Zivildienst und Zivilgesellschaft

Opusculum 109 | 01.02.2018 | Konkurrenz oder Koproduktion?

1 Einleitung

In der Schweiz besteht für junge Männer die verfassungsmässige Bürgerpflicht, Militärdienst zu leisten. Wer diesen Dienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, hat die Möglichkeit, einen länger dauernden Zivildienst zu absolvieren. Ein zentraler gesetzlicher Auftrag des Zivildienstes in der Schweiz ist die Erbringung einer Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse.1

Diese Arbeitsleistung liegt im öffentlichen Interesse, wenn „die zivildienstleistende Person sie bei einer öffentlichen Institution absolviert oder sie bei einer privaten Institution erbringt, welche in gemeinnütziger Weise tätig ist“ (Zivildienstgesetz ZDG, Art. 3). Zivildiensteinsätze finden somit auch in Einrichtungen der Zivilgesellschaft statt und werfen somit Fragen zum Verhältnis des Zivildienstes zur Zivilgesellschaft auf. Die Zivilgesellschaft wird oft als Sphäre der freien Assoziation von BürgerInnen verstanden2 – als Ort von sozialen Bewegungen, Vereinen, Verbänden und Stiftungen etwa –, während der Zivildienst aufgrund einer verfassungsmässig verordneten Pflicht geleistet wird.

Einsätze von Zivildienstleistenden (kurz: Zivis) bei Organisationen der Zivilgesellschaft können etwa als staatliche Unterstützung des Non-Profit-Sektors verstanden werden. Die Unterstützung erfolgt in Form geleisteter Diensttage in Einsatzbetrieben, die auf ihre Gemeinwohlorientierung hin geprüft und anerkannt sind, sei es beispielsweise in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen, im Altersheim oder auf einer Alp.

Wie genau sieht nun dieses Verhältnis der Zivilgesellschaft zum Zivildienst aus? Sind die Zivildiensttage, die in zivilgesellschaftlichen Organisationen geleistet werden, tatsächlich eine wertvolle staatliche Unterstützung für die Dienstleistungen dieser Organisationen? Oder steht der Zivildienst, im Gegenteil, in Konkurrenz zu zivilgesellschaftlichem Engagement und untergräbt letztlich die Eigenständigkeit der Zivilgesellschaft?

Die Antworten auf diese Fragen hängen stark davon ab, was wir unter „Zivilgesellschaft“ verstehen. Die Zivilgesellschaft ist nicht bloss ein Sektor eines politischen Gemeinwesens – neben Staat und Wirtschaft. Die Zivilgesellschaft zeichnet sich darüber hinaus durch weitere Qualitäten aus, die in einer Definition berücksichtigt werden sollten – etwa eine Vision der guten Gesellschaft oder die Herstellung von Öffentlichkeit.

In einem ersten Schritt führe ich diese Definition aus und gehe auf einige Probleme ein, denen wir beim Nachdenken über die Zivilgesellschaft begegnen. Danach stelle ich den Schweizer Zivildienst vor. Dieser hat einen Verfassungsauftrag und klare gesetzliche Vorgaben. Er blickt auf eine über 20-jährige Praxis des Vollzugs von Zivildiensteinsätzen zurück. In einem letzten Schritt beleuchte ich das Verhältnis von Zivildienst und Zivilgesellschaft. Obwohl grundlegende Unterschiede zwischen dem Zivildienst und der Zivilgesellschaft bestehen – insbesondere was die Freiwilligkeit des Engagements angeht –, haben der Zivildienst und weite Teile der Zivilgesellschaft doch eine gemeinsame Basis und Ausrichtung. Ein wichtiges, verbindendes Element ist das bürgerschaftliche Engagement, das beiden zugrunde liegt. Die Zusammenarbeit des Zivildienstes und der Zivilgesellschaft stellt eine besondere Form der Koproduktion öffentlicher Dienstleistungen dar. Der Zivildienst unterwandert die Arbeit der Zivilgesellschaft daher nicht und steht ihr nicht im Weg. Im Gegenteil, er unterstützt diejenigen Anliegen und Bestrebungen der Zivilgesellschaft, die auf das demokratische Gemeinwohl ausgerichtet sind und im öffentlichen Interesse liegen. Somit kann der Zivildienst als ein wertvoller Beitrag an die Zivilgesellschaft verstanden werden.

 

1 Zivildienstgesetz (ZDG), Art. 2 Abs. 3

2 Siehe etwa die Definition in Walzer 1991, 293 (eigene Übersetzung): „Das Wort ‚Zivilgesellschaft‘ benennt den Raum ungezwungener menschlicher Assoziation und auch die Summe verbundener Netzwerke – gegründet zur Unterstützung der Familie, des Glaubens, gewisser Interessen oder einer Ideologie –, welche diesen Raum füllen.“