USA: Corona, George Floyd, Trump oder was? | Zur Corona Krise: Eine Stimme aus der Zivilgesellschaft 15 | 03.07.2020

Eine Kolumne von Stefan Toepler

Wie konnte es dazu kommen, dass die von Tocqueville beschriebene Demokratie einen Sonnenkönig gekürt hat? –Bestandsaufnahme der aktuellen Situation in den USA und Gedanken zu Trumps Präsidentschaftskandidatur

Die Ausgangslage

Der Coronavirus hat die Vereinigten Staaten inmitten einer wachsenden Entzweiung getroffen. In Krisenzeiten blicken die Amerikaner zu ihren Präsidenten, von denen erwartet wird, dass sie entsprechende Wort finden, um die Nation zu vereinen, und ggfs. Taten folgen zu lassen. Dieser Norm, wie vielen anderen, entzieht sich President Trump. Sein modus operandi besteht aus Spaltung statt Zusammenführung und die Tagespolitik zielt immer nur darauf seine Basis anzuheizen und die Gesellschaft weiter zu polarisieren. In diese gesellschaftspolitische Krise wurde die sich anbahnende Coronavirus-Krise gleich vereinnahmt; und die damit verbundene Wirtschaftskrise verschärfte die sozialen Spannungen weiter, die sich zumindest z.T. in den Protesten entluden, die von einem ganzen Bündel rassistischer Vorfälle angefacht wurden, darunter die Tötung von George Floyd durch einen Polizisten. Systematischer Rassismus und strukturelle soziale Ungleichheiten, die weite Teile der Bevölkerung am amerikanischen Traum zweifeln lassen sind Ursachen, die Trump lange prädatieren.  Er zeigt sich aber bemerkenswert unwillig oder unfähig gegenzusteuern oder Wogen zu glätten. Obwohl er so eher Symptom als Grund der gesellschaftlichen Grundprobleme ist, ist er nach Art und Amtsauffassung, ein entscheidender Beiträger zu der politischen Krise, die das derzeitige amerikanische Krisenpotpourri komplementiert.

Wenn Donald Trump ansatzweise Allgemeinbildung besäße, wäre ohne Zweifel Louis XIV. seine Leitfigur, denn “l’état, c’est moi“ ist zweifelsfrei das Prinzip, unter dem er seine Regierungspflichten versteht: Der Präsident hat uneingeschränkte Entscheidungsvollmachten und steht über allen Rechenschaftspflichten. Bei seiner Wahl war noch viel von Leitplanken die Rede, die ihn schon auf die richtige Bahn bringen würden, aber eine nach der anderen wurde abgesägt und sein willfähriger jetziger Justizminister, William Barr, demontiert die letzten und bringt auch das (prinzipiell unabhängige) Justizministerium unter Trumps willkürliche Botmäßigkeit.

Wie konnte es dazu kommen, dass die von de Tocqueville noch so beschworene Demokratie in Amerika nun einen neuen Sonnenkönig gekürt hat?
Hier lässt sich verschiedenes anmerken:

Obgleich die amerikanischen Kollegen auch weiterhin ihre Konstitution venerieren werden, scheint die Frage zunehmend zulässig, ob die amerikanische Verfassung wirklich das Pergament wert ist, auf das sie abgeschrieben wurde. Dass das konstitutionelle Kartenhaus erst jetzt am Wanken ist, scheint eher daran zu liegen, dass bisher noch niemand ernsthaft daran gewackelt hatte. Das Grundproblem ist, dass die Amerikaner immer nur auf die in der Verfassung verbrieften individuellen Rechte und Freiheiten pochen, sich der dazugehörigen Pflichten aber völlig unbewusst sind oder selbe unter den Tisch fallen lassen. Das Recht des Stärkeren, auf das Trump setzt — letztlich wieder durch die Androhung das aktive Militär einzusetzen, um Ausschreitungen in den ersten Protesttagen zu unterbinden — hört nicht unbedingt dort auf, wo Rechte anderer eingeschränkt werden, wie z.B. das Recht friedlich Protestierender auf Versammlungsfreiheit und darauf, nicht durch Tränengas und berittene Polizei vom Vorplatz des Weißen Hauses vertrieben zu werden.

