Der stinkende Hund oder warum man als Bibliothekar ukrainischen Wodka geschenkt bekommt – ein Interview

MAECENATA BIBLIOTHEK

  

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Nutzung nach Vereinbarung, bitte kontaktieren Sie unsere Bibliotheksleiterin Frau Ilka Kleinod ik@maecenata.eu

 

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1997 als das Schlagwort „Zivilgesellschaft“ noch gar nicht im GBV-Katalog existierte, gab es unser Maecenata Bibliothek schon – 200 Medien waren katalogisiert. Mittlerweile ist der Bestand unserer Bibliothek auf ca. 16.000 Medieneinheiten zu den Schwerpunktthemen Zivilgesellschaft, Philan-thropie, Fundraising und Stiftungswesen angewachsen. Was in all diesen Jahren passiert ist, warum sie so einmalig ist und was beides mit stinkenden Hunden und ukrainischem Wodka zu tun hat – darüber haben wir (MS) anlässlich des Tages der Bibliothek mit unserer Bibliothekarin Ilka Kleinod (IK) und unserem ehemaligen Bibliothekar Bernhard Matzak (BM) gesprochen.

MS: Warum ist die Maecenata Bibliothek so einzigartig?

BM: Zum einen haben wir sehr viel graue Literatur, also solche die nicht am Buchmarkt mit ISBN-Nummer erscheint, sondern nur in bestimmten Mengen produziert wird. Auch gibt es bei uns teure Literatur und kleine Auflagen (die mittlerweile vergriffen sind). Zum anderen waren wir mit die Ersten, die zu den Themen Zivilgesellschaft und Philanthropie gesammelt haben. Das heißt wir haben aus allen Jahren seit 1997/98, als sich diese Themen entwickelten, Literatur. Vieles davon ist nicht mehr erhältlich. 1998 war der Begriff Zivilgesellschaft in der Öffentlichkeit noch gar nicht vorhanden, das war ein Spezialthema, das nicht mal beim GBV verschlagwortet war.  Damals gab es dort nur „bürgerliche Gesellschaft“ und erst durch Maecenata kam Zivilgesellschaft als Schlagwort zum GBV.

IK: Ja, man sah dann, dass man für die Vielzahl an Literatur zum Thema ein eigenes Wort sozusagen erfinden musste, was das ganze umfasst.

BM: Einige unserer Bücher gibt es natürlich auch bei anderen Bibliotheken, dort muss man jedoch lange danach suchen. Wir haben systematisch gesammelt und unsere Bibliothekarin hat genau auf dem Schirm was wo steht.

IK: Ja, bei uns findet man geballte Literatur zu den Schwerpunktthemen. Wir haben auch ganz einmalige Akten, die wir frei zugänglich machen. Wir sind quasi ein Zwischending zwischen Bibliothek und Archiv.

BM: Zum Beispiel haben wir Akten der Enquetekommission des Bundestages die 2002 abgeschlossen wurde. Darunter sind Reden, Protokolle, Aufsätze – komplett bei uns katalogisiert. Außer dem B  undestag hat diese Daten niemand vollständig und gar nicht erst frei zugänglich. Ein anderes Beispiel: Bei uns kann man die Konferenzmappen wichtiger Konferenzen finden mit Programm, Teilnehmenden und Texten. Darin können Nutzende einen Einstieg in ein aktuelles Thema bekommen, lange bevor der entsprechende Tagungsband herausgegeben wird.

MS: Wie verlief die Geschichte der Bibliothek?

BM: Die Maecenata Bibliothek gibt es seit 1997 und seit ‘98 ist sie öffentlich zugänglich. Erst waren wir in der Albrechtstraße bis 2006, dann in der Wilhelmstraße – Maecenata hatte die Bibliothek der Humboldt-Viadrina School of Governance geschenkt, unter der Präsidentin Gesine Schwan. Nach deren Schließung wurde die Bibliothek von uns wieder zurückgekauft und war für zwei Jahre stillgelegt. 2016 wurde sie dann an ihrem jetzigen Standort in der Rungestraße wiedereröffnet.

