Im Maecenata-Blog veröffentlicht unsere ukrainische Gastwissenschaftlerin Nataliia Lomonosova alle zwei Wochen einen Text zur Zivilgesellschaft in den osteuropäischen Ländern, insbesondere in der Ukraine.
Nataliia Lomonosova ist Fellow bei der Maecenata Stiftung im Rahmen des Young Ukrainian Scholar Fellowship.
Doch ist sie natürlich noch viel mehr. Damit hinter ihrem Foto und den objektiven Infos auch ein ganzer Mensch sichtbar wird, haben wir sie für euch interviewt:
Liebe Nataliia, wir freuen uns sehr, dich bei uns zu haben. Was hast du denn vor deinem Fellowship hier gemacht?
Ich habe Kulturwissenschaft und Soziologie an der Nationalen Universität Kyiv-Mohyla-Akademie studiert. Während der letzten zehn Jahre habe ich für diverse NGOs in Kyjiw in den Bereichen gesellschaftliche Entwicklung, Bürgerbeteiligung, Kultur und Medien gearbeitet.
Zuerst fing ich an, mich in einigen Kulturprojekten zu engagieren, dann war ich Projektkoordinatorin von ein paar einjährigen, journalistischen Projekten, die sich darauf konzentrierten, denjenigen eine Stimme zu geben, die nicht in den Mainstream-Medien präsentiert werden. Zum Beispiel Graswurzelinitiativen, Gewerkschaften oder einfach aktive Menschen die für ihre Rechte kämpfen.
Die meiste Zeit jedoch habe ich als Forscherin in den Bereichen Sozial- und Wohnungspolitik, Arbeitsbeschäftigung und -migration gearbeitet. In den letzten Jahren habe ich mich insbesondere mit dem Einfluss der Coronapandemie auf diese Sphären beschäftigt.
Neben der Arbeit war ich immer stark in den Aktivismus involviert – zuerst war es eine Studentenbewegung und danach eine soziale Basisbewegung, die sich darauf konzentrierte, soziodemokratische Veränderungen in der Ukraine voranzutreiben.
Was sind deine Forschungsschwerpunkte?
Als Forscherin liegt mein Fokus auf dem Problem der sozialen Sicherheit/ des sozialen Schutzes (social protection), Wohnungsbau, Arbeitsrecht und Arbeitsmigration. Dabei interessiert mich besonders der gesellschaftliche Dialog und die Kooperation zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren und ihre jeweilige Rolle. Konkret sind meine Forschungsschwerpunkte Sozial- und Arbeitspolitik, Arbeitsbeschäftigung, Kommunalverwaltungen und Dezentralizierung in der Ukraine. Ebenso die Kooperation zwischen den Kommunalverwaltungen und CSOs sowie Arbeitsmigration.
Du musstest Kyjiw wegen des Krieges verlassen. Wie gelang dir das? Wie hat sich dies auf dein Leben ausgewirkt?
Ja, es war wirklich beängstigend in Kyjiw, man konnte den Krieg hören. Jetzt vergleiche ich manchmal die Situation mit den Menschen in Kharkiv oder anderen Orten die weit schwerer getroffen sind, aber dennoch war es für mich angsteinflößend. Ich reiste zuerst mit meinen Verwandten Richtung Westen. Wir verbrachten drei Tage im Auto, bevor wir es über die polnische Grenze schafften. Dort wurden wir sehr nett empfangen, was vor dem Krieg undenkbar gewesen wäre. In Polen und in Sicherheit versuchten wir uns zu organisieren. Ich entschied mich dann, nach Deutschland zu gehen, da ich hier enge Freunde habe.
In der Ukraine war ich in viele verschiedene Projekte eingebunden. Manche pausieren momentan, andere bekommen keine Unterstützung mehr, da diese nun in andere Bereiche fließt und eher nicht in Forschungsprojekte. Das ist zwar verständlich aber auch schmerzhaft, da unsere ganze Forschungsarbeit und Energie vielleicht umsonst war. Durch den Krieg hat sich Fokus von heute auf morgen verändert, er hat gewisse (Forschungs-)interessen einfach ausgelöscht. Manchmal befürchte ich, dass sich alles zum Schlechten wenden könnte und die vielen Möglichkeiten die gegeben waren um Dinge im Bereich der sozialen Sicherheit zu verändern nie wieder so da sein werden.
Nun bist du in Berlin – welche Pläne und Ideen hast du für deine Zukunft?
Erstmal habe ich mich entschieden, meine Promotion zu machen, und zwar im Thema Sozialarbeit (care work). Dieses Thema bildet ohnehin einen meiner Forschungsschwerpunkte, den ich beispielsweise auch im Rahmen der Coronapandemie beleuchtete. Aktuell hat es durch den Krieg eine besonders hohe Relevanz. Die SozialarbeiterInnen finden sich in einer noch prekäreren Situation wieder. Besonders im Westen der Ukraine stieg der Druck auf dieses Arbeitsfeld enorm. Ich werde dazu auch empirisch arbeiten und plane eine teilnehmende Beobachtung durchzuführen. Bei meiner empirischen Arbeit gehe ich nach dem Prinzip der Grounded Theory vor, arbeite also induktiv. Mein Aufenthaltsstatus erlaubt es mir, sechs Monate pro Jahr außerhalb Deutschlands zu verbringen und ich plane im Rahmen dessen dann die empirische Forschung durchzuführen.
