1. Das Thema
Wenn man das Analoge in die breiten Diskurse über die Digitalisierung einbeziehen will, meldet sich sehr schnell ein moralisches Parfum. Die Berufung auf analoge Beschränktheit wird als ein Gegenentwurf zur digitalen Grenzen- und Ortlosigkeit in Muster eingebaut, die wir aus den Gerechtigkeits- und Ökologiedebatten der letzten Jahrzehnte hinreichend kennen und die sich zu Fragen-Clustern entwickeln:
Wie wollen wir leben?[1]
Was hält uns zusammen?[2]
Wieviel ist genug?[3]
Redet man über Digitalisierung, sollte man aber auch über das Analoge sprechen. Aber das tun wir nicht. Sagen wir mal so: Wir tun es selten. Und wenn wir über das Analoge reden, werden wir zweifelnd, verlegen, raunend. Wir haben dann das Gefühl, wir müssten etwas verteidigen, was wir andererseits nicht so richtig formulieren können. Und vor allem: Wir sind sehr bemüht, nicht den Eindruck einer Verliebtheit in das Gestrige zu erzeugen. Wir möchten im Hier und Jetzt bleiben und tauchen doch in die Philosophiegeschichte ein und treffen uns bei Thomas von Aquins analogia entis [4], in der er die schicksalhafte Verkettung der menschlichen Existenz (des Seins) mit Gott (dem höchsten Sein) beschreibt. Die Entitäten, die Konstanten der Philosophiegeschichte werden uns noch lange weiterverfolgen, bis tief in die noch nicht beschreibbaren und dennoch ‚matrix‘-haft[5] aufgeladenen Phasen einer hochentwickelten digitalisierten Zukunft. Was sind wir? Datenstrom? Materie?
Vielleicht ist das zu viel Heidegger auf zu engem Raum. Ob bei ihm eine Begründung steckt dafür, dass wir uns so schwertun, über das Analoge zu sprechen? Warum wir in vorgefasste Ideen — von Sachen, vom Sein — zurückfallen, nur, um modern zu bleiben und dabei dann gleichzeitig unsere Existenz romantisch-sinnlich verklären. Wir trauen dem ‚Ding-an-sich’[6] nicht mehr, da, wo das ‚Virale‘ für das kokette Anrichten von Chaos steht. Oder stand? Es mag sein, dass sich da gerade etwas ändert.
[1] Wie wollen wir leben? Unter dieser Überschrift stehen inzwischen zahlreiche Publikationen und Appelle. Eigentlich eine wohlfeile Frage, deren Beantwortung in den allermeisten Fällen ins Stocken gerät, weil bei den meisten Menschen die Imaginationskraft nicht ausreicht, um eine stabile Vision von einer eigenen künftigen Existenz zu entwickeln.
[2] Was hält uns zusammen? Eine Frage, die anders als die davor, sofort in den Sog konkreter Themen gerät. ZDF-Intendant Dieter Stolte stellte sie 1993 vor einer internen Runde der ZDF-Führungskräfte in Bezug auf die damals noch frische deutsche Vereinigung. Andere Fokussierungen sind: Einwanderungspolitik, bürgerliche Selbstverantwortung, aber auch: Ehe.
[3] Wieviel ist genug? Es erwischt eigentlich jeden auf dem falschen Fuß, wenn er das beantworten soll und erzeugt ein schlechtes Gewissen. In dieser Fragestellung verbirgt sich neben einer wachstums- und kapitalismuskritischen Haltung auch die Einsicht in die Beschränktheit menschlicher Energie.
[4] Analogia entis: Ähnlichkeit des Seins, ein Grundbegriff der mittelalterlichen Scholastik; Bezug zur ontologischen Entsprechung zwischen Gott und der von ihm geschaffenen Welt. Thomas von Aquin folgt Aristoteles: Es gibt keine Aktualität, die allem Sein gemeinsam ist, man kann nur von Analogie sprechen.
[5] Matrix (engl. The Matrix): Science-Fiction-Film 1999 USA/Australien. Buch und Regie: Die Wachowskis. Der Film gilt als Schlüsselwerk für eine kreative Befassung mit künftigen Realitäten.
[6] Das „Ding-an-sich“ stammt aus Immanuel Kants dualistischer Philosophie. Es ist eine Art Oberbegriff für ausschließlich über den Verstand wahrnehmbare, also „intelligible“ Gegenstände und auch für denkmögliche Entitäten (ein Dasein, dass auf einer Informationsmenge beruht). „Ding-an-sich“ hat keine Entsprechung in der sinnlichen Anschauung.