Bürgerliche Stiftungen im Sozialismus: die Peter-Warschow-Sammelstiftung in Greifswald

Opusculum 138 | 01.08.2020 | Oskar Böhm zum ostdeutschen Stiftungswesen und der Geschichte der Peter-Warschow Stiftung

1. Einleitung

In diesem Jahr feiert die Bundesrepublik 30 Jahre Wiedervereinigung. Doch obwohl sich die beiden Teile Deutschlands in vielerlei Hinsicht wieder aneinander angeglichen haben, gibt es Bereiche, an denen sich nach wie vor der ehemalige Grenzverlauf nachzeichnen lässt. Dazu zählt neben der Größe landwirtschaftlicher Betriebe oder dem verfügbaren Einkommen pro Haushalt auch die Stiftungsdichte.[1]

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es derzeit insgesamt 163 Stiftungen. Das ist die niedrigste Zahl an Stiftungen im Ländervergleich – Tendenz sinkend, denn 2013 waren es noch 169. Zum Vergleich: Der Spitzenreiter Nordrhein-Westfalen bringt es momentan auf über 4.447 Stiftungen.[2] Auch relational bilden Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit etwa 10 Stiftungen auf 100.000 Einwohner das Schlusslicht. Hamburg steht dem mit 78 Stiftungen pro 100.000 Einwohnern gegenüber.

Die Ursachen für diesen eklatanten Unterschied zwischen Stadt und Land sowie Ost und West sind gewiss vielfältig. Das Gefälle lässt sich aber am ehesten mit der Geschichte der DDR und dem damit verbundenen Stiftungssterben erklären. Die sozialistischen Behörden lösten zahlreiche Stiftungen auf oder vereinten sie zu Sammelstiftungen – nur wenige von ihnen waren bei der Wiedervereinigung 1990 noch übrig. Die strukturelle Unterentwicklung ostdeutscher Bundesländer erschwerte schließlich das Entstehen neuer philanthropischer Einrichtungen in den 1990er Jahren.[3] Eine der Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern, die bis heute existiert, ist die 1486 gegründete Peter-Warschow-Stiftung in Greifswald.[4] Sie ist derzeit eine von insgesamt vierzehn Stiftungen in der Stadt.[5] Aus einem Verzeichnis der Greifswalder Stadtverwaltung geht hervor, dass 1942 noch 74 Stiftungen in der Hansestadt existierten.[6] Die Peter-Warschow-Sammelstiftung ist anders als beispielsweise die Succow-Stiftung oder die Johanna-Odebrecht-Stiftung nur wenigen Greifswaldern bekannt. Dabei ist sie die älteste bürgerliche Stiftung in der Stadt und gehört zum immateriellen Kulturerbe.  Seit 1952 ist sie eine Sammelstiftung, die den Großteil der ehemaligen Greifswalder Stiftungen vereint.

Was eine Stiftung ist, wird bis heute weder durch die Landesstiftungsgesetze noch durch das Bürgerliche Gesetzbuch eindeutig definiert. Die begriffliche Klärung muss also von ihrem Sprachgebrauch abgeleitet werden. Eine Stiftung ist ein Akt des Zurverfügungstellens von Vermögensmassen, verbunden mit einer bestimmten Widmung – dem Stiftungszweck. Gleichzeitig kann eine Stiftung ein (selbstständiges) wirtschaftliches Unternehmen darstellen, das über eine eigene Organisation verfügt und seine Verwaltung selbst übernimmt.[7] Stiftungen zeichnen sich durch ihre Langlebigkeit und Nachhaltigkeit aus. Sie sollen ihren Stifter überdauern und auf lange Sicht ihren Zweck erfüllen. Stiftungen sind zudem an ein gesellschaftliches Versprechen geknüpft. Der Anreiz zu stiften besteht unter anderem in der Zusage, dass der eigene Name für das Stiftungsvorhaben steht und die wohltätigen Handlungen vom Stifter bestimmt werden. Das Zusammenlegen von Stiftungen in Sammelstiftungen löst dagegen die Namen der Donatoren von der Stiftungsmasse und lässt sie hinter einem übergeordneten Stiftungsnamen und abgeänderten Bestimmungen verschwinden.

