Gemeinnützigkeit in Europa – eine Gedankenskizze

Observatorium 21 | 01.03.2018 | Die Rolle der Zivilgesellschaft muss gestärkt werden. Der vom EUV geforderte Dialog zwischen den Organen der EU und der Zivilgesellschaft ist defizitär. Ungeachtet einer eher diffusen Diskussion über die „Sozialwirtschaft“ und das „Sozialunternehmen“ sollte Deutschland das Proprium der Gemeinnützigkeit als einen zu seiner nationalen Identität (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 AEUV) gehörenden Schatz der Rechts- und Sozialkultur bewahren und alle Anstrengungen unternehmen, um diesen nach Europa zu exportieren.

I. Europa – Marktliberalismus vs. europäisches Sozialmodell

Der belgische Rechtsgelehrte Frans Vanistendael hat die EU verglichen mit einem Spielsalon, in dem nicht mehr 28 Billardtische stehen, sondern ein einziger, auf dem alle Kugeln ungehindert in alle Richtungen rollen können. Diese Sichtweise rührt her aus der bisherigen Dominanz der Gewährleistung – so die Formulierung aus dem Vertrag von Maastricht (1993) – eines „freien und unverfälschten Wettbewerbs“. Hier wird Europa wahrgenommen als ein herzustellender Markt. Unberücksichtigt bleibt Europa als zu bewahrende Tradition und als völkerrechtlicher Zusammenschluss von Sozialstaaten.

„Der Markt“ ist kein Garant für die Sicherung des Gemeinwohls und des sozialen Zusammenhalts. Es gab und gibt allenthalben Marktversagen, dem die Nationalstaaten durch Daseinsvorsorge entgegenwirken. Die meisten europäischen Staaten haben in Wahrnehmung dieser Verantwortung traditionelle Förderkonzepte entwickelt, so z.B. das Gemeinnützigkeitsrecht, das u.a. die Sozialdienstleistungen sog. Zweckbetriebe gemeinnütziger Träger begünstigt. An das Gemeinnützigkeitsrecht knüpft die institutionelle staatliche Förderung an, z.B. die staatliche Sportförderung1 . Hieraus resultieren Konflikte mit nicht privilegierten Wettbewerbern, die auf demselben Teilmarkt tätig sind. Im EU-Recht ist die Freiheit des Marktes zum einen durch das Beihilferecht (Art. 107 ff. AEUV) verankert, das staatliche Eingriffe in den Wettbewerb durch Förderung einzelner Marktteilnehmer grundsätzlich untersagt. Ferner wird die Chancengleichheit aller Marktteilnehmer in Gestalt des gleichheitsgerechten und transparenten Zugangs zu öffentlichen Aufträgen gesichert durch das europäisch harmonisierte Vergaberecht.

Andererseits gibt es eine Entwicklung hin zu einem europäischen Sozialmodell. Dies entspricht auch den Vorgaben des BVerfG2 für die Eingliederung Deutschlands in die EU. Nach Art. 3 Abs. 3 EGV (Vertrag von Lissabon) ist der Binnenmarkt nur eines der Ziele der Union. Unionsziel ist „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft (!), die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt (!) abzielt“. Der im Vertrag von Lissabon neu gestaltete Art. 14 i.V. mit Art. 106 AEUV justiert die Daseinsvorsorge materiell- und kompetenzrechtlich neu. Das EU-Primärrecht nimmt die „Dienste von allgemeinem Interesse“ in den Blick, um, so das Protokoll Nr. 26 zum AEUV, „ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte“ zu gewährleisten. So heißt es in der Begründungserwägung Nr. 7 zur Vergaberichtlinie 2014/24/EU vom 26.02.2014: „Die Befugnis der nationalen, regionalen und lokalen Behörden, im Einklang mit Artikel 14 AEUV und mit dem AEUV und dem EUV beigefügten Protokoll Nr. 26 über Dienste von allgemeinem Interesse Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren, sollte ebenfalls unberührt bleiben.“ Hiermit wird der Mechanismus der Herstellung einer praktischen Konkordanz von Marktmechanismen und dem Ziel einer europäischen Sozialunion beschrieben. Das Austarieren zwischen diesen Zielen folgt komplexen Regularien. Zunehmend wird das Proprium der gemeinnützigen Organisationen vor allem als Kristallisationspunkt für ehrenamtliches Engagement (so ausdrücklich Art. 165 Abs. 1 Satz 2 AEUV zu Sportvereinen und –verbänden) anerkannt. Es wird gekennzeichnet durch die ausschließliche ideelle Zweckverfolgung, durch die „Verwurzelung in der Zivilgesellschaft“ und die rechtsinstitutionell gesicherte Vermögensbindung und das Verbot der Gewinnausschüttung.

