Zivilgesellschaft und Kommunen

Opusculum 107 | 01.12.2017 | Lerneffekte aus dem Zuzug Geflüchteter für das Engagement in Krisen 

Executive Summary

1. Helfergruppen bestehen weiter

In allen untersuchten Orten zeigt sich, dass die Helfergruppen weiterbestehen bleiben. Die Anzahl der Aktiven ist zwar überall gesunken, doch an keinem Ort hat sich eine Helfergruppe aufgelöst. Bei allen Gruppen gibt es einen harten Kern von Aktiven und natürlich auch personelle Veränderungen. Für manche kommt Engagement einem Vollzeitjob gleich. Viele Initiativen haben sich bereits deutlich vor der großen Welle ab Sommer 2015 gegründet. Eine Auflösung der Strukturen scheint nicht zur Diskussion zu stehen. Tendenziell fehlen in diesen Gruppen aber junge Menschen, die gerade für die Integration junger Geflüchteter hilfreich sein könnten.

2. Die Helfergruppen transformieren sich

Bei allen Helfergruppen sind Entwicklungsprozesse zu beobachten, die zu einer Transformation der Gruppen führen. Sie passen sich an die neue Lage und den veränderten Bedürfnissen der Geflüchteten an. Gleichzeitig bleiben sich die Helfergruppen im Kern (Herkunft, Aufgabengebiete) treu. Dies ist positiv zu bewerten, da dies Ausdruck der Lernfähigkeit dieser Gruppen ist. An einigen Orten ist zu beobachten, dass diese Lernprozesse auch zu neuen sozialen Dienstleistungen führen, die allen Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung gestellt werden.

3. Zugänge zur Arbeitswelt werden wichtiger

Arbeit gilt neben dem Spracherwerb an allen untersuchten Orten als wesentliches Moment im Integrationsprozess. Deshalb bemühen sich alle Helfergruppen für die Geflüchteten einen Zugang zur Arbeitswelt zu erreichen. Nicht überall ist ihnen Erfolg beschieden. Die Vermittlung in die Arbeitswelt gelingt dort besser, wo es einen Fachkräftemangel gibt. Häufig geschieht dies im Zusammenarbeit mit den Job-Centern, es habe sich aber auch spezielle Strukturen bei den Helfergruppen herausgebildet, mit denen den Geflüchteten Zugänge zur Arbeitswelt ermöglicht werden. Insgesamt ist dies aber ein mühsamer Prozess, weil es viele Hindernisse gibt. Viele Helfergruppen lassen sich dadurch aber nicht abschrecken.

4. Patenschaften als Beziehungsform sind vielfach anzutreffen

Patenschaften sind für viele ein Schlüsselelement im Integrationsprozess. Sie werden ganz unterschiedlich ausgestaltet und nicht immer wird dieser Begriff für diese soziale Beziehung verwendet. Das Sich-kümmern um Geflüchtete nimmt viele Formen an. Wesentliches Element dieser Form der sozialen Beziehung sind Reflexions-und Lernprozesse auf der Seite der Paten. Ein ausschlaggebendes Kriterium sind sie aufsuchenden Strukturen: viele Engagierte knüpfen die ersten Kontakte, indem sie in die Heime gehen. Häufig bleiben diese aber dem Zufall überlassen. Diese Form der Begleitung wird immer wichtiger, weil viele Geflüchtete die Unterkünfte verlassen und nun auf eigenen Beinen stehen müssen. Dazu fehlen ihnen häufig Erfahrung und Wissen, mit Alltagsproblemen umzugehen (Wohnung, Verträge, Behörden, Arbeit etc.). Zudem sind sie in dezentralen Unterbringungen schlechter erreichbar. Helferinnen und Helfer unterstützen die Geflüchteten bei diesen Dingen, doch gleichzeitig geht es auch darum, dass diese selbstständig werden.

5. Gute Zusammenarbeit mit Verwaltungen

Die Zusammenarbeit der Helfergruppen mit den Verwaltungen im lokalen Raum läuft in den untersuchten Orten erstaunlich gut. Diese Wahrnehmung wurde von beiden Seiten bestätigt. Allerdings gibt es an jedem Standort eine Art „Problemsituationen“: dies kann mal der Landrat sein, mal die Ausländerbehörde oder mal die Agentur für Arbeit. Von der Seite der Helfergruppen wird die gute Zusammenarbeit häufig mit Namen verbunden, die an der Spitze der Verwaltungseinheiten bzw. der politischen Organisationen stehen. Etwas anders sieht es auf der operativen Ebene aus, doch auch hier haben sich die kooperativen Beziehungen verbessert.

