Wo geht die Reise hin? | Zur Corona Krise: Eine Stimme aus der Zivilgesellschaft 16 | 10.07.2020

Eine Kolumne von Daphne Büllesbach

Deutschland übernimmt die EU RatspräsidentschaftDoch wohin geht die Reise in Europa? Trotz unseres demokratischen Systems scheint es an dem Mitspracherecht der Zivilgesellschaft noch zu ruckeln. Dieses erkämpft sie sich mit der Conference on the Future of Europe sowohl lokal als auch transnational.

Wenn Sie Auto fahren, nutzen Sie sicherlich häufig ein Navigationssystem. Dieses System ermöglicht es Ihnen, auf der besten Route zum Ziel zu kommen. Dabei kann es dazu kommen, dass die Route neu berechnet wird. Ein einfacher Vorgang, weil sich einige Parameter zwischenzeitlich verändert haben, es gibt Stau, einen Unfall, oder eine neue Umgehungsstrasse. Gesellschaftlich ist ein Neuberechnen der Route dagegen häufig zäh und besonders schwierig, wenn es mit langjährigen Routinen bricht und an die Grundfeste unserer Vorstellungen von Gesellschaft und Wirtschaft tiefer einzugehen und die Bedrohung von Covid-19 für die (europäische) Demokratie zu thematisieren. Es gründete sich die Initiative Citizens Take over Europe, die mittlerweile fast 50 Organisationen aus mehr als 10 europäischen Ländern umfasst, un-ter ihnen das European Civic Forum, European Alternatives, oder das deutsche Bun-desnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE).

Citizens take over Europewill die Route neu berechnen. In einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel fordert sie, aus Anlass der Übernahme der EU Ratspräsidentschaft von Deutschland:

„We demand a fundamental rethinking on how our European democracy works by empowering citizens by tried and tested participatory tools to influence decision mak-ing, as well as through innovative deliberative methodologies. […] We are developing and will advocate for key criteria for a successful Conference on the Future of Eu-rope, that puts citizens at the heart of the process.“

Das Bündnis will ein Mitspracherecht im Design der Conference on the Future of Eu-ropeund fordert Merkel auf, diese Ratspräsidentschaft für einen ‚Neuanfang‘ zu nutzen. (Mehr über die Initiative Citizens take over Europeund der gesamte Brief sind hier zu finden: https://citizenstakeover.eu/

Es ist richtig, dass die Zivilgesellschaft in Europa versucht, sich diese Mitsprache zu erkämpfen: Sie sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Vielerorts werden zivilgesellschaftliche Gruppen sogar zurückgedrängt wie in Ungarn. Bürger*innenbeteiligung ist noch lange keine Selbstverständlichkeit, und natürlich bleibt sie schwierig, desto höher die Ebene ist und desto weiter weg von der lokalen Ebene und der Lebenswirklichkeit der Bürger*innen. Es ist immer ein sowohl als auch: lokal und transnational zugleich, um beide Ebenen und ihre Wechselwirkung mitzudenken. In Covid-19-Zeiten hat sich eines deutlich gezeigt: die Parameter des Sozialen haben sich in kürzester Zeit geändert. Es ist an der Zeit, auch die Parameter der Mitbestimmung auf transnationaler Ebene neu zu denken.

Die Komplexität dieser Herausforderung wird in den letzten Jahren unterstützt durch eine veränderte Kompetenz zivilgesellschaftlicher Organisationen: Sie haben an Fachwissen, Methodik, Netzwerken und schließlich (internationaler) Kampagnen-Schlagkraft hinzugewonnen. Gleichzeitig zeigte das Ergebnis der Europawahlen 2019 auch deutlich: Die Wahlbeteiligung ist fast allerorts in der EU wieder gestiegen. Ein Interesse für europäische Themen besteht oder anders gesagt, europäische Öf-fentlichkeit kann punktuell entstehen. Eine gut aufgestellte und unter Beteiligung von zivilgesellschaftlichen (lokalen) Gruppen organisierte Conference on the Future of Europekann und sollte unbedingt die Chance nutzen, Öffentlichkeit zu schaffen für die Bedeutung des Ausbaus transnationaler Demokratie in Europa. Nicht zuletzt um die Route weg von der rechtspopulistischen Einbahnstrasse zu wählen.