DIE schaffen das! Ein Forum der Röchling Stiftung und des Maecenata Instituts

Observatorium 22 | 15.03.2018 | Am 22. und 23. Februar 2018 kamen in Mannheim 50 interessierte Akteure aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Verwaltung zusammen, um die Frage nach den Lerneffekten und Auswirkungen der sog. Flüchtlingskrise für die Zivilgesellschaft zu thematisieren. Anlass war die Vorstellung zweier Studien, die 2017 am Maecenata Institut zu diesem Thema erstellt worden waren1 . Dies wurde in der Begrüßung durch Annunziata Gräfin Hoensbroech, und Felicitas von Hülsen unterstrichen. Rupert Graf Strachwitz, Direktor des Maecenata Instituts machte anschließend am Beispiel des jüngst veröffentlichten Koalitionsvertrags von CDU, SPD und CSU deutlich, dass, trotz netter Worte aus der Politik und einer überwältigenden Bereitschaft zum Engagement in Zeiten der Not, dem zivilgesellschaftlichen Engagement nicht ausreichende Würdigung und Förderung zuteilwird. Er verwies auch auf eine Studie, die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom Institut für Demoskopie, Allensbach, erstellt und wenige Tage zuvor veröffentlicht worden war und welches die hohen Engagementzahlen bestätigt.

Im ersten Panel des Tages, das von Uwe Amrhein moderiert wurde, stellte Rudolf Speth die Studie ‚Engagiert in neuer Umgebung’ vor. Die Generalthese dieses Projektes ist, so Speth, dass Integration nur gelingt, wenn die Zivilgesellschaft beteiligt ist. Die Zivilgesellschaft ist kein nettes Add-on, sondern vielmehr substantiell für die Schaffung von Teilhabemöglichkeiten. Gerade für Geflüchtete hat Engagement vielerlei Gründe und positive Nebeneffekte: Es dient zum einen der Produktion sozialer Kontakte, ermöglicht positive Selbstwirksamkeitserfahrungen und erhöht somit die Lebensqualität. Darüber hinaus kann es als erste Möglichkeit der Arbeitsmarktorientierung genutzt werden. Die Vermittlung nichtformalisierten Wissens, wie etwa kultureller Codes oder das Erlernen der Alltagssprache sind weitere positive Nebeneffekte. Insofern ist die Brückenfunktion zivilgesellschaftlichen Engagements (von Geflüchteten) nicht hoch genug zu bewerten und dient als „Weg in die Gesellschaft“.

Anschließend kommentierte Annette Wallentin die Studie und fügte hinzu, dass aus Ihrer Erfahrung die Engagierten ein hohes Maß an Idealismus mitbringen und nur in geringem Maße auf ihr eigenes Fortkommen bedacht sind. Darüber hinaus belegt die Erfahrung ihrer Arbeit, dass Frauen unterproportional häufig engagiert sind. Will die Zivilgesellschaft ihrem eigenen Anspruch gerecht werden und Sprachrohr aller Bürgerinnen und Bürger sein, so ist die Schaffung von Angeboten für diese unterrepräsentierten Personengruppen von entscheidender Wichtigkeit. Aus der Erfahrung des von ihr geleiteten Projekts ‚Teilhabe durch Engagement’, welches die Vermittlung von Einrichtungen der Zivilgesellschaft und interessierten Geflüchteten zum Ziel hat, wies sie auf die Wichtigkeit niedrigschwelliger Angebote hin. Dies umfasst eine einfache Sprache, gleichbleibende Ansprechpersonen und gerade am Anfang ein umfassendes Unterstützungsangebot. Darüber hinaus betonte sie die Wichtigkeit einer kommunalen Engagement-Infrastruktur, wies jedoch gleichzeitig auf das gelegentliche Fehlen einer solchen Infrastruktur im ländlichen Raum hin.