MS: Wie finanziert sich die Bibliothek?

BM: Die Maecenata Bibliothek wird über Projektförderungen von Maecenata mitfinanziert und bekommt auch spezifische Förderungen für die Bibliothek, beispielsweise von The Atlantic Philanthropies, der Robert Bosch Stiftung, dem Generalis Zukunftsfond oder der Fritz Thyssen Stiftung.

MS: Wo kommen die Bücher eigentlich her?

BM: Teils aus privaten Bücherspenden und aus Kooperationen, beispielsweise mit der Bertelsmann Stiftung. Die auf dem Buchmarkt befindlichen Bücher wurden und werden mit viel Mühe gekauft. Mühsam deswegen, da es nicht immer einfach war bzw. ist unsere Bücher zu beschaffen, beispielsweise sind Auslandsbestellungen nötig. Unsere graue Literatur kam per Spende oder wurde uns von KollegInnen, wissenschaftlichen Mitarbeiter-Innen etc. von Tagungen mitgebracht. Teils bekommen wir Literatur geschenkt, bspw. von Delegationen aus dem Ausland. Daher haben wir z.B. Literatur auf Chinesisch über die Zivilgesellschaft in China.

IK: Wir bemühen uns auch immer um Rezensionsexemplare und bekommen zusätzlich Veröffentlichungen anderer Stiftungen zu passenden Themen. Diese werden dann von uns katalogisiert, verlinkt und sind dadurch dann für die NutzerInnen des GBV sichtbar.

BM: Wir sichten außerdem viele Kataloge, es steht ja nicht immer Zivilgesellschaft  ‘drauf wo auch Zivilgesellschaft drin ist.

MS: Ist die Maecenata Bibliothek eine Präsenzbibliothek?

IK: Nein, man darf bei uns vor Ort Bücher ausleihen. Wir sind zwar keine öffentliche Bibliothek, aber eine private, die öffentlich zugänglich ist für alle. Zudem stellen wir vieles auch online zur Verfügung, unser Fokus ist aber Print. Wenn es nur um ein paar Seiten geht, kopieren wir auch mal was und schicken es zu oder scannen es für die NutzerInne ein (unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zum Urheberrecht).

BM: Wir finanzieren also die Literatur und stellen sie der Öffentlichkeit zur Verfügung. Auch kann man bei uns in der Bibliothek sehr gut und in Ruhe – und natürlich mit WLAN-Anschluss – arbeiten. In unseren Räumen ist bestimmt schon eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten entstanden.

MS: Nun eine etwas persönlichere Frage. Was mich schon immer interessiert – wie seid ihr denn zum Bibliothekswesen gekommen?

Bernhard MatzakBM: Bei Maecenata war ich seit 2002 dabei. Angefangen von der Albrechtstraße, da war die Bibliothek noch sehr im Aufbau. Nur 600 Bücher waren katalogisiert, über 2000 standen noch im Regal und warteten auf mich.  Ich war während all der Jahre Bibliotheksleiter in einer OPL – das bedeutet one person library – ich kenne also jedes Buch.

Vorher war ich insgesamt 10 Jahre in verschiedenen Rundfunkarchiven der ARD. In der Bibliothek hat es mich ganze 20 Jahre gehalten, die Arbeit war spannend und hat sich immer weiterentwickelt. Überzeugt hier anzufangen hat mich vor allem, dass ich selber aufgrund meiner Sehbehinderung viel von zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen profitiert habe. Außerdem hatte ich hier zu Beginn die Gelegenheit, eine Zusatzausbildung zum Non-Profit-Information Broker zu machen.

Studiert habe ich Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Pädagogik mit anschließender Postgraduiertenausbildung zum Wissenschaftlichen Dokumentar.