Nach der Promotion möchte ich mich bei der Arbeit auf jeden Fall nicht nur auf den Bereich der akademischen Forschung beschränken. Ich plane vielmehr, mich auch in der angewandten Forschung im Bereich Arbeit und Social Security zu engagieren. Mein Ziel ist es, mit den Forschungsergebnisse Änderungen in der aktuellen Politik in der Ukraine anzustoßen. Ob es sich um eine Arbeit in einer staatlichen Forschungseinrichtung, im Apparat des Ministeriums für Sozialpolitik der Ukraine oder in einem unabhängigen Forschungszentrum handeln wird – das hängt ganz von der politischen Situation in der Ukraine in den kommenden Jahren ab.
Falls es vorerst gar nicht möglich sein sollte, zurückzukehren, werde ich versuchen, denselben Forschungsschwerpunkt meiner Doktorarbeit auf Deutschland zu richten. Dann wird mein Interesse ukrainischen Geflüchteten gelten, die hier im Bereich der Sozialarbeit (care work) angefangen haben zu arbeiten. Traditionell sind UkrainerInnen eher in Italien in diesem Bereich beschäftigt doch werden sie jetzt in Deutschland schon aktiv angeworben.
Wie ist es für dich, das Fellowship bekommen zu haben und wie bist du darauf gestoßen?
Dieses Fellowship hilft mir als die weiterzumachen die ich bin – eine Forscherin, eine Autorin, eine Aktivistin im Bereich der Zivilgesellschaft. Dies, so glaube ich, ist sehr wichtig für jemanden der fliehen musste uns von seinem sozialen Umfeld abgeschnitten wurde.
Es war und ist eigentlich alles unplanbar für mich. Zuerst dachte ich, ich könnte nach ein paar Wochen wieder zurück. Dann wurde mir klar, dass dies nicht der Fall sein wird. Ich wollte aber meine akademischen Fähigkeiten nicht verlernen, mein Wissen nicht unnütz liegen lassen, sondern es gebrauchen. Eine Freundin von mir von der Europa-Universität Viadrina hat mich auf das Fellowship aufmerksam gemacht. Ich kenne sie aus dem Jahr 2020, als ich in dem vom Cedos Think Tank organisierten „International Forum „Social Dimensions of Migration: Challenges, Rights, Hopes“ Projektkoordinatorin war. Ich habe dort auch eine Forschung durchgeführt zu „The needs and challenges of civil society organizations that work with migrants and mobile populations“, die vom selben Think Tank durchgeführt wurde im Rahmen von „Ukraine Calling: Cross-Sectoral Capacity Building project“.*
Und das Fellowship passte sowohl zu meinen Erfahrungen als auch zu meinen Ambitionen.
Welche Erwartungen und Hoffnungen hast du im Bezug auf das Fellowship?
Meine Hoffnung ist es, im Rahmen des Fellowships einen Einblick in die ukrainische Zivilgesellschaft geben zu können. Denn dies ist ein Bereich, der meiner Meinung nach auch in Deutschland viel zu wenig Beachtung findet. Die Medien fokussieren sich doch stark auf das Kampfgeschehen und nicht auf die Forschung im zivilgesellschaftlichen Bereich.
Ich möchte das Interesse der deutschen Öffentlichkeit für ebendieses Feld wecken. Auch vor dem Krieg richtete sich der Fokus von z.B. Studiengängen wie Osteuropastudien nicht so sehr auf die Ukraine sondern eher auf Länder wie Polen oder Ungarn.
Ich bin stolz darauf, im Rahmen des Fellowship auch in dem großen Projekt Shrinking Civic Space (ECSO) mitwirken zu können und dafür die großen Trends in der ukrainischen Zivilgesellschaft herauszuarbeiten.
In meinen Blogbeiträgen werde ich berichten, was momentan in diesem Berich in der Ukraine, aber auch in anderen osteuropäischen Ländern, passiert. Vor welchen Herausforderungen die Zivilgesellschaft steht, was ihre Rolle ist, welche Lösungen dort für die aktuelle Situation entstehen können und wie sie mit dem Staat kooperiert.
Und zum Schluss interessiert uns natürlich noch, wo du eigentlich so gut Deutsch gelernt hast?
Die deutsche Sprache habe ich erstmal beim Goethe Institut in Kyjiw gelernt. 2016 bis 2017 habe ich dann meinen Freiwilligedienst bei der Autodidaktische Initiative in Leipzig gemacht und konnte dort meine Sprachkenntnisse vertiefen.
Herzlichen Dank dir, Nataliia! Wir sind gespannt auf den Blog!
*The project aims to help develop the potential of organizations from Ukraine, France, Poland and Germany which work in the field of migration (in 2020) and local development (in 2021), as well as to develop intersectoral competences and build transnational dialogue. The project is implemented by the European University Viadrina Frankfurt (Oder) in close cooperation with Cedos Think Tank, Adam Mickiewicz University in Poznan, Centre Marc Bloch Berlin (Germany) and the National Youth Council of Ukraine organized in cooperation with the Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder).