, ihre (gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen) Zwecke „unmittelbar“, d.h. „selbst“ oder durch „Hilfspersonen“ zu verwirklichen. Von diesem Grundsatz machen § 58 Nr. 1-4 AO mehrere Ausnahmen. Die Körperschaft darf hiernach in bestimmten, praktisch wichtigen Fällen auch an andere steuerbegünstigte Körperschaften materielle Vorteile zuwenden („Geld, Arbeitskräfte, Räume“). Man kann daher im Falle des § 57 AO von einer „operativen“ Tätigkeit und im Falle des § 58 Nr. 1-4 AO von einer fördernden Tätigkeit der (gemeinnützigen) Stiftung bzw. Körperschaft sprechen. Das Unmittelbarkeitsgebot des Gemeinnützigkeitsrechts unterteilt also die Stiftungen in solche, die ihren Zweck durch eigene Maßnahmen verwirklichen, und in solche, die durch finanzielle Zuwendung eine Mittlerposition einnehmen. Fraglich ist allerdings, ob eine solche Unterscheidung in der Praxis hilfreich oder eher mißverständlich ist. Denn das Adjektiv „unmittelbar“ bezieht sich auf eine Tätigkeit, die final einen Zweck erfüllen soll. Die Einordnung „unmittelbar“ – „mittelbar“ hängt damit im Ergebnis davon ab, wie der Zweck formuliert wird. Mit anderen Worten, dieselbe Tätigkeit läßt sich je nach der Gestaltung der Satzung als fördernd oder als operativ definieren.2

Statistische Angaben

Gleichwohl arbeiten empirische Untersuchungen zum deutschen Stiftungswesen mit der Unterscheidung operativ/fördernd, wobei sie sich auf die Angaben der Stiftungen verlassen. Die statistischen Angaben des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen weisen bei einer Gesamtheit von 8.263 Stiftungen 60,9 Prozent fördernde Stiftungen aus (BDV 2001: 34). Die Definition für fördernde Stiftungen lautet, daß sie ihre Mittel auf Antrag nach außen bzw. an Dritte vergeben. Die operativen Stiftungen (Stiftungen, die ihre Aufgaben durch Eigenprojekte selbst erfüllen und ihre Erträge anderen nicht zur Verfügung stellen) werden mit einem Anteil von 21,8 Prozent aus gewiesen, die Mischform operativ und fördernd tätig mit 17,3 Prozent (ebd.). Die bisherigen Statistiken des Maecenata Instituts kommen zu vergleichbaren Ergebnissen. In einer neueren Untersuchung hat Sprengel (2001: 73) weitgehend auf die Zweiteilung des Stiftungswesens in operative und fördernde Stiftungen verzichtet. Statt dessen differenziert er das Feld in Anstalten (1759 Nennungen), Preise (630 Nennungen), Eigenprojekte (477), Projektförderung (1978), institutionelle Förderung (1325), Personenförderung (3262) und Stipendien (562 Nennungen).3 Den Angaben des Bundesverbandes und Sprengels ist zu entnehmen, daß die operativen Stiftungen wie die Anstaltsträgerstiftungen bzw. die Mischtypen in Deutschland eine wichtige Größe sind.

Historischer Hintergrund

Zunächst soll über eine knappe historische Rekonstruktion des Stiftungswesens der empirische Teil der Untersuchung kontextuiert werden. Der moderne Stiftungsbegriff – eine Rechtspersönlichkeit, die mit einem Vermögen für die Verwirklichung eines Stifterwillens ausgestattet ist – ist das Ergebnis der Rechtsdogmatik des 19. Jahrhunderts (v. Campenhausen 1998: 25). „Gerade in den Formen körperschaftlicher Organisation und fiduziarischer Stiftungen, deren Stiftungsvermögen im Eigentum eines anderen Rechtssubjekts steht, hat das Stiftungswesen eine große Vergangenheit und Geschichte. Es ist sachgerecht, diese vormodernen Rechtsformen als Vorstufen des Stiftungswesens zu berücksichtigen“ (Ebd.). Die Dogmatik des 19. Jahrhunderts klärte den Unterschied von Körperschaft und Stiftung, schnitt aber die rechtsfähigen von den unselbständigen Stiftungen, die vor der Moderne eindeutig dominierten, ab. Damit wurde eine rechtliche Klärung, aber auch eine Engführung des Stiftungsbegriffs vorgenommen.