IK: Ich habe Neuere und Neuste Geschichte, Bibliothekswissenschaft und Informatik an der Humboldt Universität in Berlin studiert. Schon während meines Studiums habe ich in Bibliotheken gearbeitet und bin danach dann dort geblieben. Seit 2022 bin ich Biblio-theksleiterin der Maecenata Bibliothek, vorher war ich im WIAS Institut (Weierstraße-Institut), einem mathematischen Forschungs-institut. Dort war ich auch schon OPL, seit 2013, weil alle in Rente sind. Danach war ich kurz beim Bundes-institut für Risiko-bewertung. Mae-cenata hat mich besonders wegen der Themen überzeugt.

Anders als vorher, wo ich eher in naturwissenschaftlichen bzw. mathema-tischen Bereichen unterwegs war, geht es hier wieder mehr in Richtung meines Studiums. Da verstehe ich auch mehr vom Inhalt der Bücher.

MS: Was ist das Beste bei der Arbeit als Bibliothekarin in der Maecenata Bibliothek?

IK: Die Atmosphäre ist sehr freundlich und kollegial. Als OPL ist man zwar immer einsam, aber man sucht sich halt seine Netzwerke. Es gibt in Berlin z.B. ein OPL-Netzwerk dessen Mitglieder sich wöchentlich treffen. Auch viele andere Angebote bibliothekarischer Art, Tagungen etc. auf denen man sich vernetzen und Anregungen holen kann.

Die Vielfalt an Büchern ist sehr spannend und interessant. Es wird auch keine Vorauswahl von uns getroffen, die Themen werden von allen Seiten beleuchtet.

BM: Genau – zum Beispiel „Der Biber als Landschaftsgestalter“, erschienen im Maecenata Verlag, oder das Buch „Give away your money“.

Aber zu deiner Frage: Ich habe mich immer als Information Broker verstanden, vor allem während der Zeit an der Governance School. Informationen besorgen, Recherchen durchführen, die Nutzenden bei ihren Recherchen unterstützen, Bibliographien zusammenstellen war Alltag. Wir bekommen Anfragen aus aller Welt, zum Beispiel aus den USA, Kanada, ganz Europa. Durch solche Kooperationen sind neue Türen aufgegangen, neue Themen und neue Literatur wurden entdeckt. Insgesamt war ich immer gerne bei Maecenata – wegen der Leute, des Themas, des Netzwerks, der Celebrities und der vielen ausländischen WissenschaftlerInnen, die man kennengelernt und getroffen hat. Leute, die im NGO-Bereich tätig waren, Leute die was machen wollen, Dinge anpacken.

Generell ist Ordnung in Dinge zu bringen ein Impuls von mir, also Ordnung als ästhetische Kategorie. Ich muss Ordnung in die Räume bringen, in Regale, in Datenräume damit ich mich wohlfühle. Wie oft habe ich wieder Ordnung geschaffen, wenn MitarbeiterInnen oder Besucher- und NutzerInnen teilweise ganze Regale umgestellt haben, oder bei den Umzügen die Bücher anders wieder eingeräumt haben.

MS: Und nun zu den Herausforderungen – welchen muss man sich da stellen bei der Arbeit als BibliothekarIn?

IK: Die relative Unordnung. BesucherInnen, die Bücher rausziehen und nicht an derselben Stelle wieder einordnen.

BM: 16.000 Bücher und eine Datenbank – das hört sich nicht unbedingt nach so viel an, das wird immer leicht unterschätzt. Doch alleine die Regelwerke der Bibliothekskataloge sind hochkomplex, man muss alles richtig ablegen, sonst findet man nichts mehr.

IK: Man muss die Einträge in den Bibliothekssystemen mit sinnvollen Metadaten anreichern, damit es überhaupt jemand finden kann. Man kann das sehr knapp machen, aber man kann das auch sehr umfassend machen. Mit manchen Büchern kann man sich einen halben Tag vergnügen.