Stiftungen haben eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Dimension. Sie geben der Nachwelt Auskunft über soziale und ökonomische Umstände sowie über moralische Vorstellungen ihrer Entstehungszeit. Sie können die politische Ordnung stützen und dort als Korrektiv wirken, wo Bedürfnisse nicht gedeckt werden. Stiftungsgeschichte ist zugleich die Geschichte von Armut und Reichtum. Soziale Stiftungen zeugen von gesellschaftlichen Ungleichheiten: von Überfluss auf der einen und Mangel auf der anderen Seite. In ihrer Existenz und im Umgang der Herrschenden mit ihnen, lassen sich darüber hinaus gesellschaftliche Umbrüche und Kontinuitäten ablesen. Stiftungen sind daher ein wichtiger Untersuchungsgegenstand für historische Forschungen.

1.1. Historischer Kontext und Forschungsstand

Die deutsche Stiftungsgeschichte des 20. Jahrhunderts spiegelt sich in den Ereignissen zwischen Deutschem Kaiserreich und wiedervereinigtem Deutschland. Wirtschaftliche Prosperität und das Vertrauen in das neugegründete Deutsche Kaiserreich führten zu einem Aufschwung im Stiftungswesen.[8] Das engagierte Bürgertum gründete bis 1900 derart viele Stiftungen, dass selbst hundert Jahre später diese Zahl nicht wieder erreicht werden konnte.[9]  Im 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert wurden vor allem Kapitalstiftungen gegründet, deren finanzielle Grundlage auf Wertpapieren und Bargeld beruhte. Dieses monetäre Fundament brach nach dem Ersten Weltkrieg zusammen und rief die erste tiefgreifende Krise der deutschen Stiftungslandschaft hervor. Die Kriegsanleihen, auf die viele Stiftungen gesetzt hatten, waren wertlos geworden und die Hyperinflation der frühen 1920er Jahre führte zur Vernichtung von Stiftungsvermögen.[10] Von dieser Krise konnte sich das Stiftungswesen nicht wieder erholen. Das postwilhelminische Bürgertum stand dem neuen Staatsgebilde der Weimarer Republik oft skeptisch gegenüber und war gehemmt, die Gesellschaft mäzenatisch zu fördern.[11] Das zeigt, so Jürgen Kocka, dass es keine Kausalität zwischen Pluralismus und Demokratie und der Zunahme an Stiftungsgründungen gebe.[12] Stiftungen, deren Vermögen wie das der Peter-Warschow-Stiftung vor allem in Immobilien bestand, blieben von den finanziellen Schwankungen und Krisen der 1920er Jahre weitestgehend verschont, gerieten aber zur Zeit des Nationalsozialismus in eine – nun unter politischen Vorzeichen stehende – zweite Krise. Besonders jüdische Stiftungen wurden dabei häufig ins Visier der Behörden genommen und mutwillig aufgelöst. Auch die Bombardierung deutscher Städte vernichtete das Vermögen vieler Stiftungen, deren wirtschaftliche Grundlage der Besitz von Gebäuden darstellte.[13]

