Neuerscheinung: Zivilgesellschaft lebt! Eine Begegnung in Bagdad am 13. Februar 2025

Observatorium 80 I März 2025 I Rupert Graf Strachwitz |

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Zivilgesellschaft lebt! Eine Begegnung in Bagdad am 13. Februar 2025

von Rupert Graf Strachwitz

Ein Land, das von Kriegen und Bürgerkriegen traumatisiert ist, aber jetzt einen Aufbruch erlebt; keine Familie, die nicht schreckliche Erinnerungen und Verluste beklagt, aber zugleich Hoffnung in die Zukunft hat; eine spürbare Verrohung und Verhärtung der Menschen, aber auch der Wille, neu anzufangen. Und Bagdad: eine Stadt mit überall sichtbaren Spuren von Verwüstung und mit starker Präsenz von Militär und Polizei, aber auch voller Baustellen, mit hochmodernen Gebäuden, voller neuer Autos – und gut und sicher zu durchstreifen. Alte Gebäude sind allerdings leider vielfach dem Verfall preisgegeben. Interessant die Beobachtung, daß christliche Kirchen im Stadtbild sichtbar sind, sich aber immer noch mit hohen Mauern und Stacheldraht schützen müssen, auch wenn die Christen wohl seit dem Besuch von Papst Franziskus freier atmen können.

Seit 2 Tagen erstmals im Land habe ich dank Udo Steinbach das große Glück, schon im vorhinein eine seit Jahrzehnten (und mit Begeisterung) hier lebende, zivilgesellschaftlich engagierte deutsch-schwedische Journalistin, Birgit Svensson, kennengelernt zu haben, die mir schon in Berlin und jetzt hier vieles erzählen und erklären konnte. Sie vermittelte den Kontakt zu einer wunderbaren Irakerin, Shirouk Al-abayachi, Generalsekretärin des National Civil Movement, seit Jahrzehnten als Aktivistin unterwegs. Beide sind vertraut mit dem, was ich mache und was mich interessiert und vermitteln es mir sachkundig – gespeist aus eigener Tätigkeit, aus kluger Beobachtung und aus einem großen Netzwerk.

Am 13. Februar gab es eine denkwürdige Gesprächsrunde mit Akteuren und Repräsentanten der irakischen Zivilgesellschaft. Dabei waren der österreichische Botschafter und eine Schweizer Diplomatin, eine Pressesprecherin des Präsidenten und andere, die sich zwischen Staat und Zivilgesellschaft hin und her bewegen oder bewegt haben. Mit etwa 40 Persönlichkeiten saßen wir fast drei Stunden im Garten eines kleinen Zentrums und erzählten uns was – auf englisch, das die meisten verstanden, und arabisch mit Hilfe von zwei Teilnehmenden, die dolmetschten. Unterschiede zwischen unterschiedlichen Volks- und Religionsgruppen spielten keine Rolle; Schiiten waren ebenso vertreten wie Sunniten.

Mit den in Deutschland (leider) nach wie vor notwendigen Begriffsklärungen brauchten wir uns nicht aufzuhalten; alle Anwesenden wußten, was Zivilgesellschaft (civil society) ist. Aber ich war aufgefordert, von mir, meinem Werdegang und meiner Stiftung zu berichten. Deren  Mission wurde offenkundig verstanden, denn die sonst so oft im Raum stehende Frage, ob wir Organisationen finanziell unterstützen könnten, wurde nicht thematisiert. Dafür ging es um Narrative, um Positionen, um Vergleiche in den Problemstellungen und Antworten. Die Rechte von Frauen waren angesichts einer aktuellen Gesetzgebungsinitiative der irakischen Regierung ein wichtiger Punkt; ein anderer war die Frage, wie Zivilgesellschaft dazu kommen könne, mit einer starken Stimme der Regierung gegenüberzutreten. Auch gab es Interesse für Forschungs- ebenso wie für Policy-Fragen.

Dies war Anlaß für mich, eindringlich darauf hinzuweisen, daß wir in Deutschland nicht in einem zivilgesellschaftlichen Garten Eden leben, daß auch in Europa die Zivilgesellschaft angegriffen, bedrängt oder jedenfalls nicht respektiert wird – und daß sie auch bei uns nicht zu einer starken Vertretung gefunden hat. Dies erstaunte zunächst, wurde aber, denke ich, dann doch verstanden, zumal ich mehrfach den aufschlußreichen Wortmeldungen, die ich zu hören bekam, damit antworten konnte, daß ich die Situation in Deutschland ähnlich charakterisieren würde.

Natürlich ist nicht zu übersehen – und auch dies habe ich hoffentlich deutlich machen können – daß die Schwerigkeiten, mit denen die irakische Zivilgesellschaft konfrontiert ist, noch eine anderen Dimension haben, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Über die Größe war nichts genaues herauszubringen; klar war aber, daß sie lebt, dynamisch wächst und politisch ernst genommen werden will. Auch konnte ich den Narrativen entnehmen, daß lokale Grassroots-Bewegungen, moderne Hilfsorganisationen und Themenanwälte, die für Menschen- und Bürgerrechte, Umwelt- und Klimathemen, Frauenfragen (das Wort gender darf im Irak nicht verwendet werden) und andere wichtige Ziele politisch kämpfen, miteinander existieren. In meinem Schlußwort habe ich darauf hingewiesen, daß anders als die Regierungen uns weismachen wollen, nicht diese die Garanten für Stabilität sind und schon immer waren, sondern daß am Anfang des gesellschaftlichen Zusammenschlusses (in der Region, die heute den Irak bildet) die freiwillige Gemeinschaft steht und es keinen Grund gibt zu glauben, sie würde dauerhaft verschwinden oder unterdrückt werden können.

Ich hatte erwartet, daß auch Gaza ein Thema sein würde. Es kam nur einmal auf, deutlich vorgetragen von einer Ärztin und ehemaligen Parlamentsangeordneten, die mit klaren Worten an die 42.000 in Gaza umgekommenen Palästinenser erinnerte und von einem Deutschlandbesuch berichtete, bei dem sie die für sie unverständliche Haltung kennengelernt habe, die in der Resolution des Bundestags vom 9. November zum Ausdruck kam. In der Tat: Unsere weit über das Ziel hinausschießende Unterstützung der israelischen Regierung hat uns, wie ich im Nachgespräch erfuhr, in allen Ländern des islamischen Kulturraums, aber gerade auch im traditionell deutsch-freundlichen Irak nachhaltig Sympathien gekostet.

Alles in allem ein hochinformativer Tag, der mir wieder einmal die Supranationalität und globale Vernetzung und Bedeutung der Zivilgesellschaft deutlich werden ließ – und ihr sympathisches, liebenswertes Antlitz. Der Austausch mit den engagierten, sachkundigen Bewegern, übrigens aller Altersgruppen, wird mir im Gedächtnis bleiben.

Dr. Rupert Graf Strachwitz ist Gründer und Senior Strategic Advisor der Maecenata Stiftung.

Herzlichen Dank an Shirouk Ayabachi für die Übersetzung des Texts ins Arabische

 

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