MS: In so vielen Jahren als Bibliothekar und in der Stiftung erlebt man sicher viel– was hat dich zum Schmunzeln gebracht, Bernhard?

BM: Die Bibliothek war ja immer auch ein Ort für Veranstaltungen und Besprechungen, es waren viele Politiker hier, auch ein Ex-Bundespräsident, die dann meistens auch ganz umgänglich und freundlich waren. An Anekdoten fällt mir zum Beispiel der stinkende Hund ein. Da kam eine Frau, die Fördermittel für Projekte für Gehörlose suchte. Sie hatte ihren Hund dabei. Und der stank ganz gehörig. Nun ja – wir sind Philanthropen und so dürfen bei uns auch stinkende Hunde mit ihren BesitzerInnen die Bibliothek nutzen. Die Frau kam öfter wieder, der Hund stank immer. Haben wir akzeptiert.

IK: Wir haben auch vierbeinige Bibliotheksbesucher.

BM: Eine weiter Geschichte ist „Keine Bücher als Hintergrund bitte“. Da wurde bei uns ein RTL Film-Interview mit Rupert Strachwitz gedreht. Rupert wollte das wie üblich in der Bibliothek machen. Es stellte sich aber raus, dass es bei RTL verboten ist, Interviews in Bibliotheken zu machen, „das schreckt unsere Zuschauer ab.“ Dann wurde das Interview eben im Flur gemacht.

Einmal bin ich zu bestem ukrainischen Wodka gekommen. Eine Nutzerin aus der Ukraine hat ihre Masterarbeit über das gesellschaftliche Engagement von Banken in der Ukraine geschrieben. Ich habe sie unterstützt mit den Materialien, die wir hatten, zum Beispiel eine Dissertation zu Banken als Förderer der Zivilgesellschaft. Als sie fertig war hat sie mir eine Flasche ukrainischen Wodka geschenkt, die hatten Vater und Bruder ausgesucht, das war der beste.

Viel Leben in die Bibliothek hat unsere Beteiligung an der „Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ gebracht. Alle ca. 80 Leute, die gekommen sind, haben ein professionelles Coaching zu ihrer Hausarbeit bekommen und konnten bei uns im ganzen Haus daran weiterschreiben.

IK: In der Rungestraße gibt es im Vergleich zur Wilhelmstraße keine Laufkundschaft mehr. Neulich kamen einige Studentinnen vorbei. Manche schienen noch nie eine Bibliothek benutzt zu haben. Sie wissen was Google ist, aber da ist die Suche ja von Google gefiltert, das ist vielen nicht klar.

MS: Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Maecenata Bibliothek?

IK: Dass wir weiter gute Arbeit leisten können, dass wir Informationen und Wissen an die Leute bringen, dass wer bei uns sucht auch findet. Die Schwerpunktthemen sind sehr wichtige Themen, da hoffen wir natürlich, dass die Nachfrage bestehen bleibt.

BM: Wir müssen dran bleiben den Leuten zu zeigen was alles in der Bibliothek steckt. Michael Knoche, der ehemalige Direktor der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek, hat am Ende seines Essays „Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft“ das Besondere der Bibliothek im Vergleich zum Internet so zusammengefasst: „Die Merkmale des Internets sind Flüchtigkeit, Nicht-Hierarchie, Ubiquität und Vernetzbarkeit von allem und jedem. Die Merkmale von Bibliotheken sind Dauer, Ordnung, Kontext und Konzentration.“

MS: Obwohl ich natürlich am liebsten noch viel mehr Fragen stellen würden, nehme ich dieses schöne Schlusswort als letztes Wort des Interviews und bedenka mich ganz herzlich bei dir, Bernhard und dir, Ilka.

Das Interview führte Marianne Sievers, Kommunikations- und Pressereferentin der Maecenata Stiftung.

Ilka Kleinod

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Bernhard Matzak

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