Hier zeigt sich ein gewisses Paradoxon. Einerseits gehen die meisten Beobachter des Stiftungswesens davon aus, daß die operative Stiftung die ältere Form ist, andererseits kennzeichnet das 20. Jahrhundert das Verständnis, daß die fördernde Stiftung der dominierende und moderne Stiftungstyp sei. Beide Sichtweisen sind nicht unproblematisch. Strachwitz (1998: 677f.) hat darauf aufmerksam gemacht, daß aus der Existenz der ältesten deutschen Stiftungen – den Anstaltsträgerstiftungen wie die im Jahre 917 gegründete Bürgerspitalstiftung in Wemding – geschlossen wird, daß diese Stiftungen die ursprüngliche Form der Stiftung darstellen und Förderstiftungen erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen. Doch schon im 13. Jahrhundert finden sich neben den Anstaltsstiftungen sogenannte Hauptgeldstiftungen. Die mittelalterlichen Stiftungsbriefe waren sehr individuell ausgestaltet, „ohne daß ein Unterschied zwischen der nur als Mittel zur Verwirklichung eines ideellen Zwecks vorgesehenen Tätigkeit und einer solchen als Inhalt der Zweckverwirklichung in jedem Fall erkennbar wäre.“ (Ebd.: 678) In den meisten Fällen dürfte es schwerlich möglich sein, die mittelalterlichen Stiftungen der Kategorie ‚fördernd‘ oder ‚operativ tätig‘ zuzuordnen. Nach Strachwitz hat sich diese Unterscheidung allein über das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht in das Stiftungswesen eingeschlichen. Gegen diese These spricht freilich, daß auch im juristischen Schrifttum die Unterscheidung kaum eine Rolle spielt. Unseres Erachtens sind für die Ubiquität der Unterscheidung auch Entwicklungen innerhalb des amerikanischen Stiftungswesens verantwortlich. Die amerikanische Entwicklung ließ die Förderstiftungen in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Die großen Stiftungen wie Ford, Rockefeller und Carnegie, die Anfang des 20 Jahrhunderts entstanden, haben die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen – und damit auch deren Fördertätigkeit. Die Dominanz der großen USStiftungen in der internationalen Philanthropie auch nach 1945 ließ die Förderstiftung als den modernen Prototyp der Stiftung erscheinen (vgl. Anheier 2001: 48). „Indeed, the relatively few largest grantmaking foundations began to symbolize in popular understanding the essence of foundations in the United States.“ (Toepler 1999: 164) In den USA kommt hinzu, daß es tatsächlich eine handfeste rechtliche Unterscheidung zwischen operativen und fördernden Stiftungen gibt. In dem Internal Revenue Code finden sich Regelungen, die die operative Stiftung von der fördernden Stiftung unterscheiden. Operativen Stiftungen kommt in den USA damit ein anderer rechtlicher Status als Förderstiftungen zu.

Die Ausführungen belegen, daß die Unterscheidung von operativer und fördernder Stiftungstätigkeit keine historisch-traditionelle Unterscheidung ist. Die Unterscheidung ist vielmehr jüngeren Datums und weist einen steuerrechtlichen Charakter auf. Bestimmte Interessen der Öffentlichkeit an der (amerikanischen) Förderstiftung und dadurch bestimmte Aufmerksamkeitsverschiebungen trugen mit dazu bei, die Unterscheidung festzuschreiben. Im weiteren Gang der Untersuchung wird es immer wieder darum gehen, die Unterscheidung aufzuweichen und den Blick auf die vielfältigen Stiftungsaktivitäten zu richten, ohne sie in dichotome Raster zu drängen.

Das empirische Forschungsinteresse

In unserer Untersuchung haben wir Stiftungen befragt, die sich selbst als operativ oder operativ und fördernd definieren. Unser empirisches Interesse richtete sich auf die Kriterien der Selbstzuordnung, auf die objektiven Merkmale der Stiftungstätigkeit, auf eventuelle Tendenzen in Richtung Förderung durch Beteiligung an anderen Körperschaften und auf die Bewertung der Abhängigkeiten von Kontrollorganen (Finanzamt, Stiftungsaufsicht) und staatlichen Zuschüssen.4 Schon am Anfang der Recherche ist es klar geworden, daß der ausschließlich auf die Art der Zweckverwirklichung gerichtete Sammelbegriff „operativ“ organisatorisch und inhaltlich sehr verschieden agierende Stiftungen in sich birgt (vgl. Strachwitz 1998: 689ff; Sprengel 2001: 73).

  1. Die Projektträgerstiftungen kommen dem Ideal der operativen Stiftung als autonomer Gestalterin der eigenen Zweckverwirklichung am nächsten. Ein Beispiel ist hierfür die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung.
  2. Die Preisstiftungen stehen zwar am Rand der operativen Gruppe, das Beispiel der Robert Koch Stiftung e. V. zeigt jedoch, daß die Ermittlung der Preisberechtigten eine aufwendige operative Tätigkeit sein kann.5
  3. Als klassisch operativ tätig gelten die Anstaltsträgerstiftungen. Hier hat der Stifter ein Gebäude für eine bestimmte Nutzung oder bestimmte Vermögenswerte ausdrücklich für den Betrieb einer Anstalt übertragen. Derzeit bestehen Tendenzen, Eigentum und Betrieb strukturell voneinander zu trennen und Betriebsteile in einer handelsrechtlichen Organisationsform (insbesondere der GmbH) neu zu organisieren. Nicht nur der Unterschied zur Förderstiftung wird durch die Ausgründung beseitigt, sondern auch die bis jetzt ungewöhnliche Konstellation wird so möglich, daß eine gemeinnützige Stiftung zum Träger einer gewerblichen GmbH wird. In der Gruppe der Anstaltsträger werden die Stiftung Neuerkerode, die Stiftung Liebenau und die Fuggerei in Betracht genommen und ihre ‚unternehmerischen‘ Strategien miteinander verglichen.
  4. Das klassische Bild des Dritten Sektors, als vom Staat und Wirtschaft unabhängiger, zwischen beiden vermittelnder Bereich wird durch das Beispiel vieler ostdeutscher Stiftungen in Frage gestellt. An den Beispielen der Deutschen Tanzkompanie und des Bildungs- und Technologiezentrums zu Eisenberg – Stiftung und gGmbH wird u. a. der Frage nachgegangen, inwiefern sich die Stiftungsgründungen in Ostdeutschland als eine Transformationsstrategie betrachten lassen.

