Opusculum 197 | 30.10.2024 |
Vorwort zur Veröffentlichung
Der hier erstmals veröffentlichte Text wurde im November 1973 (!) als schriftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister Artium von der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen. Er befaßt sich mit einer in Großbritannien damals wie heute durchaus bekannten, auf dem europäischen Kontinent und gerade in Deutschland hingegen nur Experten geläufigen radikalen Protestbewegung im Vorfeld des Bürgerkriegs, der 1649 zur vorübergehenden Abschaffung der Monarchie in Großbritannien und zur Hinrichtung von König Karl I. führte. Die Bewegung der Leveller hatte nicht unerheblichen, wenngleich nicht letztlich bestimmenden Einfluß auf die puritanisch-republikanische Selbstvergewisserung, der sie Teile einer theoretischen Folie lieferte. Es hätte im Rahmen dieser Arbeit damals zu weit geführt, mögliche Traditionslinien der Leveller-Bewegung bis zur Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 1776 weiter zu verfolgen. Indizien dafür liegen jedoch vor.
Das Wagnis, diese Qualifizierungsarbeit über 50 Jahre später der Öffentlichkeit vorzustellen, ist zum Teil jüngsten Entwicklungen in Großbritannien geschuldet. Fast 400 Jahre nach den Leveller und 100 Jahre nach den Suffragetten erlebte Großbritannien in diesem Jahr das dort sonst relativ seltene Auftreten radikaler und zum Teil gewalttätiger Protestbewegungen, ein Phänomen, das mit diesem Land üblicherweise nicht assoziiert wird. Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Gewiß hatten die Proteste des Jahres 2024 in London und anderen britischen Städten eine völlig andere politische Zielrichtung. Die hier vorgelegte Veröffentlichung kann aber, so hoffe ich jedenfalls, einen kleinen Beitrag dazu leisten, aufzuzeigen, daß Protest als Ausdruck politischer Mitgestaltung unabhängig von den Positionen der daran Beteiligten eine historische Universalität für sich in Anspruch nehmen kann. Die Leveller waren zu ihrer Zeit bekannt und zu einem gewissen Grade auch gefürchtet. Sie sind in Erinnerung geblieben. Und sie liefern ein Indiz dafür, daß revolutionäre Bewegungen keine Erfindung unserer Zeit sind, sondern in Krisenmomenten der Geschichte ein Bestandteil von Bewältigungsstrategien sein können, so unterschiedlich die Umstände sonst auch sein mögen.
Zugleich wird deutlich, daß der enge Theorie-Praxis-Bezug der Leveller, die Parallelität sich entwickelnder theoretischer Überlegungen und praktischen Handelns eine Besonderheit darstellt, die gewiß nicht einmalig ist, aber eben nicht in jeder revolutionären oder Protestbewegung zutage tritt. Die Anführer der Bewegung veröffentlichten zahlreiche Schriften, von denen manche, aber keineswegs alle Pamphlet-Charakter haben. Geradezu bestechend ist schließlich die Modernität vieler Überlegungen der Leveller, die ideengeschichtlichen Entwicklungen zum Teil erheblich vorgreifen. Nicht zuletzt haben die Leveller erstmals den Entwurf einer Verfassung (paramount law) vorgestellt, der modernen Vorstellungen von einer Verfassung weitgehend entspricht.
Es erschien nicht angebracht, in den Text, der offenkundig von mir heute anders geschrieben werden würde, stärker als zum Verständnis erforderlich war, einzugreifen. Auch konnte nicht versucht werden, heute gängige, aber 1973 Jahren noch völlig unbekannte Begriffe und Zusammenhänge, bspw. Zivilgesellschaft, in den Text einzufügen. Er muß als „vintage“ gelesen und verstanden werden. Die Anregung, das alte Manuskript für eine Online-Veröffentlichung aufzubereiten, verdanke ich Ilka Kleinod, der Leiterin der Maecenata Bibliothek. Ihr und Kira Bönisch, studentische Mitarbeiterin im Kommunikationsteam der Stiftung, die die Korrektur des zunächst elektronisch transponierten Manuskripts besorgte, sei für ihre Mitwirkung herzlich gedankt.
Berlin, im September 2024
Der Verfasser