Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft in Österreich

Opusculum 152 | 20.06.2021 | Im Rahmen des vom Maecenata Institut geleiteten Projekts European Civic Space Observatory wurden in dieser Veröffentlichung anhand von Literatur- und Dokumentenanalysen sowie 27 Interviews mit Vertreter*innen von Organisationen der Zivilgesellschaft die Rahmenbedingungen für die österreichische Zivilgesellschaft herausgearbeitet.

Zusammenfassung

Diese Erhebung untersucht Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft in Österreich. Sie wurde am Institut für Soziologie und empirische Sozialforschung der WU durchgeführt. Diese Studie baut auf zwei vorangegangenen Erhebungen zum selben Themenbereich auf und soll damit eine längerfristige Betrachtung der Entwicklungen ermöglichen. Die erste ist die Erhebung „Civil Society Index – Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft in Österreich“ aus 2014 (More-Hollerweger et al., 2014). Die zweite ist das Update Civil Society Index. Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft in Österreich aus dem Jahr 2019 (Simsa et al., 2019).

Während 2014 v.a. Entwicklung der öffentlichen und privaten Finanzierung, demokratische Rechte und Leistungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSO) eine große Rolle spielten, standen im Jahr 2019 die Auswirkungen einer tendenziell autoritären Politik auf die Zivilgesellschaft im Vordergrund, die starke restriktive Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft hatte. Bei der aktuellen Erhebung ging es daher zunächst um eine Analyse des Regierungswechsels zu Beginn des Jahres 2020, der zu einer Koalition von ÖVP und den Grünen führte. Im Verlauf des Jahres gerieten die Auswirkungen der Covid-19 Krise in den Vordergrund.

Mit Zivilgesellschaft beziehen wir uns auf die Sphäre zwischen Staat, Wirtschaft und Privatem, in der Menschen ihre Anliegen kollektiv selbst vertreten und zu gestalten versuchen (Simsa, 2013). Die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen haben hohen Nutzen für die Gesellschaft. Neben der gemeinwohlorientierten Erstellung von Dienstleistungen stärken sie auch Vielfalt, Partizipation und Integration. Die Bedeutung einer pluralistischen Zivilgesellschaft für Demokratie ist unumstritten. Die Demokratie braucht somit die Zivilgesellschaft, allerdings ist die Zivilgesellschaft nicht zwangsläufig demokratisch. Gerade im letzten Jahr gewannen auch illiberale zivilgesellschaftliche Bestrebungen an Bedeutung, vor allem die sogenannten Querdenker. Diese waren in der vorliegenden Erhebung nur am Rande Thema, v.a. beim Abschnitt zu Verhandlungsfreiheit. Vielmehr fokussiert der Bericht in der Tradition der vorangegangenen Erhebungen auf jene Bereiche der Zivilgesellschaft, die den Habermas´schen Anforderungen an Pluralität, Toleranz und Diskursivität entsprechen (Habermas, 1992).

Für das Funktionieren von Zivilgesellschaft sind politische Rahmenbedingungen in vielerlei Hinsicht entscheidend. Abgesehen von allgemeinen Menschenrechten wie Vereins- oder Meinungsfreiheit, spielen Möglichkeiten der Partizipation in Gesetzgebungsverfahren, die Informationspolitik der Regierung, die Qualität des Sozialstaates und die finanzielle Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen (CSOs) durch die öffentliche Hand eine wichtige Rolle. In Anschluss an die Studie von 2019 werden daher die folgenden Themenbereiche analysiert:

  • Das gesellschaftliche Klima in Bezug auf die Zivilgesellschaft
  • Partizipation, also politische Beteiligung der Zivilgesellschaft
  • Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen
  • Die menschenrechtliche Situation
  • Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft

Während 2019 von den Befragten ein sehr homogenes Bild gezeichnet wurde, sind derzeit die Eindrücke und Befunde höchst divers. Manche Befragte beklagen den mangelnden Dialog mit der Politik, andere wiederum sehen ihn als wesentlich besser und intensiver als 2019. Ähnlich ist es mit der Partizipation sowie in Bezug auf die finanzielle Situation.

Deutlich ist, dass sich generell das Klima in Bezug auf die Zivilgesellschaft verbessert hat. Es gibt kaum mehr Abwertungen oder Diffamierungen von Seiten der Politik. Die Pandemie hat zudem die hohe Bedeutung von Dienstleistungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen verdeutlicht, die daher vermehrt geschätzt werden. Armutsgefährdung und Arbeitslosigkeit haben soziale Probleme stärker in die Mitte der Gesellschaft rücken lassen und die pandemiebedingte Einschränkung von Freiheitsrechten hat auch die Bedeutung von Menschenrechten stärker in das Bewusstsein gerückt. Damit sind wichtige Themen der Zivilgesellschaft auch verstärkt präsent und akzeptiert. Gegenwärtig wird von vielen Befragten auch ein besserer Diskurs mit der Politik wahrgenommen, wobei diesbezüglich große Unterschiede zwischen den beiden Regierungsparteien genannt werden.