Die bis heute noch zum Teil vertretene Lehrmeinung, Stiftungen seien nach 1945 in der sowjetisch besetzten Zone und in der DDR fast ausnahmslos enteignet und vorsätzlich aufgehoben worden, kam bereits in den 1960er und 1970er Jahren in der Bundesrepublik auf.[14] Auch nach der Wiedervereinigung setze sich die Auffassung fort, dass der Sozialismus die meisten Stiftungen zerstört habe. So wurde die Politik der SED als „Kahlschlag”[15], ihr Resultat gar als „Stiftungswüste“ bezeichnet.[16] Diese Sicht scheint heute eher politisch motiviert als empirisch belegt zu sein. In der Tat verringerte sich die Zahl mäzenatischer Einrichtungen nach 1945 sehr deutlich, aber dieser Umstand hatte andere Ursachen als eine generelle Zwangsauflösung. Vereinzelt lassen sich sogar Stiftungsgründungen im Sozialismus nachweisen. Die Idee des Stiftens lebte also auch in der DDR fort.[17] Die heutige Forschung bemüht sich für die Zeit nach 1945 vielmehr um eine gesamtdeutsche Darstellung der Stiftungsgeschichte. So verweist Rupert Strachwitz auf die unterschiedlichen Einstellungen der vier Besatzungsmächte den deutschen Stiftungen gegenüber: Während die Sowjetunion prinzipiell eine Machtverteilung auf private Initiativen abgelehnt habe, verhielten sich auch Frankreich mangels eigenem Stiftungsrecht und Großbritannien aufgrund sozialistisch geführter Regierung zu dieser Frage eher skeptisch bis ablehnend. Einzig die USA sei gegenüber Stiftungen grundsätzlich positiv gestimmt gewesen.[18]

Die Geschichte der Stiftungen in der DDR ist nach wie vor ein recht unerforschtes Gebiet. Lange Zeit gab es kaum historische Untersuchungen zu Stiftungen in der DDR. Das mag unter anderem daran liegen, dass nur wenige eine Stiftungskultur im Staatssozialismus vermuteten.[19] Das Stichwort „Stiftung“ lässt sich bis heute in den Sachregistern der großen Handbücher zur DDR-Geschichte nicht finden. Immerhin ist 2018 bereits die zweite – wenn auch nur 60 Seiten umfassende – Monografie über das Stiftungswesen der DDR erschienen.[20] Zehn Jahre zuvor hatte Robert Schwarz die erste Einzeldarstellung zu diesem Thema vorgelegt.[21]

Seit der Wiedervereinigung wurde das Stiftungswesen der DDR vor allem aus einer rechtlichen Perspektive untersucht, die ergründen sollte, inwieweit Stiftungen wiederbelebt werden können. Das umfassendste Werk, auf das auch in dieser Arbeit zurückgegriffen wurde, ist die 2002 an der Universität Jena erschienene Dissertation von Heiko Denecke.[22] Aus juristischer Perspektive untersuchte er die Möglichkeiten einer Restitution von Stiftungs-vermögen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.[23] Überblickswerke und Aufsätze über das Stiftungswesen fußen bisher auf regionalen Studien der Länder Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. So beschränkt sich das einzige Sammelwerk, das der Stiftungsgeschichte zwischen 1945 und 1990 eines Landes gewidmet ist, ausschließlich auf Brandenburg.[24] Über das Stiftungswesen Mecklenburg-Vorpommerns gibt es daher kaum Forschungsliteratur. Der Nord-Osten wird in den einschlägigen Werken nur am Rande behandelt. Robert Schwarz widmet dem Bundesland immerhin ein knappes Kapitel, konzentriert sich dann aber überwiegend auf Sachsen.[25] Der Forschungsstand lässt also immer noch viele Fragen offen. Es fehle zudem, so schreibt Adam im Ausblick seiner letzten Publikation, generell an „Studien zum Stiftungswesen einzelner Städte und Regionen“ sowie „Studien zu einzelnen Stiftungen.”[26] Auch die Peter-Warschow-Stiftung, immerhin die älteste bürgerliche philanthropische Einrichtung ihrer Stadt, ist bisher kaum untersucht worden und wird allenfalls beiläufig erwähnt.[27] Auch auf der Internetseite der Peter-Warschow-Stiftung finden sich zur Zusammenlegung der Greifswalder Stiftungen kaum Informationen.[28]

