Solidarität in Zeiten der Coronavirus-Pandemie | Zur Corona Krise: Eine Stimme aus der Zivilgesellschaft 4 | 17.04.2020

Eine Kolumne von Malte Schrader

Die Unterstützung der Nachbarschaft ist wichtig. Sie darf jedoch nicht die Unterstützung von internationalen Hilfsorganisationen ersetzen.

Am 22. März 2020 hat die Bundesregierung scharfe Beschränkungen der Grundrechte veranlaßt. Durch diese beispiellosen Einschnitte in die höchsten Güter unserer Demokratie soll die Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden, und angesichts der Horrorszenarien aus Italien oder Spanien geschieht dies mit Zustimmung der meisten Bürgerinnen und Bürger. So sinnvoll und notwendig diese Maßnahmen auch sind; sie haben gravierende Folgen. Vor allem obdach- und wohnungslose Menschen sind davon betroffen. Ihre Möglichkeit, Menschen im öffentlichen Raum um finanzielle Mittel zu bitten, Pfandflaschen zu sammeln oder auf hilfsbereite Gesten zu hoffen, sind massiv eingeschränkt.
Momentan lässt sich – gerade für diesen Teil der Gesellschaft – eine Welle an Solidarität in der Zivilgesellschaft beobachten. Viele Menschen spenden beispielsweise an sogenannten Gabenzäunen, um die Not von auf der Straße lebenden Menschen zu verringern. Sie hängen Lebensmittel-Tüten und Sachspenden mit Kleidung, Decken und Hygiene-Artikeln an Zäune oder Bäume, damit Bedürftige darauf zurückgreifen können. Die Bundesregierung dagegen verspricht mit dem größten Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik, einen Schutzschild für Beschäftigte, Selbständige und Unternehmen aufzubauen und mit finanziellen Hilfsprogramen und steuerlichen Hilfsmaßnahmen den Betroffenen zu helfen.
Der Solidarität steht die nationale Abschottung gegenüber, die sich global beobachten lässt, vor allem schmerzhaft in der EU. Neben den Einschränkungen des öffentlichen Lebens entschied Bundesinnenminister Seehofer in Abstimmung mit den Nachbarstaaten, vorübergehend Grenzkontrollen einzuführen. Weitere EU-Staaten handelten ähnlich, sodass das Schengener Abkommen im Grunde ausgesetzt ist. In Ungarn lässt sich beobachten, wie Viktor Orbán unter dem Vorwand der Corona-Bekämpfung die Demokratie in eine Autokratie umwandelt. Nach der Selbstentmachtung des Parlaments darf er dank Notstandsermächtigung auf unbestimmte Zeit fortan per Dekret regieren, das Parlament aushebeln und Wahlen verschieben. Auch ein neues Gesetz, welches die Verbreitung von fake news mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren bedroht und durch seine undefinierte schwammige Formulierung auch genutzt werden kann, um die Opposition mundtot zu machen, ist Ausdruck dieser nationalen Abschottung. Umso wichtiger ist Bundespräsident Walter Steinmeiers Appell: “Nein, das Virus hat keine Staatsangehörigkeit, und das Leid macht nicht vor Grenzen halt. Aber ebenso wenig sollten wir es tun!”
Dass kubanische Ärzte bei der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie in Italien helfen, schwerkranke italienische und französische Kranke in deutschen Krankenhäusern behandelt werden oder Hilfsgüter aus Russland nach Italien geschickt werden, sind Zeichen dieser über den Grenzzaun reichenden Solidarität. Sichtbar wird, dass wir alle von dem Virus betroffen sind. Der Corona-Virus kennt keine staatlichen, geographischen oder ethnischen Grenzen und zeigt uns, wie wir im Sinne von Ulrich Becks “globaler Schicksalsgemeinschaft” (1986), voneinander abhängig sind. Daraus resultiert eine wechselseitige verbindliche Verpflichtung zur Solidarität. Während Not hierarchisch wirkt, ist der Virus demokratisch.1

Global handeln
Aber wir dürfen nicht die ärmeren Regionen in dieser Welt vergessen. Regionen, in denen keine hygienische Versorgung gewährleistet werden kann und auch der Zugang zu medizinischer Versorgung eingeschränkt ist, werden von den Folgen der Coronavirus-Pandemie besonders hart getroffen. In Elendsvierteln in Indien, Brasilien oder den überfüllten Geflüchtetencamps in Libyen lässt sich ein Mindestabstand von 1,5 Metern nur schwer realisieren. Auch in Moria, einem der überfüllten Geflüchtetenlager in Griechenland, angelegt für 3.000 Menschen, in dem aktuell knapp 25.000 Menschen leben, gilt: Wenn sich eine Bewohner*in mit dem Virus infiziert, werden es bald alle sein. Bereits jetzt wird berichtet, dass die Wasserversorgung im Camp nach und nach eingestellt wird, Krätze ausgebrochen ist und es fast keine Medikamente für die Menschen mehr gibt. Es lässt sich nur erahnen, welche Auswirkungen das Virus für diese Menschen haben wird. Auch ohne Corona Virus sind die Hilfsprojekte und Hilfsorganisationen vor Ort auf Spenden aus Deutschland und anderen Ländern angewiesen. Damit ihre Arbeit weiterhin gesichert ist und sie sich bestmöglich auf die Folgen der Coronavirus-Pandemie in den Regionen vorbereiten können, brauchen sie unsere Unterstützung. Unsere Solidaritätsbekundungen und Spenden innerhalb Deutschlands dürfen deshalb nicht in Konkurrenz zu den Hilfsaktionen und Hilfsorganisationen in diesen Regionen treten. In dem Werben um Spenderinnen und Spender dürfen wir nicht vergessen, dass uns die CoronavirusPandemie zwar hart, aber überwiegend wirtschaftlich treffen wird. In anderen Regionen dieser Welt wird sie vor allem Menschenleben kosten.
Der Virus zeigt, wie stark wir global miteinander vernetzt und wie wir als globale Schicksalsgemeinschaft unabhängig von der geographischen Lage betroffen sind. Diese gemeinsame Betroffenheit sollte sich auch in unserer Solidarität ausdrücken. Neben unserer Hilfe für die Betroffene in Deutschland müssen wir unsere Solidaritätsbekundungen daher auch über die nationalen Grenzen hinaus an die Menschen richten, die um ihr Leben fürchten müssen. Der Corona Virus betrifft uns alle. Wir alle müssen einander helfen.

  1. Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M.