II. 1. Beispiel: Vergaberecht

Zum Vergaberecht das folgende Beispiel. Eine Stadt unterhält in Wahrnehmung ihrer kommunalen Pflichtaufgaben eine Einrichtung der Jugendhilfe. Sie will einen Betreibervertrag mit einer gemeinnützigen Organisation der Jugendhilfe abschließen. Die vergaberechtliche Frage ist: Geht dies ohne Weiteres oder muss dieser Vertrag, wenn er einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, europaweit ausgeschrieben werden? Die Richtlinie 2014/24/EG erlaubt, bei der Vergabe „strategische“, u.a. umweltbezogene und soziale Aspekte zu berücksichtigen, sofern diese in Bezug zum Vertragsgegenstand sowie im Verhältnis zu den Vertragsanforderungen stehen und die Grundsätze eines angemessenen PreisLeistungs-Verhältnisses und des freien Zugangs für alle EU-Lieferanten gewahrt sind. Diese sog. strategische Vergabe, die einen Beitrag leistet zur sozialen Inklusion und zur wirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit, ist durch § 97 Abs. 3 GWB in deutsches Recht umgesetzt worden. Kann auf dieser Grundlage berücksichtigt werden, dass der zivilgesellschaftliche Anbieter in besonderem Maße sachkundige, engagierte und mit den örtlichen Verhältnissen vertraute Ehrenamtler einsetzt? In Deutschland ist dieses Problem noch nicht wahrgenommen worden. Die Haushaltsordnung der EU gibt hierzu eine klare Auskunft: Der öffentliche Auftraggeber kann das Verhandlungsverfahren (negotiated procedure) auf der Grundlage eines einzigen Angebots unter den folgenden Voraussetzungen in Anspruch nehmen: „Die Leistungen sollen von öffentlichen Einrichtungen, gemeinnützigen Einrichtungen oder Idealvereinen erbracht werden und es handelt sich um Maßnahmen im institutionellen Bereich oder um Hilfe für Einzelne im sozialen Bereich.“

III. 2. Beispiel: Beihilfe (Art. 107 ff. AEUV)

Hierzu gleichfalls ein Beispiel. Das von einem Sportverband für seine Mitglieder unterhaltene Trainingszentrum konkurriert mit nichtbegünstigten gewerblichen Anbietern von Sportdienstleistungen (insbes. Fitnesszentren) und, soweit es Unterbringungsmöglichkeiten schafft, mit der örtlichen Hotellerie. Gleichwohl hat die EU-Kommission im Fall des BLSV-Sportcamp Nordbayern auf die Beschwerde von Wettbewerbern eine Beihilfe verneint3 . In einer weiteren Leitentscheidung zu der Berliner Kletterhalle des Deutschen Alpenvereins (DAV) hatte die EU-Kommission in ihrer Entscheidung vom 05.12.2012 – C (2012) 8761 final wegen besonderer Gegebenheiten in der DAV-Gruppe Deutschland zwar das tatbestandliche Vorliegen einer Beihilfe bejaht. Sie hat jedoch die unternehmerische Tätigkeit auf der Grundlage des Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen. Die EU-Kommission hat zur Begründung ausgeführt: Durch die staatliche Förderung „sollen der Klettersport, damit verbundene pädagogische Tätigkeiten und das gesellschaftliche Leben von Amateursportlern einschließlich von Jugendlichen in Vereinen, deren Mitglieder sich auf freiwilliger Basis engagieren, gefördert werden. . . . Außerdem sind die DAVSektionen nicht gewinnorientiert und fest in der deutschen Gesellschaft verankert; jeglicher Gewinn wird in den Sport und in Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen investiert.“ Das EuG hat in seinem Urt. v. 09.06.2016 – T-162/13 die Ausübung des Ermessens durch die EU-Kommission als rechtens bestätigt.