An dieses Desiderat, weitere lokale Gegebenheiten zu untersuchen, soll die vorliegende Arbeit anknüpfen. Das Land Mecklenburg beziehungsweise der Bezirk Rostock, die Stadt Greifswald und im Besonderen die Peter-Warschow-Stiftung stehen dabei im Mittelpunkt der Untersuchung. Dies erweitert das Verständnis über den Spielraum von lokalen Akteuren in der DDR bezüglich des Stiftungswesens. Da diese Arbeit vornehmlich eine Einzelfallstudie vorlegt, darf auch eine Darstellung der historischen Genese der Peter-Warschow-Stiftung nicht fehlen. Eine Beurteilung über ihr Schicksal im Sozialismus, inwieweit die Peter-Warschow-Stiftung in Organisationsform und Zwecken während der DDR-Zeit abwich, setzt eine historische Untersuchung bis zum Ausgangspunkt der Stiftungsgründung voraus. Die Betrachtung der Stiftung in ihrer Entwicklung durch die Jahrhunderte zeigt darüber hinaus, wie weit sie bereits vor 1945 von ihrem Ursprung entfernt war. Welche Rolle spielte schließlich die Historizität der Peter-Warschow-Stiftung im 20. Jahrhundert?

Der Titel der Arbeit „Bürgerliche Stiftungen im Sozialismus“ könnte allerdings irreführend sein. Gemeint sind zwar Stiftungen bürgerlichen Rechts, aber der Titel „Bürgerliche Stiftungen“ bezieht sich vielmehr auf die soziale Gruppe des Bürgertums, die durch ihr Engagement das Stiftungsleben der Moderne bestimmte. Beschränkt wird die Untersuchung zudem auf weltliche Stiftungen – also Stiftungen, die unter Aufsicht des Staates und nicht der Kirche standen. Während kirchliche Stiftungen unberührt blieben, aber Stiftungen, die dem Adel entsprangen, gezielt aufgelöst wurden, blieben bürgerliche im Spannungsfeld zwischen Überleben und Aufhebung. Daraus ergibt sich die Frage, in welchem Umfang Stiftungen in Greifswald aufgelöst beziehungsweise zusammengelegt wurden. Waren diese Maßnahmen pragmatisch oder ideologisch motiviert? Ferner ist zu untersuchen, welche Stiftungen in der Peter-Warschow-Sammelstiftung aufgingen.

Die zentrale Frage ist, warum die Peter-Warschow-Stiftung als eine der wenigen bürgerlichen, philanthropischen Institutionen den Staatssozialismus überlebte, während so viele andere Stiftungen aufgelöst wurden. Oder anders gefragt: Wie überlebte eine bürgerliche Stiftung den Staatssozialismus der DDR? Konnte die Peter-Warschow-Stiftung dabei fortlaufend ihren Zielen gerecht werden oder wurde sie stark eingeschränkt? Blieb am Ende nur der Name übrig?

Weiter soll bestimmt werden, welche Akteure bei dem Zusammenschluss eine Rolle spielten. Gab es Personen, die Aufhebungen aktiv vorantrieben oder sich für den Erhalt von Stiftungen einsetzten? Wie weit ging dabei historische Bewusstsein der Verantwortlichen? Auch soll auf die Frage eingegangen werden, in welchem Maß generell die Greifswalder Sammelstiftungen von anderen Sammelstiftungen abwichen. Nahm die Hansestadt dabei eine Sonderrolle ein? Oder glichen die Maßnahmen in Greifswald dem DDR-weiten Vorgehen?

1.2. Quellenbestand

Unterschiedliche Quellen berichten heute über Stiftungen und ihre Entstehung. So finden sich in den Archiven der jeweiligen Behörden Akten, die durch die staatliche Aufsicht und Verwaltung von Stiftungen entstanden sind. Durch diese Archivalien kann mehr als die Vermögensverwaltung nachvollzogen werden: Für den hier angesetzten Untersuchungszeitraum von 1945–1990 lassen sich aus der Korrespondenz zwischen den einzelnen Behörden die Einschätzungen und Meinungen der Funktionäre herausarbeiten. In ihnen wird deutlich, wie Stiftungen gesehen und Stiftungsauflösungen gerechtfertigt wurden. Weitere entscheidende Quellen stellen Testamente und Stiftungssatzungen dar. Diese normativen Texte begründen die Stiftung und tragen damit ebenfalls einen faktischen Charakter – sie sagen nicht nur aus, wie die Stiftung sein soll, sondern auch, dass sie existiert. Eine Stiftungssatzung belegt somit das Vorhandensein von Stiftungen, Vermögen und Stifterwillen. Ob die festgesetzten Ziele auch eingehalten wurden, kann eine Stiftungssatzung allerdings nicht erzählen. Darüber können beispielsweise die Protokolle der Stiftungssitzungen Aufschluss geben – für die Peter-Warschow-Stiftung sind diese bis in die 1960er Jahre überliefert. Schließlich kann auch das Stiftungsvermögen selbst zur Quelle werden. Sachüberreste, wie gestiftete Gebäude, Ländereien und Gegenstände berichten somit über die Verfasstheit von Stiftungen.

