Onlinediskussion am 09. September 2020: Angriff auf die Zivilgesellschaft? Der umkämpfte Handlungsraum für zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland

Datum
09.09.2020
16:30 Uhr - 18:00 Uhr


Onlinediskussion: Angriff auf die Zivilgesellschaft? Der umkämpfte Handlungsraum für zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland

In vielen Ländern nehmen die staatlichen Repressionen gegen zivilgesellschaftliche Akteure zu – sogenannte ‚NGO-Gesetze‘ setzen Registrierungszwang, Einschränkungen der Finanzierung und starke Überwachung fest, vermehrt lassen sich Einschränkungen der Bürgerrechte, und physische oder psychische Angriffe auf Aktivisten beobachten. Zivilgesellschaft, die häufig wichtige Kontroll- und Artikulationsfunktionen in Gesellschaften ausübt, wird somit in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt. Deutschland, so scheint es, stellt hier im Vergleich mit anderen Ländern noch eine Insel der Glückseligen dar. Der Civicus Monitor, eine Initiative zur globalen Messung der Freiheitsräume nationaler Zivilgesellschaften, kategorisiert die deutsche Zivilgesellschaft als frei, die Rahmenbedingungen hierzulande, etwa im bürgerschaftlichen Engagement oder im Spendenaufkommen, sind gut. Und dennoch mehren sich auch hier die Anzeichen, die zeigen, dass der Handlungsraum für zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland umkämpft ist und von unterschiedlichen Kräften angefochten wird. Politisches Engagement außerhalb der Parteien wird erschwert, Helfer werden bedrängt und stigmatisiert, Reformen verschleppt.

Die Onlineveranstaltung diente dazu, mithilfe verschiedener Inputs zum Problem des politischen Aktivismus im Gemeinnützigkeitsrecht, den (aktuellen) Einschränkungen der Freiheitsrechte in Deutschland, sowie der Beschränkungen humanitärer Helfer, unterschiedliche Facetten des Problems zu beleuchten.

Es diskutierten:

Dr. Siri Hummel (Moderation) vom Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft

Dr. Pauline Weller von Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF)

Sonja Hövelmann vom Centre for Humanitarian Action (CHA)

Stefan Diefenbach Trommer von der Allianz für politische Willensbildung

Zusammenfassung der Onlinediskussion: 

Die Veranstaltung Angriff auf die Zivilgesellschaft? Der umkämpfte Handlungsraum für zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland fand im Format einer Online-Diskussion am statt. Dr. Siri Hummel (Maecenata Stiftung) leitete die Moderation und gab einen Einblick in das globale Phänomen des Shrinking Space of civil society, also die Einschränkung des zivilgesellschaftlichen Handlungsraums.

Dr. Pauline Weller (Gesellschaft für Freiheitsrechte GFF) stellte die Frage nach dem Schutz der Freiheitsrechte im Rahmen der zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume, insbesondere mit Blick auf die verfassungsrechtliche Verankerung der Versammlungsfreiheit. Sie betonte die Wichtigkeit zivilgesellschaftlichen Protests insbesondere in Zeiten der COVID19-Krise, wenn schnelle Entscheidungen seitens der Politik getroffen werden, wodurch die Gefahr mangelnder Berücksichtigung einiger gesellschaftlicher Interessen besteht.

Stefan Diefenbach Trommer (Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung”) stellte die These auf, dass der Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Akteure zum Teil gar nicht geöffnet sei. Durch das Fehlen eines NGO Gesetzes prägt das Steuerrecht der Gemeinnützigkeit die Struktur zivilgesellschaftlicher Organisationen (ZGO) und wird zum Standard. Er zeigte die einschränkende und staatlich regulierende Funktion des Rechts auf, das den Sektor der ZGO‘s spaltet und zu großen Problemen führen kann, wenn ZGO politisch bildend oder fordernd tätig werden.

Diefenbach Trommer zog die Bilanz, dass in weiten Kreisen von Politik und Parteien ein mangelndes, unpolitisches Verständnis von Zivilgesellschaft bestehe. Dadurch werde die Wichtigkeit von ZGO’s als Wächterfunktion für die Demokratie nicht verstanden und dementsprechend nicht die entsprechenden Rechte freigegeben.

Sonja Hövelmann (Centre for humanitarian Action) beleuchtete den Shrinking humanitarian space im globalen Norden und Süden. Sie betonte, dass mit administrativen Hürden humanitäre Hilfe eingeschränkt und kriminalisiert werde, wodurch die Zivilgesellschaft Aufgaben übernimmt, die eigentlich dem Staat unterliegen. Zudem knüpfte sie an Dr. Wellers Punkt an, dass bestimmte Gruppen in gewissen Ausschüssen unter Vorwand von COVID19 nicht mehr gehört werden.  Als Beispiel berichtete sie von „Ärzte ohne Grenzen“, die den Quarantäne Bereich für COVID19 PatientInnen in Moria unter Vorwand von Baumängeln und Androhung hoher Geldstrafen schließen mussten. Als Konsequenz stand das ganze Camp bis Anfang September unter Quarantäne. Sonja Hövelmann stellte heraus, wie Delegitimierung, Politisierung, Diffamierung und Kriminalisierung zu einem Shrinking humanitarian space führen.

In der Diskussion wurden weitere Anzeichen staatlicher Überregulierung und Einschränkungen von zivilgesellschaftlicher Handlungsfreiheit in Deutschland debattiert. Abschließend wurde die Notwendigkeit einer appellativen Bewusstseinsbildung aus der Zivilgesellschaft, mit dem Ziel der politischen Teilhabe und Lösungsfindung für gesellschaftliche Herausforderungen, herausgestellt.