IV. Die „Europäische Säule sozialer Rechte“

Am 17.11.2017 ist von den höchsten Repräsentanten der EU gemeinsam mit Sozialpartnern und anderen Interessenvertretern die „Europäische Säule sozialer Rechte“ (ESSR) proklamiert worden, auf die sich Europäisches Parlament, Rat und Kommission „nach einem breit angelegten Beratungsprozess“ verständigt hatten. In dem Schlussdokument werden Grundsätze für Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen sowie Sozialschutz und soziale Inklusion zusammengeführt. Diese Grundsätze sind zwar nicht rechtsverbindlich, aber sie sind „ein Bekenntnis zu einem moralisch verpflichtenden Kompass, der die Richtung weist, um ein höheres Beschäftigungs- und Sozialschutzniveau EU-weit zu erreichen“.

Die Historie dieses Dokuments zeigt auf, dass „die Zivilgesellschaft“ von den Organen der EU nicht mit einer Nebenrolle wahrgenommen wird. In Nr. 7 der Präambel heißt es: „Die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte ist eine gemeinsame Verpflichtung und Verantwortung der Union, der Mitgliedstaaten …“ Der Ausschuss der Regionen hatte noch im Oktober 2017 versucht, mit der Erwähnung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften weitere Akteure zu benennen – ohne Erfolg. Auch die Bedeutung, welche die Zivilgesellschaft für die Verwirklichung der sozialen Rechte hat, bleibt unerwähnt. Dabei hatte der Europäische Wirtschaftsund Sozialausschuss (EWSA) eine umfassende Befragung zivilgesellschaftlicher Organisationen in den 28 Mitgliedstaaten eingeleitet. Insgesamt beteiligten sich 116 Mitglieder des EWSA und knapp 1 800 weitere Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen an diesen nationalen Debatten. In dem Schlussdokument werden weder die Zivilgesellschaft noch der Dritte Sektor erwähnt.

V. Der defizitäre Dialog mit der Zivilgesellschaft

Die Nicht-Regierungs-Akteure (NGOs, NPOs) – auch: der sog. Dritte Sektor und die Zivilgesellschaft – werden in EU-Dokumenten oft erwähnt. Aber ihre Bedeutung wird nicht angemessen gewürdigt. Weder der Staat noch der Markt können die „Dienste von allgemeinem Interesse“ jeweils allein oder auch nur in Zusammenarbeit miteinander organisieren, finanzieren und vor allem betreiben. Art. 11 Abs. 2 EGV besagt: „Die Organe pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft.“ Art. 15 Abs. 1 AEUV lautet: „Um eine verantwortungsvolle Verwaltung zu fördern und die Beteiligung der Zivilgesellschaft sicherzustellen, handeln die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit.“ Nach der primärrechtlichen Vorgabe sind es „die Organe“, die den Dialog „pflegen“, d.h. initiieren, indem sie die in Betracht kommenden Verbände ansprechen und zu Stellungnahmen auffordern, und die Berücksichtigung der Dialogbeiträge sicherstellen. Allem Anschein nach wird diese primärrechtliche Vorgabe, wie das Beispiel der ESSR zeigt (oben IV.), nicht hinreichend mit Leben erfüllt. Der vom EGV geforderte Dialog ist nicht prozedural strukturiert.