Die Quellen, die die Peter-Warschow-Stiftung betreffen, befinden sich heute aufgrund vielfältiger administrativer Zuständigkeiten an verschiedenen Orten. So ließen sich für die Untersuchung in dieser Arbeit Archivalien im Stadtarchiv Greifswald, im Landesarchiv Greifswald, im Bundesarchiv sowie in der Peter-Warschow-Stiftung selbst finden.

Im Stadtarchiv Greifswald sind in Rep. 6 („Städtische Akten nach der Auflösung der Zentralregistratur um 1920”) Dokumente von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts überliefert, die über die Peter-Warschow-Stiftung Aufschluss geben. Dort finden sich vor allem die Protokolle der Jahresversammlungen (bezeichnet als „Kollation”).[29] In Rep. 7 („Städtische Akten 1945–1973”) sind Quellen zur Stiftungsverwaltung der Peter-Warschow-Stiftung, sowie Ratsprotokolle und Protokolle der Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung überliefert. Für die letzten zwei Jahrzehnte existieren allerdings kaum Akten, die über die Arbeit der Peter-Warschow-Stiftung oder den Umgang mit ihr berichten. Zwei aufschlussreiche Dokumente aus dem Jahr des 500-jährigen Gründungsjubiläums 1986 ließen sich immerhin in Rep. 8 („Städtische Akten 1974–1990”) finden.

Im Landesarchiv Greifswald ist nur eine Quelle überliefert, die über die Arbeit der Peter-Warschow-Stiftung Auskunft gibt. Darüber hinaus lassen sich jedoch Dokumente finden, die den Entstehungsprozess der im Jahr 1956 aufgesetzten Satzung der Peter-Warschow-Sammelstiftung nachvollziehen lassen.[30]

In der Stiftung selbst finden sich Quellen aus der eigenen Verwaltung sowie aufgehobene Zeitungsartikel und Dokumente aus der Recherche der 1990er Jahre.[31] Die Peter-Warschow-Stiftung legte im Zuge der Restitution Beweise zusammen, die das Vermögen belegen sollten, auf das sie Anspruch erhob.

Die DDR ließ in jedem Bezirk Fragebögen ausfüllen, um Kenntnis über alle Stiftungen im Land zu erlangen. Thomas Adam hat diese Quellen ausfindig gemacht und ausgewertet.[32] Im Bundesarchiv liegen die Unterlagen, welche die Greifswalder Stiftungen betreffen, unter BArch DO 1/ 9258–9260. Der Bundesarchiv-Bestand DO 1 umfasst die überlieferten Akten, die im Ministerium des Innern der DDR angelegt wurden. Hierin sind nebst den Fragebögen unter anderem auch Abschriften von Rundschreiben enthalten, die Informationen über behördliche Einschätzungen und Anweisungen zum Umgang mit Stiftungen geben.

