Sind NGOs transparenter als zwischenstaatliche Organisationen und internationale Unternehmen?

Opusculum 1 | 01.09.2004 | Eine Analyse des Global Accountability Report 2003 

1 Einleitung

In der theoretischen Debatte wie auch in der Öffentlichkeit werden Rechenschaftsdefizite auf der internationalen Ebene schon längere Zeit kritisiert und Rechenschaftsforderungen sowohl an zwischenstaatliche Organisationen (Intergovernmental Organisations, IGOs) als auch an internationale Nonprofit-Organisationen (Non-Governmental Organisations, NGOs) und transnationale Unternehmen (Transnational Corporations, TNCs) gestellt. Tatsächlich fordert die Öffentlichkeit schon seit den 80er Jahren von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds mehr Rechenschaft, die diese gegenüber der Zivilgesellschaft in Geber- und Empfängerländern ablegen sollen.1 Die globalisierungskritischen Gruppierungen, welche sich 1999 in Seattle und bei späteren internationalen Konferenzen immer wieder zu Protesten auf die Straße begeben haben, fordern von der WTO und einigen anderen IGOs größere Transparenz in ihrer Entscheidungsfindung und eine verstärkte Beteiligung an diesen Entscheidungen. Dabei geht es letztlich um die Legitimation von Beschlüssen, die auf internationaler Ebene gefällt werden und sich über nationalstaatliche Grenzen hinweg auswirken. Die Legitimationsproblematik steht denn auch für viele globalisierungskritische Bewegungen im Vordergrund: Man nimmt die Globalisierung schon fast als gegeben hin, setzt sich aber für mehr Rechenschaftspflicht der internationalen Akteure in der globalisierten Welt ein und sieht diese Forderungen als einen Übergang zu einer globalen Demokratie.2

Gleichzeitig werden auch die internationalen NGOs immer wieder in Zusammenhang mit Rechenschaftsdefiziten gebracht. Zwar gehören sie zu den stärksten Befürwortern von mehr Transparenz innerhalb der Politik und der Wirtschaft, dennoch wird auch ihnen mangelnde Rechenschaftslegung nach innen und nach außen vorgeworfen. Das kritisierte Rechenschaftsdefizit bezieht sich auf der internen Ebene auf hierarchische Organisationsund Führungsstrukturen, die als undemokratisch eingeschätzt werden, da sie die Entscheidungsmacht aus Effizienzgründen auf wenige Mitglieder beschränken.3 Auf der externen Ebene bezieht sich die Kritik auf die mangelnde Legitimation der NGOs zur Interessensvertretung auf internationaler Ebene, denn sie werden weder durch demokratische Wahlen auf dieser übergeordneten Ebene gewählt, noch können sie ihr Tun durch eine umfassende Repräsentation aller Interessen rechtfertigen. Hinzu kommt, daß die NGOs der Industriestaaten und diejenigen der Entwicklungsländer über sehr unterschiedliche Ressourcen verfügen, so daß durch die begrenzten finanziellen und personellen Möglichkeiten der Süd-NGOs diese in der Interessensvertretung benachteiligt werden.4 Da die Rechenschaftspflichten der internationalen NGOs kaum zwingend vorgeschrieben sind, bewegen sie sich in einem Raum, der sie nur wenig an die Bedürfnisse der Vertretenen bindet.

Schließlich ist auch in Bezug auf transnationale Unternehmen immer wieder der Ruf nach stärkerer Rechenschaftspflicht zu hören. Im Zuge der Integration der Märkte hat sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ein funktional definierter wirtschaftlicher Raum gebildet, in dem transnationale Unternehmen weitgehend losgelöst von den Nationalstaaten agieren können.5 Multilaterale Handelsabkommen wie bspw. das GATT, aber auch technische Neuerungen sowie verbesserte Kommunikationsund Transportmöglichkeiten erleichtern es, die Produktionsketten der TNCs in viele Einzelschritte und geographisch verstreute Produktionsstätten zu zerlegen. Damit können Produktions- und Standortvorteile verschiedener Länder ausgenutzt werden. Offensichtlich haben die Rechenschaftsvorschriften der nationalen Rechtssysteme auf diesem globalen Parkett an Wirkung verloren, denn bestehende nationalstaatliche Rechenschaftsmechanismen können leicht umgangen werden, indem TNCs ihren rechtlichen Sitz in ein anderes Land verlegen, in dem bestimmte rechtliche Regelungen nicht gelten. Gleichzeitig sind die Konsumentenentscheidungen häufig kein wirksamer Mechanismus, Rechenschaft einzufordern, wenn diejenigen am stärksten betroffen sind, die den geringsten finanziellen Spielraum und somit weniger Wahlmöglichkeiten haben. Trotz des wachsenden Einflusses der Konsumenten werden folgenreiche Entscheidungen heute vermehrt von wirtschaftlichen Akteuren gefällt, die sich allenfalls ihren Aktionären gegenüber verpflichtet fühlen. Die Proteste gegen Nike, Shell, Disney oder McDonalds bedeuten aber, daß auch von diesen mächtigen privaten Akteuren der Weltpolitik zunehmend mehr Rechenschaft gefordert wird.6

Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden das Global Accountability Project (GAP) betrachtet werden, das auf internationaler Ebene die Forderung nach Rechenschaftspflicht und Partizipationsrechten erhebt und die Betroffenen, die Stakeholder, ermächtigt, diese Forderungen zu stellen. Damit wird ein zentrales Grundprinzip der Demokratie von seinem nationalstaatlichen Rahmen auf die Ebene der Weltpolitik verlagert. Einzelne Aspekte der durch diese Verlagerung aufgeworfenen Fragen sollen in der vorliegenden Analyse diskutiert werden. Dazu wird zuerst das Global Accountability Project vorgestellt, dessen Pilotphase mit einem ersten Bericht, dem Global Accountability Report 2003 abgeschlossen wurde. Daran schließen sich Überlegungen zu den Besonderheiten der Rechenschaftsmechanismen auf der internationalen Ebene und zu den damit verbundenen demokratischen Bürgerpflichten an. Vor diesem Hintergrund soll besonderes Gewicht auf die internationalen NGOs gelegt und der Frage nachgegangen werden, ob diese transparenter als die anderen internationalen Akteure sind. Das Datenmaterial der Pilotphase des GAP erlaubt erstmals einen solchen Vergleich.

 

1 Vgl. Fox/Brown (2000), S. 1.
2 Vgl. Zürn (2003), S. 250f., Zürn bezieht sich auf Aussagen von Susan George, der französischen Vizepräsidentin von ATTAC.
3 Vgl. Schmidt/Take (2000), S. 176.
4 Vgl. Schmidt/Take (2000), S. 177.
5 Vgl. Wolf (2000); S. 15.