VI. Subjektive Rechte der EU-Bürger

Der subjektive Anspruch der EU-Bürger auf die objektiven Gewährleistungen des Protokolls Nr. 26 wird subjektiv-rechtlich gestützt durch Art. 36 der GrundrechteCharta der EU („Zugang zu den Sozialdienstleistungen“), der lautet: „Die Union anerkennt und achtet den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Einklang mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geregelt ist, um den sozialen und territorialen Zusammenhalt der Union zu fördern.“ Diese Gewährleistung hat denselben normenhierarchischen Rang wie die EUVerträge. Für die im Europarat zusammengeschlossenen Staaten wird dies bekräftigt durch Art. 14 der Europäischen Sozialcharta:

„Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Inanspruchnahme sozialer Dienste zu gewährleisten“, verpflichten sich die Vertragsparteien,

1. Dienste zu fördern oder zu schaffen, die unter Anwendung der Methoden der Sozialarbeit zum Wohlbefinden und zur Entfaltung des Einzelnen und der Gruppen innerhalb der Gemeinschaft beitragen, sowie zu ihrer Anpassung an die soziale Umgebung;

2. bei der Bildung und Durchführung dieser Dienste Einzelpersonen und freie oder andere Organisationen zur Beteiligung anzuregen.“

Hiermit wird die organisierte Zivilgesellschaft angesprochen. Diese muss sich in organisationsrechtlichen Formaten – z.B. Vereinen, Stiftungen, ggfs. Genossenschaften – in einer Weise „formieren“, dass die „Dienste“ auf der Grundlage autonom und staatsfern formulierter Satzungen ihre Zwecksetzung definieren, korporativ und mit demokratischen und partizipativen Leitungsstrukturen ihren Willen bilden und ihre ideellen Zwecke mit eigenen Mitteln nachhaltig verfolgen. Es bedarf eines Rechtsrahmens, um zu definieren, welche Aktivitäten ihrer Art nach staatlicherseits gefördert werden können. In dieser Hinsicht gibt es unterschiedliche Rechts- und Politiktraditionen der Mitgliedstaaten. In der Bundesrepublik wird dies durch den Katalog der gemeinnützigen Zwecke in § 52 Abs. 2 Satz 1 AO beschrieben. Es muss geklärt werden, ob und ggfs. wie eine möglichst ausschließliche Verfolgung ideeller Zwecke gesichert werden kann, ob und ggfs. in welchem Umfang ein zivilgesellschaftliches Unternehmen Gewinn erzielen und ausschütten darf und wie das der Verfolgung ideeller Zwecke gewidmete Vermögen gesichert werden kann.

VII. Was ist „Förderung des Wohls der Allgemeinheit“?

Art. 16 des Vorschlags für eine Richtlinie über eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) v. 03.10.2011 sah vor, dass eine Einrichtung unter den folgenden Voraussetzungen als gemeinnützig gilt: „Ihr einziger oder hauptsächlicher Zweck und ihre einzige oder hauptsächliche (!) Tätigkeit dient dem Gemeinnutz; ein Ziel bzw. eine Tätigkeit in den Bereichen Bildung, Soziales, Medizin, Kultur, Wissenschaft, Wohltätigkeit, Religion, Umwelt oder Sport gilt als gemeinnützig, wenn ein allgemeines Interesse daran besteht; . . .“ Weiterhin verlangt der Entwurf, dass die betreffende Einrichtung „eine Rechtspersönlichkeit ist und nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie ansässig ist, als gemeinnützig anerkannt“ ist. Der Vorschlag für eine VO des Rates über das Statut der Europäischen Stiftung (FE), der zwischenzeitlich von der EU-Kommission wieder zurückgezogen worden ist, enthält in Art. 5 Nr. 1 die Aussage: „Die FE ist eine für einen gemeinnützigen Zweck gesondert errichtete Einrichtung.“ In Art. 5 Abs. 2. Satz 1 heißt es „Die FE dient dem Gemeinwohl im weiteren Sinn.“ Es folgt ein abschließender – diskussionswürdiger – Katalog gemeinnütziger Zwecke, die von Kunst, Kultur und Denkmalschutz über die Sozialfürsorge und den Verbraucherschutz bis zum Amateursport gehen. Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage vom 25.10.2016 sieht keine vergleichbaren Regelungen vor. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Zuwendungen und Spenden an gemeinnützige Einrichtungen abzugsfähig sind (Art. 9 Nr. 4 des Richtlinienvorschlags). Positivrechtlich ergeben sich Gemeinwohlzwecke aus dem Katalog der Art. 132 ff. MwStSystRL.