Die republikanischen Kollaborateure im Senat sind wie ein Vichy-Regime, das bei der Zersetzung ihrer einst so vergötterten Demokratie wohlgefällig und munter dabei mithilft, die Leitplanken aus dem Weg zu schaffen.

Schon seit den Zeiten des Wilden Westens sind die Amerikaner gerne auf Quacksalber, Scharlatane, und Schlangenölverkäufer reingefallen. In welchem Western tauchen sie nicht auf? Zudem standen Amerikaner Intellektuellen, sog. Eierköpfen, auch schon seit jeher ablehnend gegenüber, was sich auf die komplizierte Religionsgeschichte des Landes zurückführen lässt. (Wissenschaft lässt sich nicht leicht mit einer wörtlichen Auslegung der Bibel vereinen.) Dass Trump Bildung und Kapazitäten zum kritischen Denken fehlen bei gleichzeitiger trickbetrügerischer Bauernschläue verankert ihn tief in gewissen Strängen der Nationalpsyche und macht ihn für rund 40% der Bevölkerung zum idealen Anführer, zumal er auch immer wieder gerne etwas frömmelt, wenn es denn hilfreich ist.

Die Proteste richten sich gegen die Polizei. Das ist richtig so, weil sich die Polizei hier nicht als dein Freund und Helfer sieht, sondern eher in der Tradition von Wyatt Earpe in der Schießerei am O. K. Corral bis hin zu Kinohelden wie Dirty Harry. Erschwerend kommt hinzu, dass alle möglichen Dinge über die Jahre auf die Polizei abgewälzt wurden, die wenig bis nichts mit der Ausübung polizeilicher Funktionen zu tun haben. Defunding police heißt Gelder an Sozialarbeiter, Jugendfürsorge und Gesundheitsdienste umzuleiten, anstatt jedes Mal Streifenwagen mit schwerbewaffneten Polizisten am Steuer loszuschicken.

Die Probleme mit der Polizei sind eigentlich auch nur Symptome der weiteren sozialen Ungleichheit und Ungerechtigkeit und des sozialen Futterneids, der den systematischen Rassismus schon lange forciert und gerade von den Republikanern schon seit den 80er Jahren angetrieben wurde. Der Abbau des ohnehin schwachen Sozialnetzes wurde damals durch Verweis auf rein fiktive welfare queens in Cadillacs begründet. Der weißen Bevölkerung, besonders den armen, ungebildeten Teilen davon, wurde damit zu verstehen gegeben, dass der quasi-‘sozialistische‘ Wohlfahrtsstaat großspurig umverteilt, zugunsten der armen schwarzen Bevölkerung in den verwahrlosten Innenstädten, die sich dadurch ein schönes, laues Leben machen und dies alles auf Kosten der redlichen Arbeit der weißen Landbevölkerung. Diese realitätsferne Wahrnehmung hält sich hartnäckig.

Die Zivilgesellschaft?

Und die Zivilgesellschaft, die de Toqueville noch als das Präventiv der Tyrannei gesehen hatte? Die spontanen zivilgesellschaftlichen Aktionen, d.h. die Proteste, waren natürlich erfreulich, besonders weil sich zum ersten Mal auch weitere Teile der weißen Mehrheit mit den Minderheiten solidarisiert haben. Das eher Unerwartete daran ist, dass die Protestaktionen von den Großstädten mittlerweile auch auf kleinere Städte und selbst ländliche Gebiete übergeschwappt sind, die überwiegend bis nahezu völlig weiß sind. Hier engagieren sich vor allem Jugendliche, die über die sozialen Medien zu Märschen aufrufen, aber auch ältere Generationen laufen mit. Dies hat durch aus Potenzial sich zu einer neuen sozialen Bewegung zu entwickeln. Allerdings beginnt sich Black Lives Matter (BLM) in eine dauerhafte Bewegung zu kristallisieren. Eine Nonprofit-Organisation mit offiziellen Ortsgruppen in etlichen Großstädten besteht schon seit einigen Jahren und dürfte sich jetzt als zentrale Anlaufstelle für neue Spender- und Stiftungsinteressen erweisen. Viele Protestaktionen sind aber nach wie vor spontan organisiert und die sich entwickelnden inoffiziellen Gruppen gerade außerhalb der großen Städte gilt es noch zu organisieren. Zugleich fällt es den Vertretern der Demokratischen Partei wie gewöhnlich schwer, ein bisschen weiter über den eigenen Tellerrand zu gucken und der Bewegung eine glaubhafte politische Plattform zu geben, die die Politik für die Zwecke der Bewegung einsetzt und sie nicht für andere parteipolitische Kalküle einzuspannen sucht.