6. Das Gewicht der Verwaltungen hat zugenommen

Die zivilgesellschaftlichen Akteure haben in der ersten Phase den Verwaltungen Luft verschafft, sich neu aufzustellen und den Entwicklungen anzupassen. Entsprechend wurden neue Strukturen geschaffen, Zuständigkeiten verändert und Mittel bereitgestellt. Damit haben die Verwaltungen an Macht gewonnen und erbringen auch eine Strukturierungsleistung, die von allen Helfergruppen anerkannt wird. Lag die Handlungskompetenz in der Anfangsphase noch vielfach bei den zivilgesellschaftlichen Helfergruppen, so dominieren jetzt die Verwaltungen. Insgesamt sind aber die Prozesse und Verfahren der Verwaltungen sehr komplex, nicht immer nachvollziehbar und müssen verbessert werden.

7. Der Umgang mit Abschiebung wird ein immer wichtiger werdendes Thema

In allen untersuchten Orten gibt es Geflüchtete mit unterschiedlichem Status. Damit wird Abschiebung zu einem Thema, das für alle Helfergruppen an Relevanz gewinnt. Insgesamt lässt sich ein gewisser Pragmatismus erkennen, auch wenn Helfergruppen gegen fehlerhafte Bescheide des BAMF und Verfügungen der Ausländerbehörde vorgehen. Die Helfergruppen begleiten die betroffenen Geflüchteten bei allen Kontakten mit den Behörden bis hin zur Härtefallkommission. Konflikte und Enttäuschungen gibt es insbesondere dann, wenn soziale Bindungen aufgebaut wurden und viel in eine bleibe Perspektive investiert worden ist (zum Beispiel Ausbildungsplatz).

8. Regionale Unterschiede machen sich immer stärker bemerkbar

Die Unterschiede zwischen den Regionen werden immer deutlicher. Dafür gibt es verschiedene Gründe: in Regionen, die wirtschaftlich prosperierenden, gibt es eine Nachfrage nach Arbeitskräften und mehr finanzielle Mittel. In diesen ist es für Geflüchtete und Helfergruppen leichter, Zugänge zur Arbeitswelt zu finden. Das gesellschaftliche Klima Geflüchteten gegenüber ist ein weiterer wichtiger Faktor in der Auseinanderentwicklung von Regionen. Hinzu kommt, dass für einige Geflüchtete Großstädte attraktiver sind als ländliche Regionen, weil sie dort eher Landsleute treffen können. Großstädte sind für einige auch attraktiver, weil sie dort der Betreuung durch Helfergruppen entgehen können, die sie eher als soziale Kontrolle wahrnehmen. Regionen mit schrumpfenden Bevölkerungszahlen und dem Problem der Überalterung erhoffen sich durch den Zuzug von Geflüchteten eine Umkehr dieser Entwicklungen.

9. Verständigungsprozesse innerhalb der Kommunen über die weitere Entwicklung werden wichtiger

In den untersuchten Kommunen gab es keine gewalttätigen Aktionen gegen Geflüchtete oder Proteste. Allerdings gab es auch keine Verständigung mit diesem Teil der Bevölkerung, der auch in den untersuchten Kommunen zu finden ist. Es wurde von keinen Verständigungsprozessen berichtet, wohl auch, weil sich die Gegner bzw. Skeptiker nicht in öffentlichen Runden bemerkbar machen. Notwendig wären aber zivilgesellschaftliche Verständigungsprozesse im kommunalen Raum, weil das Thema Geflüchtete alle betrifft und Teil des kommunalen Entwicklungsprozesses ist.

10.Reduzierung von Vorteilen gegenüber Geflüchteten ist weniger ein zufälliger Nebeneffekt, sondern für viele in den Helfergruppen eine zentrale Motivation

In vielen Gesprächen wurde berichtet, dass die Arbeit in den Helfergruppen Lernprozesse für die engagierten und die Stadtgesellschaft auslöst. Mit diesen Lernprozessen werden Vorurteile abgebaut und die negative Stimmung in der Stadtgesellschaft verbessert. Teilweise wird die Arbeit mit den Geflüchteten als eine Art Prophylaxe verstanden. Die Geflüchteten werden an westliche Werte und Gepflogenheiten herangeführt, während gleichzeitig versucht wird, die Angriffsfläche für Kritiker zu reduzieren.