1.3. Gliederung

Die vorliegende Arbeit ist größtenteils chronologisch aufgebaut und beginnt mit der Gründung der Peter-Warschow-Stiftung im 15. Jahrhundert. Darauf folgt ein systematisch unterteiltes Kapitel, worin die Grundlagen des ostdeutschen Stiftungswesens erläutert werden. Es soll gezeigt werden, wie abhängig Stiftungen von gesellschaftspolitischen Tendenzen, ökonomischen Gegebenheiten, normativer Ausgestaltung und lokalen Akteuren waren. Zudem richtet sich der Blick auf die gesetzliche Grundlage von Stiftungen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Anschließend erfolgt eine dreischrittige Darstellung der Greifswalder Stiftungsgeschichte in der DDR, wobei der Peter-Warschow-Stiftung die Hauptrolle zukommt. Der erste Teil untersucht die Auflösungen und Zusammenlegungen, die auf Anweisung der Landesregierung Mecklenburgs bis 1952 durchgeführt wurden. Vier Sammelstiftungen wurden in Greifswald ins Leben gerufen, die einzeln vorgestellt werden. Zusätzlich ist ein Exkurs zu den Greifswalder Stipendienstiftungen angefügt, deren Auflösung in der DDR bisher noch nicht aufgearbeitet wurde. Die Erfassung aller Greifswalder Stiftungen durch das Ministerium des Innern der DDR im Jahr 1953 ist Gegenstand des darauffolgenden Kapitels. Dies war die Grundlage für eine erneute Zusammenlegung verschiedener Stiftungen zur Peter-Warschow-Sammelstiftung im Jahr 1956, was im anschließenden Teil untersucht wird. Der Neuanfang und die Restitution der Peter-Warschow-Stiftung nach 1990 stellen schließlich das letzte Kapitel des Hauptteils dar. Im Fazit sollen daran anschließend, neben der Beantwortung der Fragestellung, neue Perspektiven zur Aufarbeitung der deutschen Stiftungsgeschichte besprochen werden.

[1] Christian Bangel: Das geteilte Land, in: Zeit Online am 2.10.2014, zuletzt aktualisiert am 9.11.2019, https://www.zeit.de/feature/mauerfall-das-geteilte-land, 15.12.2019, 12:26 Uhr; ferner Bundesverband Deutscher Stiftungen. Umfrage unter den Stiftungsaufsichtsbehörden, Stichtag 31. Dezember 2018. Berlin 2019, https://www.stiftungen.org/stiftungen/zahlen-und-daten/grafiken-zum-download.html, 29.11.2019, 14:50 Uhr.

[2] Bundesverband Deutscher Stiftungen, Umfrage (wie Anm. 1), Stipendienstiftungen sind von dieser und den folgenden statistischen Angaben ausgenommen.

[3] Eine Gegenüberstellung zwischen West- und Ostdeutschem Stiftungswesen findet sich zuletzt bei Clemens Striebing: Stiftungen in Ost und West, in: Helmut K. Anheier u.a. (Hrsg.): Stiftungen in Deutschland 3. Portraits und Themen, Wiesbaden 2017, S. 127–141.

[4] Der Name Peter-Warschow-Stiftung wird im Folgenden synonym für die anderen Bezeichnungen Peter-Warschow-Sammelstiftung und Peter-Warschow-Grundstiftung verwendet.

[5] Für Greifswald listet das Justizministerium in Schwerin derzeit elf weltliche und drei kirchliche Stiftungen auf, von denen nur zwei auf die Zeit vor der Wiedervereinigung zurückgehen. Vgl. Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern, Allgemeines zum Stiftungsverzeichnis Mecklenburg-Vorpommern, http://www-neu.mvnet.de/cgi-bin/im_stiftung/stiftung_anzeigen.pl, 4.5.2019, 12:53 Uhr.

[6] PWSS, Verzeichnis der Stiftungen, Anstalten und Einrichtungen der Stadt Greifswald – „Anlage dem Beschluß [sic!] des Oberbürgermeisters vom 30. Dezember 1942“.

[7] So werden heute auch GmbHs oder Vereine als Stiftung bezeichnet, obwohl sie rechtlich anders gefasst sind. Eine gute und immer noch aktuelle Übersicht zur Begriffsklärung aus rechtlicher Sicht findet sich bei Hans Berndt: Stiftung und Unternehmen. Rechtsvorschriften, Besteuerung, Zweckmäßigkeit, Herne 1995, S. 38–40.

[8] Jürgen Kocka: Die Rolle der Stiftungen in der Bürgergesellschaft der Zukunft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 51.14 (2004), S. 3–7, hier S. 7.