Allerdings machen sich auch andere organisierte Teile der Zivilgesellschaft die Proteststimmung nutzbar, nämlich etliche Umsturzmilizen, wie z.B. die “Boogaloo Bois,“ die u.a. gerne einen neuen Bürgerkrieg anfachen würden und häufig mit Sturmgewehren und militärischen Schutzwesten in Hawaiihemden auflaufen. Einige Sicherheitskräfte, die während der ersten Unruhen angeschossen und sogar getötet wurden, fielen dieser Truppe zum Opfer, deren Namen und Neigung zu Hawaiihemden sich auf infantile Witze aus den tiefsten Abgründen des Internets zurückführen lassen. Zahlreiche andere Milizen, die die Amerikanische uncivil society bevölkern, tragen ihre Sturmgewehre nun bei den Protestmärschen auf dem Land zur Schau, vorgeblich um die Städte und Ortschaften vor Krawallmachern von der Antifa zu schützen, jedoch eigentlich eher um die Protestläufer einzuschüchtern.[1] Ob man hierbei an die Vigilanten-Truppen des Wilden Westens denken möchte oder sich an die Rolle der Freikorps in der Weimarer Republik erinnert fühlt, ist vielleicht Geschmacksfrage.

Die eigentliche organisierte Zivilgesellschaft dagegen ist eher recht still im allgemeinen Getöse. Die gemeinnützigen Dienstleister sind entweder direkt in der Krisenbewältigung involviert, quasi-stillgelegt, oder lassen einen Minimalbetrieb weiterlaufen. Die Organisationen des Gesundheitsbereiches stehen natürlich an der Vorfront, aber auch andere Einrichtungen für Risikogruppen, wie Heime, Einrichtungen für Obdachlose oder für den Frauen- und Kinderschutz fallen hier mit herein. Für diese Organisationen entstehen einerseits neue Kosten durch Seuchen-Mitigation, andererseits fallen Einkommensquellen weg. Andere Teile des gemeinnützigen Bereichs mussten den Betrieb einstellen darunter Sportstätten, Kultureinrichtungen oder Bibliotheken. Weitere konnten ihre Arbeit modifizieren und zumindest einen Teilbetrieb weitgehend durch Digitalisierung der Dienste aufrechterhalten. Aber auch hier entstanden neue Kosten bei rückläufigen Einnahmen. Im Gegensatz zu Deutschland wurde der wirtschaftliche Schutzschirm von Anfang an auch über dem gemeinnützigen Bereich aufgespannt. Das Lohntütenerhaltungsprogramm (paycheck protection program) für Kleinbetriebe bis zu 500 Mitarbeitern greift auch für Nonprofit-Organisationen. Die Darlehen, die in Subventionen umgewandelt werden, falls die beteiligten Unternehmen ihre Arbeitskräfte bis in diesen Sommer halten, scheint den gemeinnützigen Bereich bislang über Wasser zu halten. Die Angst, dass ein Großteil des Nonprofit-Sektors die Krise nicht überleben könnte bleibt trotzdem bestehen und ist so akut, dass eine Handvoll von Großstiftungen, darunter Ford, jetzt einzigartig beschlossen haben, auf ihr Stiftungsvermögen verbürgte Anleihen auszugeben, die aus zukünftigen Investitionsgewinnen zurückbezahlt werden sollen.

Wie könnte es im November weitergehen?