Als dritte Rednerin kommentierte Karin Stiehr die Thesen der Studie. Sie betonte zu Beginn, dass Engagement den Status der Geflüchteten sowohl in der Community der Geflüchteten als auch in der Mehrheitsgesellschaft verbessert und das Bedürfnis nach Reziprozität befriedigt. In Bezug auf die Unterstützungsgruppen zeigte sie sich ambivalent. In diesen vermisst sie häufig eine partnerschaftliche Orientierung. Engagement auf Augenhöhe ist nicht in vollem Umfang gegeben, da viele Unterstützer und Unterstützerinnen einem paternalistischen Verständnis des Helfens anhängen und häufig Geflüchtete bevormunden. Gleichzeitig sind die ehrenamtlich Engagierten jedoch dazu prädestiniert, durch ihr Engagement eine positive Haltung zu bürgerschaftlichem Engagement zu vermitteln. Die Erfahrung gelebten Engagements kann Neuangekommene direkt und positiv angesprochen und zur Übernahme von Verantwortung ermutigen. Direkte Ansprache und die Entwicklung zielgerichteter Engagementangebote sprechen erreichen darüber hinaus auch Frauen, und Menschen mit niedriger Bildung oder mangelnden Lese- und Schreibkenntnissen. Allgemeines Ziel muss es sein, den Status des „engagierten Geflüchteten“ abzuschaffen, da hierdurch eine künstliche Trennung unter den Engagierten vorgenommen würde.

In der anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass der rechtliche Status der Geflüchteten ihre Bereitschaft zum Engagement entschieden beeinflusst und dass Menschen „mit schlechter Bleibeperspektive“ auch aus der Zivilgesellschaft wenig Unterstützung bekommen. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass es viele selbstorganisierte Initiativen von Geflüchteten gibt, die eine Verbesserung ihrer Situation hier vor Ort zum Ziel haben, nach wie vor jedoch nicht gleichberechtigt gefördert werden. In dieser Hinsicht ist in den letzten Jahren zumindest ein Paradigmenwechsel in der Politik zu beobachten. Kommunen greifen häufiger auf Migrantenorganisationen als Multiplikatorinnen zurück, um Menschen zu erreichen, die ihrem Zugriff bisher entzogen waren.

Im zweiten Panel stellten Rudolf Speth und Elke Bojarra-Becker ihre Studie ‚Zivilgesellschaft und Kommunen’ vor. In dieser Fortsetzungsstudie wurden in 6 Städten Akteure aus der Zivilgesellschaft und der Verwaltung interviewt, um die Veränderungen in der Zusammenarbeit dieser beiden Akteurskonstellationen in den letzten eineinhalb Jahren nachvollziehen zu können. Die Studie zeigt, dass es im Kern eine Kontinuität der Unterstützungsgruppen gibt, dass diese jedoch gleichzeitig Lernprozesse durchlaufen. So kommt es bei viele Gruppen zu einer Verkleinerung und zu einer Professionalisierung ihrer Tätigkeit. Gefragt ist nicht mehr die Bereitstellung existenzieller Güter, sondern ein Expertenwissen bezüglich Arbeitsmarktintegration oder bürokratischer Prozesse. Zudem ist ein Prozess der Neuverhandlung der Zuständigkeiten in der Zivilgesellschaft beobachtbar. Die großen Wohlfahrtsverbände haben längst nicht mehr die Hoheit in diesem Bereich. Dies liegt daran, dass viele neue Vereine näher an den Geflüchteten dran sind und ihre Vertretung übernehmen. Der Autor und die Autorin beobachteten darüber hinaus den Einzug eines „politischen Realismus“ bei den Unterstützungsgruppen. Die Zivilgesellschaft akzeptiert weitestgehend die Grundpfeiler des staatlichen Asylsystems, auch wenn das Thema Abschiebung nach wie vor kontrovers diskutiert wird. Gleichzeitig hat sich unter anderem durch die Anstellung von Akteuren aus der Zivilgesellschaft die Stimmung in der Verwaltung verändert, was sich daran zeigt, dass diese viel offener auf die Unterstützungsgruppen zugeht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zivilgesellschaft zu Beginn des verstärkten Zuzugs Geflüchteter schneller und flexibler war. Die Verwaltung hat sich jedoch gewandelt und übernimmt nun wieder ihre originären Aufgaben. Diese Entwicklung von den Unterstützungsgruppen mitgetragen. Als abschließende Handlungsempfehlung wurde gefordert, kommunale Verwaltungen – etwa durch eine stärkere Finanzautonomie – zu stärken, da sich in den Kommunen der Weg in die Gesellschaft vollzieht.