[9] Rainer Sprengel: Stiftungen und Bürgergesellschaft. Ein empirischer, kritischer Überblick, in: Anette Zimmer/Stefan Nährlich (Hrsg.): Engagierte Bürgerschaft. Traditionen und Perspektiven, Opladen 2000, S. 231–245, hier S. 231.

[10] Thomas Adam: Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Stiftungen und ‚totem Kapital‘, in: Thomas Adam/Manuel Frey/Rupert Strachwitz (Hrsg.): Stiftungen seit 1800. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Stuttgart 2018, S. 179–202, hier S. 179.

[11] Kocka: Rolle der Stiftungen (wie Anm. 8), S. 7.

[12] Ebd.; auch Thomas Adam schließt sich dieser Meinung an und geht sogar einen Schritt weiter: Mildtätige Stiftungen können seiner Auffassung nach der Stabilisierung von Diktaturen dienen. Vgl. Thomas Adam: War die DDR ein stiftungsfreier Staat? Alte und neue Stiftungen in der DDR, in: Stiftung&Sponsoring 13.5 (2018), S. 24–25, hier S. 25.

[13] Ders.: Zivilgesellschaft oder starker Staat? Das Stiftungswesen in Deutschland (1815–1989), Frankfurt a. M./New York 2018, S. 224; allerdings war die Geschichte der Stiftungen in Deutschland während des Nationalsozialismus nicht nur von Repression und Zerstörung gekennzeichnet. Beflügelt durch Steuererleichterungen riefen nun vor allem Firmen Stiftungen ins Leben, was zu einer deutlichen „Gründungswelle“ führte. Siehe dazu Michael Werner: Stiftungen und Mäzenatentum zwischen Weimarer Republik und Drittem Reich, in: Thomas Adam/Manuel Frey/Rupert Strachwitz (Hrsg.): Stiftungen seit 1800. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Stuttgart 2018, S. 71–96, hier S. 88.

[14] Vgl. Albert K. Franz: Das große Stiftungssterben in Mitteldeutschland, in: Albert K. Franz u.a. (Hrsg.): Deutsches Stiftungswesen 1948–1966. Wissenschaft und Praxis, Tübingen 1968, S. 435–445, hier S. 435; sowie Harry Ebersbach: Handbuch des deutschen Stiftungsrechts, Göttingen 1972, S. 327.

[15] Axel Freiherr von Campenhausen/Herbert Kronke/Olaf Werner (Hrsg.): Stiftungen in Deutschland und Europa, Düsseldorf 1998, S. 183.

[16] Sprengel: Bürgergesellschaft (wie Anm. 9), S. 238.

[17] Thomas Adam: Stiften in der DDR (Beiträge zur Theorie, Geschichte und Praxis der Stiftung, Bd. 1), Leipzig 2018, S. 57–58. Siehe dazu auch S. 13 in dieser Arbeit.

[18] Rupert Strachwitz: Die Stiftung – ein Paradox? Zur Legitimität von Stiftungen in einer politischen Ordnung (Maecenata Schriften, Bd. 5), Berlin 2010, S. 146.

[19] Adam: Stiften (wie Anm. 17), S. 62.

[20] Ebd. Dieses Werk stellt dabei vor allem die Untersuchungen der 1953 von der DDR erfassten Stiftungen in den Mittelpunkt, weniger den Akt des Stiftens im Sozialismus, wie der Titel vermuten lässt.

[21] Robert Schwarz: Das Stiftungswesen in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik zwischen 1945 und 1989. Zugleich ein Beitrag zum deutschen Stiftungsrecht unter dem Einfluss der Regime (Europäische Hochschulschriften Reihe 2, Rechtswissenschaft, Bd. 4653), Frankfurt a. M. 2008.

[22] Heiko Denecke: Die vermögensrechtliche Anspruchsberechtigung der selbstständigen privatrechtlichen Stiftung unter Berücksichtigung ihrer historischen Entwicklung, Jena 2002.

[23] Siehe dazu auch ders.: Die Reaktivierung von Alt-Stiftungen (Ratgeber Deutscher Stiftungen, Bd. 2), Berlin 2005.