Wie John Bolton gerade kolportierte, hat Trump Xi gebeten, ihm indirekt bei der Wiederwahl zu helfen. Trotz des Ärgernisses des Handelskrieges, finden einige Stimmen, dass China eine zweite Amtszeit durchaus zupassekäme, da sie den globalen Einfluss der USA weiter verringern und den Aufstieg Chinas zur Führungsmacht somit fördern würde.

Dieses wäre unter Republikanern in der Vergangenheit absolut undenkbar gewesen. Aber Trump aus dem Verkehr zu ziehen, werden sich die Republikaner wahrscheinlich nicht trauen.  Sie haben glasklar bewiesen, dass Prinzipientreue und Zivilcourage keinen Platz in der Partei haben, in der es nur um nackte Machterhaltung um wirklich jeden Preis geht. Könnte Trump selbst das Handtuch werfen? Es kann nicht ausgeschlossen werden, aber es ist schwer vorstellbar, dass harte Realitäten seine Wirklichkeitsverleugnung durchdringen, obgleich die ersten Beobachter bereits eine einsetzende Amtsmüdigkeit sehen wollen, was allerdings zurzeit noch als Wunschdenken gelten kann.

Trotzdem erscheint es anderen als wahrscheinlicher, dass er als Verlierer das Wahlergebnis anficht wegen Wahlbetrugs und dass im Extremfall die schwer bewaffneten Trump Fans anfangen, um sich zu schießen, falls er unfreiwillig entmachtet wird.  Das Wahlbetrugsszenario hat er in der Tat schon angefangen zu sondieren …

Dass er einen coup d’état versucht und die Armee aufruft, ihn zu stützen, wurde auch schon als Szenario beschworen, aber dass die Armee da mitmacht, eher nicht. Zweifellos gibt es im Fußvolk viele Trump-Anhänger und mit Sicherheit auch Sympathisanten im Offizierskorps (wie z.B. der jetzige Senator und Hauptmann a.D. Tom Cotton, der tatsächlich angeregt hatte, die 101. Luftlandedivision in die Großstädte zu fliegen, um Krawalle zu unterbinden), aber das auf die Verfassung eingeschworene Ethos der Offizierskaste wird selbst Trump nicht knacken.

Ist es unwahrscheinlich, dass es Feuergefechte bei seiner Abwahl geben könnte? Unwahrscheinlich vielleicht, undenkbar ist es aber nicht.  Dabei könnte es sein, dass die Armee ausrückt, um Gewalttätigkeiten zu unterbinden, aber das ginge nicht ohne Anweisung des Präsidenten, und Trump hat ja schon angekündigt, dass bei einer wahlbetrugsbedingten Abwahl die Leute auch gewaltbereit an seiner Seite stehen würden. Laut dem “The Hill”-Artikel vom 14.3.2019 sagte Trump, „I can tell you I have the support of the police, the support of the military, the support of the Bikers for Trump – I have the tough people, but they don’t play it tough — until they go to a certain point, and then it would be very bad, very bad.”

Dass Trump wiedergewählt wird, sollte und kann auf gar keinen Fall ausgeschlossen werden. Das wäre ärgerlich und sehr enervierend, aber nicht das Schlimmste.  Das Schlimmste wäre, wenn er wiedergewählt würde und seine republikanischen Mitläufer im Senat ihre Mehrheit behielten.  Dann wäre in der Tat Land unter.  Wenn die Demokraten jedoch den Senat gewinnen, werden ihm die Hände weitgehend gebunden sein, und der Senat würde ihm so zusetzen, dass er sich zum Sieger erklären („I made America great again“) und das Handtuch dann doch werfen würde.

Natürlich ändert sich die Lage täglich und es kann durchaus nicht ausgeschlossen werden, dass er noch einen Bock abschießt (oder schon abgeschossen hat, über den nur noch nichts bekannt ist), der ihm selbst die Unterstützung der Republikaner entzieht.  Amerika, Du hast es besser? Wohl eher nicht mehr …

[1] Nota bene: Auftritte der Antifa bei den Krawallen konnten bisher nicht nachgewiesen werden.