Als Kommentator betonte Loring Sittler die wachsende Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Bereitstellung alltäglicher Dienstleistungen. Gerade in den Bereichen Pflege und Betreuung von alten Menschen wird der Bedarf in den nächsten Jahren explodieren – bei gleichzeitig zurückgehendem Pflegepotential, da momentan 70% der Pflegeleistung zu Hause von älteren Frauen vollbracht werden. Angesichts steigenden Bedarfs und zurückgehender Ressourcen muss die Zivilgesellschaft schon jetzt verstärkt hier einspringen. Bei der Frage nach der Übernahme von Verantwortung für die Bereitstellung alltäglicher Güter pochte Sittler auf die Revitalisierung des Subsidiaritätsprinzips. Der Staat muss verstärkt die Rolle des gemeinwohlorientierten Partners einnehmen und eine dauerhafte Finanzierung der Aufgaben garantieren. Die vermehrte Gründung von Genossenschaften und ein verstärkter Wissenstransfer zwischen den einzelnen Bereichen können bei der Realisierung dieses Anspruchs helfen. Die Stärkung der Kommunen muss folglich weniger auf den Ausbau der Verwaltungsstruktur als auf die Bereitstellung einer Hilfe zur Selbsthilfe für die Bürger und Bürgerinnen abzielen. In diesem Prozess müssen darüber hinaus klare Forderungen an die Unternehmen – etwa in Form von Freistellungen für bürgerschaftliches Engagement – formuliert werden, da auch diese von einem funktionierenden gesellschaftlichen Gemeinwesen profitieren.

In der anschließenden Diskussion wurde Sittler entgegnet, dass der Staat nicht vorschnell aus seinen Pflichten entlassen werden sollte. Als Beispiel wurde auf die Gefahr der Bildung von Bürgerwehren verwiesen. Sittler stimmte dem zu und präzisierte seine Forderung dahingehend, dass politisches Handeln dort ansetzen muss, wo bereits Strukturen existieren. Zur Schaffung einer stabilen Infrastruktur müssen Ermöglichungsstrukturen geschaffen werden, die nicht von dem temporären Engagement einiger weniger abhängen, sondern professionalisiert und langfristig angelegt sind.

Zum Abschluss des ersten Tages hielt Frank Kalter einen Vortrag über die Perspektiven mittel- und langfristiger Integration. Der Integrationsbegriff, so Kalter, zeichnet sich durch seine Multidimensionalität und Relationalität aus und wird je nach Bedarf unterschiedlich politisch aufgeladen. Kalter wies in diesem Zusammenhang auf das ausschließende Potential des Konzepts hin, wenn es nur auf die Gruppe der Menschen mit Migrationsgeschichte angewendet wird. Zur Konkretisierung unterschied Kalter vier Dimensionen des Integrationskonzepts: die kognitiv-kulturelle (Kenntnisse der Sprache und kultureller Codes), die strukturelle (Arbeits- und Bildungssystem), die soziale (Netzwerke) und die emotional-kulturelle (Werte). Die traditionelle Integrationsforschung, so Kalter, sieht die strukturelle Dimension als den anderen vorgelagert an. In Deutschland, so Kalter, hängt der Arbeitsmarkterfolg in hohem Maße von der schulischen und beruflichen Bildung ab. Dieser Aspekt benachteiligt Migrantinnen und Migranten und Geflüchtete, wird jedoch nach einer gewissen Zeit ausgeglichen. In vielen Fällen ist darüber hinaus zu beobachten, dass Menschen mit Migrationsgeschichte langfristig sogar erfolgreicher als der gesellschaftliche Durchschnitt abschneiden, da sie übermäßig motiviert sind (immigrant optimism). Der Prozess des Aufholens kann durch eine Verkleinerung des Anfangsabstands, beispielsweise durch guten Sprachunterricht und Hilfe beim Aufbau von Netzwerken, erleichtert werden. Gleichberechtigte Integration, so Kalter, kann jedoch erst in der zweiten oder dritten Generation erwartet werden. Bei den folgenden Aussagen griff Kalter auf Daten zurück, die im Rahmen einer Langzeitstudie mit Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund erhoben wurden. In dieser Studie zeigt sich, dass sich in Bezug auf den Bildungserfolg (strukturelle Dimension) der Unterschied zwischen den einzelnen Gruppen spätestens in der dritten Generation egalisiert hat. Zu diesem Zeitpunkt bestehende Unterschiede zwischen einzelnen Ländergruppen lassen sich allein durch die Sozialstruktur (Bildungshintergrund der Eltern) und nicht durch die ethnische Abstammung erklären. In der sozialen Dimension lässt sich ein signifikanter Rückgang der Unterschiede erst ab der dritten Generation nachweisen. Für die soziale Dimension schloss Kalter, dass sich die anfänglichen ökonomischen Unterschiede zwischen Mehrheitsbevölkerung einerseits und Migrantinnen und Migranten andererseits nicht in räumlicher Segregation niederschlagen darf, da somit Opportunitätsstrukturen, die Kontakte ermöglichen, verhindert werden. Bemerkenswert in dieser Dimension ist jedoch, dass sich in Schulkassen eine Tendenz zur Homophilie zeigt, also vermehrte Kontakte zwischen Personen derselben ethnischen/nationalen Zugehörigkeit geknüpft werden. Im Anschluss plädierte Kalter für einen realistischen Blick auf den Integrationsprozess, welcher sich sowohl der Möglichkeiten als auch der Grenzen der Interventionsmöglichkeiten bewusst ist. Trotzdem ist es essentiell, durch frühe Interventionen indirekten Spätfolgen gerade im strukturellen Bereich vorzubeugen. Zum Ende des Vortrags warf er die Frage auf, wie wichtig die soziale und emotionale Integration in das Gemeinwesen überhaupt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist oder ob sich eine Gesellschaft nicht auch Parallelgesellschaften bis zu einem gewissen Grad leisten kann. Diese Position, welche der strukturellen Dimension eine höhere Gewichtung als den anderen Dimensionen für den Integrationsprozess einräumt, wurde im Folgenden mit den Zuhörern kontrovers diskutiert. In dieser Diskussion wurde vor allem die Bedeutung politischer Partizipation und Vertretung für eine erfolgreiche Integration betont.

