12.06.2024 I Rupert Graf Strachwitz rezensiert Großzügigkeit im Dialog – Der Leitfaden für die Zusammenarbeit mit Mäzenen und Philanthropen
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Quelle: Haupt
Ein Mäzen will eine Musikerin unterstützen, und weil nach seinem Selbstverständnis nur das Beste für ihn gut genug ist, stiftet er für sie das beste Instrument, das auf dem Markt zu haben ist. „Falsch“, rufen die Autorinnen des hier vorgestellten Werks. Er sollte sich auf die Musikerin einlassen und mit ihr gemeinsam das für sie geeignete Instrument aussuchen. Sie haben Recht, und darum geht es ihnen, um den unabdingbaren Dialog zwischen Philanthropen und Mäzenen und Mittlern und Begünstigten und der Gesellschaft. Das zuerst auf italienisch erschienene Buch ist keine wissenschaftliche Studie, sondern bereitet den wissenschaftlichen Erkenntnisstand transdisziplinär für ein größeres Publikum auf. Wer es genauer wissen will, kann auf die umfänglichen Quellenangaben zurückgreifen, wird aber nicht gezwungen, alle Auswertungen mitzuvollziehen – und davon möglicherweise abgeschreckt. Der Text liest sich vielmehr flüssig; die durchgängig internationale und stellenweise Schweizer Perspektive erweitert den Horizont und beschert an manchen Stellen Aha-Erlebnisse. Dies gilt auch für den explizit hervorgehobenen weiblichen Zugang. Daß die Ausführungen immer wieder durch Beispiele angereichert sind, bedarf kaum der Erwähnung.
Der relativ schmale Band (alles in allem 200 Seiten) richtet sich in erster Linie an alle diejenigen, die beruflich mit der Thematik konfrontiert sind oder einer der genannten Teilnehmergruppen an diesem Dialog angehören (oder angehören sollten). Viele sind dies naturgemäß zum ersten Mal, wenn sie nach erfolgreichem Berufsleben mäzenatisch oder philanthropisch tätig werden wollen. Die Autorinnen legen Wert auf eine prinzipielle Unterscheidung zwischen Mäzenatentum und Philanthropie, räumen allerdings ein, daß sich die Unterschiede in der Postmoderne zunehmend verwischen. Ihr Hauptziel ist es, durch definitorische Klärungen, die sich an alle Beteiligten richten, und konkrete Handlungsanleitungen für einzelne Gruppen, die aber allen zur Lektüre angeboten werden, eine gemeinsame Verständnis- und Gesprächsbasis herzustellen, damit der fruchtbare – und dringend notwendige – Dialog entstehen und vor allem sich einspielen kann. Im Kapitel 3, überschrieben mit „Vorbereiten der Aktivität“, wird es da beispielsweise, nachdem zuvor Traditionsstränge bis in die Antike zurückverfolgt wurden, sehr praktisch. Da gibt es Checklisten und weitere konkrete Anleitungen. In Kapitel 4 wird ein System, genannt Moves Management, vorgestellt, das dem Fundraiser ermöglichen soll, eine Beziehung zu einem Mäzen oder einer Mäzenin systematisch aufzubauen und zu kultivieren. Die 7 beschriebenen Schritte klingen, wenn man sie hier liest, selbstverständlich oder sogar banal; aus langjähriger leidvoller Erfahrung weiß der Rezensent, wie viele, durchaus auch solche, die es besser wissen könnten, ernsthaft glauben, ohne eine solche Systematik operieren zu sollen.
Der Clou des Buchs liegt darin, daß auch der Mäzen das alles vorher lesen kann. Er (natürlich auch sie) ist also keinem arm twisting ausgesetzt, wird nicht emotional bedrängt oder gar erpreßt, sondern kann sich, wenn sie/er denn will, ebenso für diesen Dialog rüsten, in den von allen Seiten Empathie ebenso eingebracht werden kann wie der Wunsch nach Relevanz, guter performance und vorzeigbaren Ergebnissen. Ein bißchen mehr Mahnung zu Transparenz und gesellschaftlicher Verantwortlichkeit würde sich der Rezensent vielleicht wünschen. Sie wird hier gewissermaßen unterstellt, was ganz überwiegend in Beziehungen dieser Art ja auch statthaft ist. Aber solche manuals, und darum handelt es sich bei dieser Veröffentlichung, müssen nun einmal auch die dunkleren Schafe adressieren.
Zwei weitere, sehr kleine Einwände seien noch angefügt: Während das Mäzenatentum begriffshistorisch zu Recht an Gaius Cilnius Maecenas festgemacht wird, fehlt erstaunlicherweise der Hinweis auf Platon, der in seinem Dialog Euthyphron seinen Lehrer Sokrates von sich selbst sagen läßt, er sei ein Philanthrop, weil er andere kostenfrei an seiner Weisheit teilhaben lasse – ein früher Hinweis auf die durchaus vielschichtige und keineswegs auf finanzielle Förderung beschränkte Begriffsgeschichte von Philanthropie. Und auf S. 37 heißt es: „Der Non-Profit-Sektor – die Welt der gemeinnützigen Organisationen – wird zu einem immer wichtigeren Bereich der Wirtschaft.“ So sah das vor 200 Jahren auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Aus heutiger Sicht ist dem aber deutlich zu widersprechen. Heute ist es international (und allmählich sogar in Deutschland) üblich, von einer Zivilgesellschaft als eigener Arena neben Wirtschaft und Staat zu sprechen und dieser alle Nonprofit-Organisationen, -Bewegungen, -Initiativen und -Institutionen zuzuordnen.
Um solche Feinheiten geht es aber letztlich in dem Buch nicht. Vielmehr eröffnet es die Chance zu einem Lernprozeß aller an dem Dialog Beteiligten, in den Förderer und Geförderte, Mittler und Begünstigte einsteigen. Das Ergebnis ist mit Professionalisierung nur unvollkommen beschrieben. Es kann eine neue Qualität des Handelns in der und für die Gesellschaft einläuten.
Rupert Graf Strachwitz
Elisa Bortoluzzi-Dubach / Chiara Tinonin, Großzügigkeit im Dialog, Der Leitfaden für die Zusammenarbeit mit Mäzenen und Philanthropen, Bern: Haupt 2022
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