Das verbesserte Klima und die nun teilweise wieder mögliche Kommunikation hat allerdings wenig Auswirkungen auf die Möglichkeiten der politischen Partizipation gezeigt. Im Gesundheits- und Sozialbereich sowie in der Klimapolitik wird die Expertise der CSOs von Seiten der Politik explizit angefragt und zum Teil berücksichtigt, in anderen Bereichen gibt es aber den Befragten zufolge wenig Partizipation. Interessant ist, dass sich die diesbezügliche Situation seit 2019 nur wenig verändert hat, dass die Zivilgesellschaft dies derzeit aber tendenziell eher zu akzeptieren scheint. Dies kann zum Teil auf die Pandemie zurückgeführt werden. Insbesondere in den ersten Monaten der Krise gab es aufgrund der hohen Unsicherheit mehr Akzeptanz für rasche, wenig inklusive und weniger transparente Entscheidungen. Weiters waren in dieser Zeit Organisationen des Gesundheits- oder Pflegebereichs bis an die Grenzen mit der Bewältigung der stark gestiegenen Arbeitsanforderungen beschäftigt, sodass für Advocacy oder Kritik weniger Zeit blieb. Die Regierungsbeteiligung der Grünen hat polarisierte Auswirkungen auf das kritische Potenzial. So sind CSOs teils weniger kritisch aufgrund von politischer oder auch persönlicher Nähe und auch einer verstärkten Partizipation in den grün geführten Ministerien. Teils aber fällt die inhaltliche Kritik, etwa an der Asylpolitik, durchaus schärfer aus, da Erwartungen enttäuscht wurden. Mit zunehmenden Verlauf der Pandemie jedenfalls wurden Defizite der Partizipation deutlicher und stärker kritisiert. Die Verkürzung von Begutachtungsfristen, welche die Möglichkeit von Stellungnahmen, Transparenz und Vertrauen einschränkte, etwa war nun nicht mehr mit der Dring-lichkeit der Entscheidungen argumentierbar und Verordnungen, die die Grundrechte einschränkten, waren zum Teil heftig umstritten.

Die Covid-19 Pandemie ist mit schweren Einschränkungen sowohl von Grund- und Menschenrechten als auch von bürgerlichen Freiheiten verbunden. Ausgangsbeschränkungen und Abstandsregeln wirken sich auch auf die Versammlungsfreiheit aus. Diesbezüglich gab es im Jahr 2021 eine differenzierte Situation. Einerseits wurden zu Beginn der Pandemie mit dem Verweis auf die Gesundheitssituation Veranstaltungen beschränkt, was von Seiten der Zivilgesellschaft kritisiert wurde. Andererseits aber fan-den unter Beteiligung rechtsradikaler Gruppen gegen Ende 2020 und im Jahr 2021 eine Reihe an teil-weise untersagten Großdemonstrationen gegen die Pandemie-Maßnahmen statt, die ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft aufwiesen, und bei deren Teilnehmer*innen sich teilweise nicht an die Pandemie-Verordnungen hielten. Dass diese Demonstrationen zwar untersagt, aber nicht aufgelöst wurden wurde von der Bevölkerung und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft als irritierend erlebt. Es wurde zudem kritisiert, dass die Polizei bei diesen Versammlungen freundlicher vorging, als etwa bei kleineren Veranstaltungen von Schüler*innen gegen die Abschiebung von Kolleginnen.

In Zusammenhang mit öffentlicher Finanzierung standen im Bericht von 2019 politisch motivierte Kürzungen bei kritischen CSOs im Vordergrund. Dies war nun nicht mehr sichtbar. Allerdings waren die in den Jahren 2018/2019 erfolgten Kürzungen kaum zurückgenommen worden. Ein entscheidender Faktor war der im Juni beschlossene NPO-Notfallfonds in Höhe von 700 Millionen Euro, der wesentlich dazu beigetragen hat, viele der CSOs finanziell abzusichern.

In Bezug auf politische Inhalte wurden Hoffnungen der Zivilgesellschaft vor allem für Verbesserungen im Asylbereich und in der Sozialhilfegesetzgebung enttäuscht. Das ganze letzte Jahr war durch Covid-19 und dem Umgang mit der Pandemie dominiert und führte zum Verschieben von anderen zukunfts-wichtigen Agenden, wie z.B. dem Kampf gegen die Klimakrise.

Die Covid-19 Pandemie und die Maßnahmen der Bundesregierung stellten die Zivilgesellschaft und die CSOs vor viele Herausforderungen und führte bei ihren Akteur*innen zu erheblichen Belastungen. Es bleibt zu hoffen, dass die von der Regierung geplanten Vorhaben (z.B. Initiativen zur Freiwilligenarbeit im Jahr 2021) aufgenommen werden und Ausgaben für das Auffangen der Nebenwirkungen der Pande-mie nicht einem neuen Sparkurs zu Lasten der CS0s geopfert werden. Auch ist in vielen Bereichen der Gesellschaft ein neues Bewusstsein für die Wichtigkeit von Freiheits- und Versammlungsrechten gewachsen. Das kann dazu führen, dass die Wichtigkeit der CSOs in der Zeit nach der Pandemie steigen kann, wenn es gelingt mehr Menschen für ihre Anliegen zu mobilisieren.

Methodische Grundlage der vorliegenden Erhebung bildeten erstens Literatur- und Dokumentenana-lysen. Zweitens wurden zwischen Dezember 2020 und Februar 2021 insgesamt 27 Interviews mit Vertre-ter*innen von Organisationen der Zivilgesellschaft (CSOs) geführt.