Das erste Panel am zweiten Tag, moderiert von Sarah Albrecht, beschäftigte sich mit der Rolle von Religion für das Engagement für Geflüchtete. Yasemin El-Menouar konnte bei der Beantwortung dieser Frage auf eigene Forschungsergebnisse verweisen. In einer von ihr durchgeführten Studie2 ging es um die Frage, ob es bei muslimischen Gemeinden eine stärkere Bereitschaft zum Engagement gäbe und welche Rolle die religiöse Einstellung hierbei spielt. Tatsächlich konnte beobachtet werden, dass Musliminnen und Muslime deutlich stärker in die Flüchtlingshilfe eingebunden waren als Angehörige anderer Religionen. Dies ist gerade in Bezug auf die Tatsache bemerkenswert, dass Muslime normalerweise in ihrer EngagementQuote zurückfallen. Dieses verstärkte Engagement lässt sich El-Menouar zufolge durch die geteilte Sprache, familiäre Verbindungen in die Herkunftsländer der Geflüchteten sowie die Möglichkeit zur Anwendung des eigenen Erfahrungsschatzes erklären. Die muslimischen Gemeinden sind nicht nur als religiöse Orte, sondern als Orte sozialer Aktivitäten, Plattformen des Engagements und Knotenpunkte zu sehen, von denen aus Engagement koordiniert wurde. Es konnte darüber hinaus festgestellt werden, dass gerade die Gemeindemitglieder, die sich hauptsächlich außerhalb der Zeremonien in den Gemeinden bewegten, stark aktiv sind. Dies, so El-Menouar, könne ein Hinweis dafür sein, dass sie neu in der Gemeinde sind und diese als Gelegenheitsstruktur für ihr Engagement nutzen. Ein problematisches Sendungsbewusstsein ist zudem in dieser Gruppe der Engagierten nicht stärker zu beobachten als in den Vergleichsgruppen. El-Menouar stellte abschließend in Bezug auf die Hilfe für Geflüchtete ein enormes Potential bei Gruppen fest, deren EngagementQuoten sonst gering sind, nämlich bei jungen Menschen und religiösen Minderheiten. Diese Potentiale müssen gesichert werden und stärker mit klassischen Bereichen zivilgesellschaftlichen Engagements vernetzt werden. Dies ist die Chance zur Initiierung von Prozessen interkultureller und interreligiöser Öffnung.