VIII. Gemeinnützigkeit und soziales Unternehmertum

In Deutschland knüpft die Förderung traditionell an die Zuerkennung einer Rechtspersönlichkeit in der Rechtsform der Körperschaft als juristischer Person an: eingetragener Verein, gGmbH, gemeinnützige Stiftung und AG. Dies ist konzeptionell richtig, um die gemeinnützigkeitsrechtlichen Grundprinzipien der Bindung des Vermögens für die ideellen Satzungszwecke und des Verbots der Gewinnausschüttung an Anteilseigner zu sichern.4 Diese rechtlichen Formate erscheinen auch geeignet, die „auf freiwilligem Engagement basierende Strukturen“ (so zum Sport Art. 165 Abs. 1 Satz 2 AEUV) zu schaffen und zu sichern. Die konkurrierende Rechtsfigur des „sozialen Unternehmertums“ wird in Deutschland ein wenig ratlos aufgenommen5 . Sie ist heimisch in den romanisch geprägten EU-Mitgliedstaaten, in denen der Gedanke der économie sociale („Solidarwirtschaft“; „mouvement cooperatif et mutualiste“) beheimatet ist. Italien hat kürzlich – neben der Genossenschaft – die „società benefit“ eingeführt. Als wesentliche Bestandteile der Sozialwirtschaft im Bereich des sozial ausgerichteten Dritten Sektors versteht die EU Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften, die gemeinnützigen Einrichtungen, Vereine und Stiftungen, „gemeinhin als NGO bezeichnet“. Freilich hat der EWSA jüngst festgestellt, dass dieser Wirtschaftszweig sein volles Potenzial und seine maximale Wirkung nicht entfalten kann, „da sowohl auf europäischer als auch auf einzelstaatlicher Ebene ein geeignetes Regelungsumfeld fehlt“.

IX. Ausblick

Die Rolle der Zivilgesellschaft muss gestärkt werden. Der vom EUV geforderte Dialog zwischen den Organen der EU und der Zivilgesellschaft ist defizitär. Ungeachtet einer eher diffusen Diskussion über die „Sozialwirtschaft“ und das „Sozialunternehmen“ sollte Deutschland das Proprium der Gemeinnützigkeit als einen zu seiner nationalen Identität (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 AEUV) gehörenden Schatz der Rechts- und Sozialkultur bewahren und alle Anstrengungen unternehmen, um diesen nach Europa zu exportieren. Denn es gibt „derzeit keine ernsthafte Alternative zum Gemeinnützigkeitsstatus oder zum bewussten Verzicht auf diesen. Das Leitbild des Sozialunternehmens ist in ausdifferenzierten Sozialstaaten . . . von überaus begrenzter Leistungsfähigkeit; und dies jedenfalls solang bis die Union dem Leitbild einen dem gemeinnützigen vergleichbaren steuerrechtlichen Unterbau gibt.“6 Zahlreiche Anzeichen sprechen dafür, dass der Wert der Gemeinnützigkeit in Europa zunehmend anerkannt wird. Diese Entwicklung gilt es mittels einer offensiv geführten Diskussion zu stärken.

1 Peter Fischer, Gemeinnützige Daseinsvorsorge und Wettbewerbsordnung, 2016, passim.
2 BVerfG v. 30.06.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, BVerfGE 123, 267 – Zustimmungsgesetz zum Lissabonvertrag.
3 Ausführlich hierzu Peter Fischer, npoR 2017, 140.
4 GKKB 2011 Art. 16 Buchst. c: „ihre Vermögenswerte sind unwiderruflich der Verfolgung ihres Zwecks gewidmet“
5 S. die Diskussion in der Diakonie und Caritas https://www.diakonie.de/soziales-unternehmertum.html, m.w.N.; skeptisch M. Droege, zwischen Kirche und Sozialunternehmen – Kirche im Strategiediskurs, Zeitschrift für Arbeitsrecht und Tarifpolitik in Kirche und Diakonie, 2016 S. 184 ff., dort auch zum Leitbild des Sozialunternehmens als Alternative zur Gemeinnützigkeit. S. auch Momberger, Social Entrepreneurship, 2015; Möslein, Reformperspektiven im Recht sozialen Unternehmertums, ZRP 2017, 175,
6 Droege (Fn 5), S. 188