09.09.2024 I Rupert Graf Strachwitz rezensiert den Band Stiftungen der Gesellschaft – Zur organisierten Philanthropie der Gegenwart von Pascal Goeke, Evelyn Moser, Ramin Bahrami, Julia Burgold, Marc Mölders und Galina Selivanova.
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Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der Philanthropie findet in Deutschland wie im übrigen Kontinentaleuropa nicht in großem Maße statt. Wo doch, sind es Juristinnen und Juristen, in geringerem Maße Historikerinnen und Historiker, die sich damit auseinandersetzen. Es ist daher zunächst sehr zu begrüßen, daß sich eine Gruppe von Ökonomen, Soziologinnen und Politikwissenschaftlern dieses Themas in einem relativ groß dimensionierten interdisziplinären Forschungsprojekt angenommen hat, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Es trug den Titel „Wohlmeinende Autokratien in Demokratien – Gemeinwohlvorstellungen von Stiftungen und der Faktor Partizipation“. Der vorgelegte Sammelband stellt Ergebnisse des Projekts vor, das von 2019 bis 2023 durchgeführt wurde und zu dem auch Vortragsveranstaltungen und Tagungen gehörten.
Wie der sprachlich und begrifflich etwas seltsame Buchtitel ‚Stiftungen der Gesellschaft‘ zustande gekommen ist und was er vermitteln soll, wird den Leserinnen und Lesern nicht verraten. Er hat wohl einen Zusammenhang mit dem Eingangssatz: „Von privater Hand errichtete und dem Gemeinwohl dienende Stiftungen schillern.“ (S. 9) Die Folie, vor der die Studie entwickelt wird, ist damit umrissen: Es geht den Autorinnen und Autoren um die unterschiedliche Entstehungsgeschichte und insbesondere die sehr unterschiedliche Mittelherkunft der Stiftungen und letztlich um die Frage, ob diese trotzdem in einer modernen demokratischen Gesellschaft einen legitimen Platz einnehmen dürfen. Die Fragestellung knüpft an eine insbesondere in den USA schon seit langem geführte, zur Zeit von Wissenschaftlern um Robert (Bob) Reich an der Stanford University und anderen vorangetriebene Debatte an. Sie wendet diese allerdings deutsch-europäisch, indem die „Möglichkeit zur Akkumulation von teils gewaltigen Vermögen, mit allgemeinen Auseinandersetzungen zu Verteilungsfragen und speziellen Diskussionen hinsichtlich der moralischen Problematik von Reichtum“ (S. 11) in den Vordergrund gerückt wird.
Angesichts einer in Europa vorherrschenden, eher positivistischen Wissenschaftsdebatte um das Management von Stiftungen ist die Beschäftigung mit dieser Grundsatzfrage durchaus zu begrüßen. Dazu finden sich insbesondere in dem ausführlichen Einleitungskapitel von Pascal Goeke, Evelyn Moser und Marc Mölders zahlreiche bedenkenswerte Überlegungen, die sich allerdings, wie die Verfasser selbst zugeben, nicht zu einem schlüssigen Gesamtbild verdichten. „Die Unerreichbarkeit einer normativen Letztbegründung für oder gegen Stiftungen steht […] neben der empirischen Beobachtung, daß Stiftungen offensichtlich bedeutende Akteurinnen in der modernen Gesellschaft sind.“ (S. 24) Ob dies so offensichtlich ist, läßt sich diesem und den nachfolgenden Kapiteln letztlich nicht entnehmen. Es könnte schon auch dem Wunschdenken mancher Stifter und Stifterinnen sowie Stiftungsverwalter entsprechen.
Goeke und Moser beschäftigen sich in Kap. 2 ausführlich mit der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur zum Stiftungswesen und sprechen mit Recht von einer „Unausgewogenheit“ (S. 31), die es verbietet, „eine historisch durchgängige und für alle Weltregionen gleichermaßen gültige Organisationstheorie der Stiftungen zu entwerfen“ (ebd.) Der darauf folgende Versuch, in diese Unübersichtlichkeit Schneisen zu schlagen und methodologisch akzeptable Charakterisierungen und Unterscheidungen einzuführen, gelingt nur zum Teil. So regen die in diesem Kapitel vorgetragenen Argumente zum Weiterdenken an, können aber keine sozialwissenschaftlich überzeugende Theorie des Stiftungswesens vermitteln.