[24] Kristina Hübener (Hrsg.): Soziale Stiftungen und Vereine in Brandenburg. Vom Deutschen Kaiserreich bis zur Wiederbegründung des Landes Brandenburg in der Bundesrepublik (Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte, Bd. 22), Berlin 2012; für das Land Brandenburg siehe auch Eva Rickners: Stiftungen des Landes Brandenburg nach 1945, in: Mitteilungen aus dem Archivwesen des Landes Brandenburg 11 (1998), S. 2–7; Thüringen wurde unter anderem von Gehart Lingelbach untersucht. Vgl. Gerhard Lingelbach: Stiftungen in Thüringen – Ein historischer Überblick, in: Christoph Mecking (Hrsg.): Ein modernes Stiftungsprivatrecht zur Förderung und zum Schutz des Stiftungsgedankens (Forum Deutscher Stiftungen, Bd. 8), Berlin 2001, S. 50–70; Auflistungen von Stiftungen finden sich nur für Sachsen-Anhalt oder Sachsen. Detlef Hammer hängte an seine Dissertation eine „Aufstellung der evangelischen Stiftungen in der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen geordnet nach Kirchenkreisen“ an. Siehe Detlef Hammer: Studie zur Regelung der Stiftung in der Deutschen Demokratischen Republik auf der Grundlage des Zivilgesetzbuches, Berlin 1988, S. 71; und das Werk „Stiftungen in der Mitte Deutschlands“ stellt im Anhang ein „Verzeichnis der Stiftungen in Sachsen-Anhalt und angrenzenden Gebieten“ auf. Siehe dazu Erco von Dietze/Claudia Hunsdieck-Nieland (Hrsg.): Stiftungen in der Mitte Deutschlands (Schwerpunkte Deutscher Stiftungen, Bd. 3), Bonn 1999.

[25] Schwarz: Stiftungswesen (wie Anm. 21), S. 54–57.

[26] Adam: Stiften (wie Anm. 17), S. 62; eine Untersuchung zu einer einzelnen Stiftung siehe beispielsweise Dieter Dietrich: Die Deutsche Buchkunststiftung 1927–1957. Ein Beitrag zur Buch- und Stiftungsgeschichte, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 8 (1998), S. 135–163.

[27] Siehe dazu beispielsweise Nils Jörn: Zur Geschichte der sozialen Stiftungen in der Hansestadt Greifswald, in: Horst Wernicke (Hrsg.): Greifswald. Geschichte der Stadt, Schwerin 2000, S. 281–288.

[28] Über das Schicksal in der DDR heißt es dort: „Nach diesen Grundsätzen [des Testaments] ist […] die Stiftung im wesentlichen bis zum Jahr 1951 verwaltet worden. […] 1952 wurde die Peter–Warschow–Stiftung mit vier weiteren Stiftungen zusammengelegt und 1956 mit den dann noch bestehenden Stiftungen, Conventen und Hospitälern. Lediglich die Johanna-Odebrecht-Stiftung ist eine selbständige Stiftung geblieben.“ Zur Geschichte der Peter-Warschow-Sammelstiftung, https://www.peter-warschow-sammelstiftung.de/8.0.html, 4.5.2019, 12:52 Uhr.

[29] StArG, Rep. 6, Nr. 2497 und 2498.

[30] Für die freundliche Auskunft danke ich Michael Sparing, Landesarchiv Greifswald, der mich auch darauf hinwies, dass in den Beständen „Rep. 200/ 2.4.6 Rat des Bezirkes Rostock/ Rechtsstelle sowie Rep. 200/ 6.1.1, Rat des Bezirkes Rostock/Ref. Staatlich und treuhänderisch verwaltetes Eigentum“ noch weitere Archivalien zum Stiftungswesen des Bezirks Rostock zu finden sind.

[31] Der Verweis auf diesen Ort wird in den Fußnoten mit dem Kürzel „PWSS“ angeben.

[32] Siehe dazu zuletzt Adam: Stiften (wie Anm. 17).