Das Phänomen der Digitalisierung ist zwar noch nicht sehr alt, hat aber dennoch die Gesellschaft grundlegend verändert (vgl. Bühl 2000; Hahn/Hohlfeld/Knieper 2015; Keuper et al. 2013; Kretschmer/Werner 2011: 3). Denn durch die Möglichkeit einer digitalen Durchführung und Darstellung von Informationen und Kommunikation, kann von einem eingetretenen „digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (vgl. Bieber 2002; Hahn/Hohlfeld/Knieper 2015; Kemper/Mentzer/Tillmanns 2012; Kretschmer/Werner 2011; Münker 2009) gesprochen werden. Während im analogen Zeitalter Engagement in der Öffentlichkeit die aktive Partizipation in Parteien oder die Informationsbeschaffung durch Printmedien bedeutete, findet im digitalen Zeitalter Engagement meist online im Internet statt (ebd.). Das Internet bietet Bürgern1 eine einfache und unkomplizierte Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit politisch zu engagieren und zu beteiligen (Reiser 2012: 3). Die Online-Beteiligungsmöglichkeiten sind sehr vielfältig. Auf vielen verschiedenen Formen von Online-Plattformen, wie u.a. Blogs, sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, Tauschbörsen oder Crowdfunding-Plattformen, können sich Bürger über Themen und Inhalte informieren, sich untereinander vernetzen und auch interaktiv austauschen (ebd. 6).
Dieser digitale Wandel der Öffentlichkeit steht als Synonym für den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, der bereits im Jahr 1962 von dem Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas in seiner Habilitationsschrift prognostiziert worden ist (Kretschmer/Werner 2011: 4). Anhand eines erarbeiteten Idealtypus der Öffentlichkeit, nimmt er dort eine Analyse der modernen Öffentlichkeit vor.
Für die Entstehung und Bewahrung seines Idealmodells einer Öffentlichkeit ist für Habermas (1992: 436) ein „sozialer Raum“, in dem alle Bürger Argumente öffentlich diskutieren, ausschlaggebend. Durch den Austausch von rationalen Argumenten soll letztlich das bessere Argument gewinnen und somit eine vernünftige, öffentliche Meinung entwickelt werden, die die Legitimationsgrundlage politischer Entscheidungen bilden soll. Seine Idealvorstellung von einer funktionierenden Öffentlichkeit ist gekennzeichnet durch die Entstehung von vernünftigen Entscheidungen, die ihre legitimierende Kraft aus der „diskursiven Struktur einer Meinungsund Willensbildung“ (1992: 369) ziehen und damit die Politik beeinflussen können. Das heißt, so konkludiert Bernhard Peters (2001: 655), Habermas „öffentlicher Vernunftsgebrauch“ impliziert eine vernünftige kollektive Selbstbestimmung der Bürger, für die eine „egalitäre, öffentliche, argumentative Auseinandersetzung über gemeinsame Probleme konstitutiv ist.“ Habermas entwickelt somit ein „normatives basisdemokratisch orientiertes Idealmodell von Öffentlichkeit“ (Gerhards 1998: 271).
Habermas (1971: 172ff) konstatiert allerdings den Niedergang seines normativen Idealmodells in der modernen Öffentlichkeit. Das bürgerliche Publikum habe sich von einer räsonierenden in eine konsumierende Öffentlichkeit verwandelt (ebd. 193ff). Die öffentliche Meinung entstehe nicht mehr durch einen selbstbestimmten vernunftgeleiteten Diskurs, sondern werde von den Medien beherrscht und damit gelenkt (ebd.). In diesem Sinne fordert er die Aufrechterhaltung seines normativen Idealmodells einer funktionierenden Öffentlichkeit, um der durch Massenmedien beherrschten Öffentlichkeit entgegenzuwirken (ebd.). Nach Habermas (2008: 136) Verständnis ist die Zivilgesellschaft dazu am fähigsten, da sie in der Lage ist, zwischen der Öffentlichkeit und der Privatsphäre zu vermitteln „indem sie die politisch entscheidungsrelevanten Gegenstände auswählt, zu Problemstellungen verarbeitet und zusammen mit mehr oder weniger informierten und begründeten Stellungnahmen zu konkurrierenden öffentlichen Meinungen bündelt.“ Damit schreibt Habermas (ebd.) der in der Öffentlichkeit agierenden Zivilgesellschaft die Kraft zu, die Politik beeinflussen zu können und somit einen Beitrag „zur demokratischen Legitimation des staatlichen Handels“ zu leisten.
1 In dieser Arbeit wurde im Sinne einer besseren Lesbarkeit die männliche oder weibliche Form von personenbezogenen Hauptwörtern gewählt. Die Angaben beziehen sich jedoch ausdrücklich auf Angehörige beider Geschlechter.