 

 

1 Vorschlag der FDP zur Aufnahme einer Stiftungsdefinition in den § 80 des BGB.
2 Zur Veranschaulichung seien einige Beispiele genannt: Beispiel a: Eine Stiftung finanziert eine wissenschaftliche Forschungsarbeit, die sie durch einen angestellten Wissenschaftler erstellen läßt. Hierbei handelt es sich um einen eindeutigen Fall einer “operativen Tätigkeit”. Die Stiftung verfolgt ihren gesetzlich als gemeinnützig anerkannten Zweck 11 Vgl. § 51 Abs. 1 und Abs. 2 a 1. Var. AO: Förderung der Allgemeinheit auf dem Gebiet “Wissenschaft”. Allerdings muß das Ergebnis der Allgemeinheit auch zugänglich gemacht werden. “Erstellung einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit” unmittelbar im Sinne des § 57 AO, nämlich durch den ihr als “Hilfsperson” zurechenbaren Angestellten.
Beispiel b: Eine Stiftung finanziert eine wissenschaftliche Forschungsarbeit, die sie durch einem externen Nachwuchswissenschaftler erstellen läßt (Stipendium). Auf den ersten Blick scheint es sich hierbei um eine “fördernde” Tätigkeit zu handeln: Der Nachwuchswissenschaftler ist in der Regel keine “Hilfsperson” im Sinne des § 57 AO, weil er weder angestellt, noch weisungsabhängig ist. Auch § 58 Nr. 1-4 AO greifen indessen nicht: Erlaubt ist hiernach keine Geld-Förderung an natürliche Personen, sondern nur an andere gemeinnützige Körperschaften (z.B. ein Forschungsinstitut in Form einer gemeinnützigen GmbH). Grund hierfür ist, daß nur Körperschaften, nicht aber natürliche Personen gemeinnützig sein können (siehe die Legaldefinition des § 51 S. 1 AO). Damit ist aber noch nicht gesagt, daß das Stipendium unzulässig wäre. Denn der Fall läßt sich im Ergebnis doch noch als “operative” Tätigkeit unter § 57 AO einzuordnen, indem der Zweck, der “unmittelbar” verwirklicht werden soll, entsprechend präzisiert wird. Das Gesetz verlangt nicht, daß die Forschungsarbeit “erstellt” wird. Ausreichend ist nach Ansicht der Finanzverwaltung auch, daß eine Forschungsarbeit der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird, m.a.W. veröffentlicht wird (vgl. § 51 Abs. 1 und Abs. 2 a 1. Var. AO: Förderung der Allgemeinheit auf dem Gebiet “Wissenschaft”). Bei einer solchen Zweckdefinition muß nur die Veröffentlichung der Arbeit “unmittelbar” durch die Stiftung durchgeführt werden. Die Erstellung der Arbeit hingegen gehört nicht mehr zum “Zweck”, und muß daher nicht von der Stiftung unmittelbar verwirklicht werden.
Beispiel c: Eine Stiftung finanziert ein wissenschaftliches Projekt, das sie durch die Angestellten eines gemeinnützigen Forschungsinstituts erstellen läßt. Nach dem bisher Gesagten hängt es von der Formulierung des Zwecks ab, ob § 57 AO oder § 58 Nr. 1-4 greift. Möglich sind beide Möglichkeiten. Ist der Zweck die “Erstellung der Forschungsarbeit”, so ist das Institut zwar keine “Hilfsperson” im Sinne des § 57 AO. Da es sich aber um eine gemeinnützige Körperschaft handelt, ist eine Geldförderung des Instituts gemäß § 58 Nr. 2 AO zulässig, da die Satzung des Instituts den Zweck “Erstellung von Forschungsarbeiten” enthalten dürfte. Diesen Zweck verwirklicht das Institut “unmittelbar”. Ist der Zweck die “Veröffentlichung der Forschungsarbeit”, so gilt dasselbe wie in Beispiel b: Es liegt eine unmittelbare Zweckverwirklichung i.S.d. § 57 AO vor.
3 Mehrfachnennungen waren möglich. Die Angaben beziehen sich auf 6441 Stiftungen.
4 Eine komplementäre Befragung der (in ihrer Selbstdefinition) Förderstiftungen ist geplant.
5 Ein Porträt der Robert Koch Stiftung e. V. ist im Untersuchungsbericht über die Stiftungen in Körperschaftsform (Adloff/ Velez 2001) zu lesen.