Im Anschluss berichtete Sebastian Johna über die Arbeit des Goethe Instituts. Dieses widmet sich unter anderem der Qualifizierung von muslimischen Dachverbänden. Hierbei geht es sowohl um die Unterstützung bei der Beantragung öffentlicher Gelder als auch um eine Verbesserung der ehrenamtlichen Strukturen in Moscheegemeinden. Aus einem durch das BMI geförderten Projekt mit muslimischen Verbänden und Gemeinden wurde darüber hinaus ein Leitfaden entwickelt, welcher die grundsätzlichen Erfordernisse in der Vereinsarbeit systematisiert3. Dieser Leitfaden sieht vor allem Bedarf bei einer verstärkten Aufklärungsarbeit zu den Finanzierungsmöglichkeiten, da vielen Gemeinden Informationen hierzu fehlen. Gemeinden benötigen darüber hinaus Unterstützung bei der Steigerung des Organisations- und Professionalisierungsgrads, beispielsweise bei der Frage, wie Projektanträge geschrieben werden. Kleinen und wenig professionalisierten Gemeinden müssen zudem Hilfestellungen bei der Vernetzung mit anderen Akteuren bekommen. Die Studie bestätigt, dass es viel Engagement gibt, dieses aber wenig koordiniert ist. Vielmehr wächst es häufig sporadisch aus den Gemeinden heraus; Engagierte treffen häufig in dem Moment auf Hürden, wo sie über den Kreis der eigenen Gemeinde hinausgehen wollen.

Abschließend wendete sich Antonius Liedhegener in systematischer Weise dem Thema Integration zu. Aufbauend auf dem Integrationsverständnis von John Barry lautete seine Arbeitsdefinition von Integration: „Soziale Integration bezeichnet den Prozess und Umfang, in dem Einzelne und Gruppen in wirtschaftlicher, sozialer, religiös-kultureller und politischer Hinsicht Teilhabe und Akzeptanz finden bzw. gewähren.“ Hieraus, so Liedhegener, lassen sich die zwei Dimensionen von Teilhabe und Kulturerhalt extrahieren, woraus sich eine Vier-Felder-Matrix ergibt, welche verschiedene Zustände der Integration beschreibt: Assimilation (vollzogene Teilhabe und Aufgehen in der Mehrheitskultur), Separation (keine Teilhabe und Wahrung kultureller Identität), Marginalisierung (keine Teilhabe und Aufgehen in Mehrheitskultur) und Integration (vollzogene Teilhabe und Wahrung kultureller Identität). Dieses Modell kann darüber hinaus um eine Mikro-, Meso- und Makro-Analyseebene erweitert werden. Zum Schluss empfahl Liedhegener auf der Makro-Ebene, dass rechtliche Brücken vom Flüchtlings- zum Migrationssystem gebaut werden müssen, um vielfältige Bleibeperspektiven zu ermöglichen. Auf der MesoEbene müssen Einladung an Migrantinnen und Migranten zum Kennenlernen verschiedener Identitäten ausgesprochen und muss politische Bildung gefördert werden. Auf der Mikro-Ebene ist das Erleben ehrenamtlichen Engagements als Betätigungsfeld des geistlichen Lebens zentral. Für das Finden von Lösungen ist verantwortungsvolles Experimentieren nötig. Dies alles muss unter dem Primat des weltanschaulich-neutralen Staates geschehen.

Aus dem Publikum kam anschließend der Hinweis, dass es viele Geflüchtete gibt, die sich nicht wohl damit fühlen, das religiöse Label aufgedrückt zu bekommen, da sie sich nicht als religiöse Menschen sehen, den Glauben in ihren Ursprungsländern nicht gelebt haben und eventuell sogar vor einer fundamentalistischen Religionsausübung geflohen sind. Dies betont nochmals die Wichtigkeit, die Hilfe für Geflüchtete vom religiösen Anspruch zu trennen und neutrale, nicht-religiöse Teilhabemöglichkeiten zu schaffen.