Die folgenden Kapitel verlassen den Pfad der versuchten Theoriebildung und konzentrieren sich auf Einzelaspekte. Dabei überrascht, daß in Kap. 3 genau das ausführlich besprochen wird, von dem man sich zuvor hat befreien wollen: das Management von Stiftungen. Auch wenn Julia Burgold sehr wohl den Anspruch erhebt, dieses Management in einen größeren sozialwissenschaftlichen Zusammenhang einzubetten, bleibt doch der erstrebte Bezug zur Praxis ebenso dominant wie hinderlich. In Kap. 4 beschäftigt sich Marc Mölders kritisch mit dem zumal von großen Stiftungen erhobenen Anspruch, gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich zu beeinflussen. Seiner Feststellung „Gesellschaftstheoretische Erörterungen philanthropischer Organisationen sind selten“ (S. 123) ist beizupflichten. Sein Versuch, diese Erörterung zu führen, ist daher unbedingt zu begrüßen. Allerdings scheint dem Rezensenten der Versuch, diese direkt an Luhmanns Konzept der Weltgesellschaft anzubinden (S. 97/125), im Hinblick auf die überwiegende Zahl kleiner und kleinster Stiftungen in Europa doch etwas gewagt und angesichts der schon erwähnten Aussage zur Unmöglichkeit einer globalen Stiftungstheorie rätselhaft.
Spätestens hier und noch deutlicher in den folgenden Kapiteln wird eine Schwäche des Bandes offenkundig. In den Blick genommen sind große, zumal amerikanische Stiftungen. Ein ganzes Kapitel von Pascal Goeke und Galina Selivanova widmet sich bspw. der Rockefeller Foundation (S. 127 ff.). Es erstaunt auch nicht, daß Tim Schwabs sehr kritisches Buch über Bill Gates (dt. 2023) mehrfach zitiert wird. Die Unterschiede zum europäischen und zumal deutschen Stiftungswesen mit seinen funktional viel diverseren und, was die Vermögensausstattung betrifft, um Faktoren kleineren Stiftungen werden wenig thematisiert und bleiben den Leserinnen und Lesern verborgen. Und im Hinblick auf gesellschaftliche Einordnung hätte man sich eine Herausarbeitung von Unterschieden gewünscht.
Interessant ist die von Moser (in Kap. 6, S. 161 ff.) vorgenommene Detailbetrachtung, die Stiftungshandeln in ausgewählten Tätigkeitsfeldern dem Handeln anderer Akteure im gleichen Feld gegenüberstellt. Daß hierbei historisch etwas sehr weit ausgegriffen wird, ist der Tatsache geschuldet, daß der Text bereits einzeln veröffentlicht war und für diesen Band überarbeitet wurde. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Bahrami in Bezug auf Wissenschaftsstiftungen (Kap. 7, S. 219 ff.) und Selivanova und Weber, die sich mit Umweltstiftungen auseinandersetzen (Kap. 8, S. 249 ff.) Dabei gerät der Anspruch, „Bedingungen, Möglichkeiten und Praktiken von gemeinnützigen Stiftungen in Demokratien zu erforschen“ (S. 7) zuweilen etwas aus dem Blick.
Insgesamt allerdings leistet der Band durchaus einen Beitrag zu einer notwendigen wissenschaftlichen Durchdringung eines weder unwichtigen noch uninteressanten gesellschaftlichen Phänomens. Ihm Desiderate für weitere Forschung zu entnehmen, ist ebenso möglich wie zu wünschen.
Rupert Graf Strachwitz
Pascal Goeke / Evelyn Moser / Ramin Bahrami / Julia Borgold / Marc Mölders / Galina Selivanova: Stiftungen der Gesellschaft – Zur organisierten Philanthropie der Gegenwart. Bielefeld: transcript (Global Studies & Theory of Society Bd. 7) 2024
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