Bürgerengagement zwischen staatlicher Steuerung und zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation

Opusculum 57 | 30.04.2012 | Die Wirkung des bundespolitischen Bürgergesellschaftsdiskurses auf die Etablierung einer deutschen Engagementpolitik

Während vor der Jahrtausendwende Themen wie freiwilliges Engagement oder Bürgergesellschaft eher Randthemen des politischen Alltagsgeschäfts waren und überwiegend auf der kommunalen Verbands- und Vereinsebene diskutiert wurden, gehören sie seit dem Jahr 2000 zum festen Bestandteil des bundespolitischen Diskurses. Die Gründe für diese erhöhte Aufmerksamkeit können auf zwei Ursachenkomplexe zurückgeführt werden. Zum einen ging mit dem Regierungsantritt der rot-grünen Bundesregierung um Gerhard Schröder im Jahr 1998 ein – vom angelsächsischen „dritten Weg“ (Giddens 1999) beeinflusster – Wandel der Sozialstaatlichkeit in Richtung Aktivierung einher. Der aktivierende Sozialstaat beruht grundlegend auf einer neuen Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft und zielt auf die Wiederbelebung des Subsidiaritätsprinzips in dem Sinne ab, dass der gesellschaftlichen Selbstregulierung Vorrang vor staatlicher Aufgabenwahrnehmung eingeräumt wird. Vor diesem Hintergrund erleben bürgergesellschaftliche Themen seit der Jahrtausendwende nicht nur im politischen Diskurs, sondern auch de facto eine erhebliche Bedeutungsaufwertung, die sich in der Verabschiedung engagementspezifischer Programme und Maßnahmen widerspiegelt: Exemplarisch sei an die Initiierung des ersten Freiwilligensurveys 1999 durch das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ), die Begehung des „Internationalen Jahres der Freiwilligkeit“ (IJF) 2001 und insbesondere an die Arbeit der Enquete-Kommission „Zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ (Bundestags-Drucksache 14/8900 2002) erinnert. Seit dem Jahr 2000 kann folglich von der schrittweisen Etablierung einer Engagementpolitik auf bundespolitischer Ebene in Deutschland gesprochen werden (Hartnuß/Klein/Olk 2010).

Zum anderen ist der Wandel der Sozialstaatlichkeit im Sinne der Aktivierung untrennbar mit einem Wandel der Regierungstechniken verbunden. Gerade die Stärkung zivilgesellschaftlicher Kräfte ist mit Government im Sinne hierarchischer Steuerung des Staates unvereinbar. Direkte Steuerungsformen werden nunmehr ergänzt durch indirekte und weiche Regulierungsmechanismen, wie etwa Verhandlungsnetzwerke, Persuasion oder Diskursstrukturierung, die gemeinhin als Governance1 bezeichnet werden. Die neuen Steuerungsmethoden sind besonders für den Bereich der Engagementpolitik entscheidend, da freiwilliges Engagement hier nicht top-down erzeugt werden kann, sondern der Mitarbeit zivilgesellschaftlicher Akteure bedarf. Der Prozess der Institutionalisierung einer deutschen Engagementpolitik ist somit grundlegend durch ein spannungsreiches Verhältnis zwischen staatlichen Steuerungsambitionen auf der einen und zivilgesellschaftlicher Selbstregulierung auf der anderen Seite gekennzeichnet.

Der Fokus der folgenden Ausführungen liegt auf den bundespolitischen Regulierungsstrategien im Rahmen der Engagementpolitik und ihrer Auswirkungen auf die Gestaltungsspielräume zivilgesellschaftlicher Akteure. Diese Perspektive ist von besonderem Interesse, da, wie am Beispiel der Arbeitsmarktpolitik bereits ausführlich untersucht (u.a. Ludwig-Mayerhofer/Behrend/Sondermann 2009), modernes Regieren im Sinne der Aktivierung durch eine Dialektik aus Mobilisierung und Regulierung gekennzeichnet ist (Lessenich 2009: 137-139). Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der Beitrag mit der hochaktuellen Frage, ob und wie sich diese paradoxe Logik in den staatlichen Aktivierungsstrategien im Bereich der Engagementpolitik widerspiegelt und welche Konsequenzen sich daraus für das Verhältnis von staatlicher Steuerung und zivilgesellschaftlicher Selbstregulierung ergeben.

Diese Fragestellung wird im Folgenden ausgehend von der Rekonstruktion des um die Jahrtausendwende einsetzenden bundespolitischen Engagementdiskurses anhand ausgewählter Beispiele der Engagementpolitik, konkret dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und der Nationalen Engagementstrategie, bearbeitet: (1) Für die bundespolitische Ebene werden zunächst die Ergebnisse einer Diskursanalyse zentraler, um das Jahr 2000 veröffentlichter Regierungsdokumente vorgestellt, die nach den verschiedenen Argumenten für die Förderung bürgerschaftlichen Engagements fragt. Hierbei steht die These im Mittelpunkt, dass durch die diskursive Konstruktion engagementspezifischer Angebots- und Nachfragestrukturen in bundespolitischen Engagementdebatten eine spezifische Deutung der Bürgergesellschaft erzeugt wird, die eine effektivere staatliche Regulierung derselben erlaubt, und die im vorliegenden Beitrag als Freiwilligen-Markt bezeichnet wird. Um den Zusammenhang zwischen sprachlichem Handeln und institutionellen Strukturen im Bereich der Engagementpolitik aufzeigen zu können, werden anschließend (2) das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement und (3) die Nationale Engagementstrategie daraufhin untersucht, inwieweit diese den identifizierten bundespolitischen Freiwilligen-Markt-Diskurs in ihre Selbstbeschreibung integriert haben bzw. sich in ihrer Arbeit auf diesen berufen. (4) Danach gilt es, die Arbeitsweise des BBE und den Entstehungskontext der Nationalen Engagementstrategie entsprechend der erkenntnisleitenden Fragestellung des Beitrags dahingehend zu untersuchen, ob hier die für die staatliche Aktivierungsstrategie charakteristische Dialektik aus Mobilisierung und Regulierung zum Tragen kommt. (5) Abschließend werden die Konsequenzen thematisiert, die sich aus diesen Ergebnissen für das Verhältnis von staatlicher Steuerung und zivilgesellschaftlicher Selbstregulierung im Bereich der Engagementpolitik ergeben.

1 Arthur Benz definiert Governance als eine „Kombination aus Hierarchie, Verhandlungen, Netzwerken, (…) Anreizmechanismen und Vereinbarungen im Zusammenwirken staatlicher und gesellschaftlicher Akteure“ (Benz 2004: 19).

Daniela Neumann

studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit November 2010 ist die Autorin Doktorandin im Kolleg „Die Grenzen der Zivilgesellschaft“ des Max-Weber-Instituts für Soziologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. In ihrer Doktorarbeit erforscht sie die Grenzen der politischen Steuerung freiwilligen Engagements. Der vorliegende Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, den die Autorin am 10.01.2012 im Rahmen der Vortragsreihe „Zivilengagement: Theorie, Geschichte und Perspektiven der Forschung“ im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) gehalten hat.
daniela.neumann@soziologie.uni-heidelberg.de

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