In der Abschlussdiskussion zwischen Andrès Otàlvaro, Andrea Kühne, Ahmad Chamsi Bacha und Georg Strasser ging es hauptsächlich um die ökonomische Integration Geflüchteter. Auf die Frage von Graf Strachwitz, ob ökonomische Integration hinreichend sei, verwies Strasser auf das Modell des 1-EuroJobs, welches unabhängig vom Asylstatus für ehrenamtliche Tätigkeit vergeben werden kann. Gerade für Geflüchtete mit negativem Asylbescheid, die keine Arbeitserlaubnis haben und folglich für eine lange Zeit ohne Aufgabe in ihren Unterkünften sitzen, ist dieses Instrument eine gute Beschäftigungsmöglichkeit und ein erster Schritt in den Arbeitsmarkt. Andrea Kühne bestätigte diese Erfahrung. Auch Chamsi Bacha betonte die Möglichkeit, dass Menschen hiermit ihren Willen zu Arbeiten demonstrieren und ihre sprachlichen Kompetenzen fördern könnten. Im Anschluss wurde die Frage diskutiert, ob das Ausstellen von Zertifikaten für bürgerschaftliches Engagement Geflüchteten helfen kann. Strasser betonte, dass bürgerschaftliches Engagement einen niedrigschwelligen Bereich gesellschaftlicher Teilhabe darstellt und dies sowohl für die Geflüchteten als auch für die Träger bleiben müsse. Chamsi Bacha betonte in diesem Zusammenhang die Zertifizierungswut in Deutschland, die gerade Migrantinnen und Migranten der ersten Generation das Ankommen und die ökonomische Teilhabe erschwert. Andrea Kühne bekräftigte dies und wies darüber hinaus darauf hin, dass Integration durch ein dauerhaftes Verharren der Betroffenen in prekären und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen verhindert wird. Andrès Otálvaro erweiterte den Blick, indem er auf vier Haupthandlungsfelder hinwies, die erst gemeinsam eine umfassende Teilhabe ermöglichten: Neben der Arbeitsmarktintegration seien dies gesundheitliche Versorgung, Bildung und Ausbildung sowie Wohnen und Nachbarschaft. Er kritisierte des weiteren die Wendung traumatischer Fluchterfahrungen in für den Arbeitsmarkt verwertbare soft skills. Menschen sind nicht belastbarer oder teamfähiger, nur weil sie schlimme Fluchterfahrungen gemacht haben. Vielmehr erfordert der in diesem Forum viel zitierte Perspektivenwechsel auf Geflüchtete von defizitären Objekten zu teilhabenden Subjekten, dass man diese sowohl in ihren Hoffnungen und Stärken, als auch in ihren Ängsten und Schwächen wahr- und ernstnimmt. Auch aus dem Publikum wurde nochmals Unbehagen darüber artikuliert, dass Geflüchteten nicht die notwendige Zeit eingeräumt wird, um hier anzukommen und sich ernsthaft mit dem Erlebten auseinanderzusetzen, sondern dass sie von Beginn an „performen“ müssen. In der Schlussrunde wurde von Chamsi Bacha darauf hingewiesen, dass auch unter den Geflüchteten darüber diskutiert wird, wie die Diskrepanz zwischen dem Leben in Syrien und Deutschland in der Zukunft überbrückt werden kann und dass er bei diesen Diskussionen eine große Angst des Identitätsverlusts verspürt. Dieser sowohl auf Seiten der Geflüchteten als auch auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft stattfindende Suchprozess muss als Chance verstanden werden, um neue, beide Perspektiven vereinigende Lösungen zu finden. Zum Schluss betonte Graf Strachwitz, dass sich die Bürgergesellschaft durch die Schaffung von Teilhabe-Möglichkeiten für alle ihre Mitglieder auszeichne. Kreativität und Flexibilität der Strukturen sind in diesem Prozess wichtige Leitmotive. Dies verweist auf den Stellenwert von Organisationsentwicklung für die Zivilgesellschaft.

Im Rahmen einer knappen Verabschiedung bedankte sich Annunziata Gräfin Hoensbroech im Namen der Röchling Stiftung bei den Referierenden und den Teilnehmenden für die regen Diskussionen. Sie brachte ebenfalls ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass sich das Format „Theorie trifft Praxis“ als sehr fruchtbar erwiesen hat. Die Röchling Stiftung wird diesen Weg sicher weiterverfolgen.

 

1 Maecenata Observatorien Nr.19: Engagiert in neuer Umgebung. Empowerment von geflüchteten Menschen zum Engagement und Zivilgesellschaft und Kommunen. Frei verfügbar unter www.maecenata.eu
2 Vgl.: Alexander K. Nagel und Yasemin El-Menouar (2017): Engagement für Geflüchtete – Eine Sache des Glaubens? Die Rolle der Religion für die Flüchtlingshilfe. Bertelsmann Stiftung.
3 Vgl.: Goethe Institut (2017): Projekte in der Flüchtlingsarbeit. Ein Wegweiser für islamische Gemeinden und Organisationen.