Rezension des Buches ‘Citizens’ von Jon Alexander und Ariane Conrad

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Rezension

Citizens – Why the key to fixing everything is all of us

by Jon Alexander und Ariane Conrad

“Gibt es einen Ausweg aus dem Chaos, in dem wir uns befinden? … Ja, es gibt Hoffnung. Denn da ist etwas am Werden. … Es ist eine Geschichte von wer wir als Menschen sind, was wir können und wie wir vielleicht zusammenarbeiten können, um unsere Welt neu zu erfinden und wieder aufzubauen. Diese Geschichte erscheint nicht auf dem Radar der Medien, weil deren Radar absichtlich in die falsche Richtung zeigt. Er erwartet, daß die Zukunft von Regierungen und Milliardären und Berühmtheiten geformt wird. … Aber hinter deren Rücken entsteht eine neue Geschichte.“ [1]

Citizens‘, zu deutsch Bürgerinnen/Bürger, ist keine wissenschaftliche Studie. Das Buch ist in allererster Linie ein Aufruf zum Nachdenken, genauer, ein Aufruf, über die Frage, wie sich Menschen organisieren können, um miteinander leben zu können, ganz neu nachzudenken und den vertrauten Pfad, auf dem man dazu angeblich zwangsläufig über Herrschaft nachdenken muß, zu verlassen. Jon Alexander, der Autor, kehrt zu einer der Grundfragen unseres Denkens zurück: Wie soll eine Weltordnung aussehen? Es ist nicht einmal ganz originell, daß er dafür drei Grundnarrative nebeneinander stellt. Das althergebrachte Narrativ nennt er subject, wörtlich übersetzt Untertan. Der deutsche Ausdruck trifft nicht ganz, was er meint. Das im 20. Jahrhundert in den Vordergrund getretene Narrativ nennt er consumer, ganz gut mit Konsument übersetzbar. Worauf die Autoren hinaus wollen, ist, daß beide nicht dazu taugen, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Es gilt, einem dritten Narrativ wieder zum Durchbruch zu verhelfen, dem des citizen, und dadurch das Konsumenten-Narrativ zu überwinden. Es geht, und das ist das originelle, nicht darum, jedem Narrativ Aufgaben zuzuweisen; vielmehr soll die Suche nach einer guten Ordnung ganz generell unter das beherrschende Narrativ des citizen gestellt werden, übrigens auch retrospektiv. Mit historischen Beispielen belegen die Autoren, daß ein Bürgernarrativ durchaus Tradition hat, allerdings über Jahrhunderte vom Untertanen- (anders betrachtet Herrschafts-)-Narrativ und in den letzten Jahrzehnten vom Konsumenten-Narrativ überwuchert und fast verdrängt worden ist.

Der Anspruch ist hoch: „Das Buch legt dar, was höchtswahrscheinlich das einzige ist, was uns jetzt retten kann: Die Bürgerin/der Bürger in uns. Soll heißen: Es gibt noch Hoffnung – die Zukunft ist im Angebot!“ Jon Alexander, Engländer, nach internationaler Karriere als Spitzensportler (Rudern und Triathlon) und drei Master-Abschlüssen (Cambridge, London, Bath) zehn Jahre in der Werbung tätig, berät heute mit seinem Unternehmen New Citizenship Project Organisationen sehr unterschiedlicher Art (vom National Trust bis zur Europäischen Zentralbank) dabei, ihre Entwicklung nach einem Citizen-Narrativ auszurichten. Die Institutionalisierung partizipativer  Deliberations- und Entscheidungsfindungsprozesse steht im Mittelpunkt. Davon und von theoretischen Reflexionen darüber berichtet das Buch, das er gemeinsam mit Ariane Conrad geschrieben hat. Beispiele und Quellen bezieht er aus sehr diversen Zusammenhängen; nicht alle leuchten unmittelbar ein, in manchen Passagen ist den Autoren auch etwas der Gaul durchgegangen. Allerdings: Der ausführlich geschilderte Fall Taiwan überzeugt, auch finden sich an vielen Stellen aufschlußreiche Quellenverweise; die entscheidende Stelle (S. 20), wo er die drei Narrative vor- und einander gegenüberstellt, bleibt hingegen ohne Quellenangabe – im Gegenteil, die Aufstellung wird als eigene Entwicklung bezeichnet. Möge es so sein!

Alexanders Entwurf gehört zu den zahlreichen interessanten, ganz überwiegend auch wichtigen Entwürfen, die derzeit in dem Versuch vorgelegt werden, unser Zusammenleben wieder auf eine tragfähige und nachhaltige Basis zu stellen. Er ist insofern nicht singulär, aber er sticht heraus durch die Stringenz des Ansatzes – und die konsequente Hervorhebung der Bedeutung des bürgerschaftlichen Raums und der dort versammelten Akteure. Auch diese allerdings müssen sich freischwimmen, vom Herrschafts- ebenso wie vom Konsumenten-Narrativ. Dazu lädt das Buch ein; mehr noch, es ist ein Weckruf und will als solcher gelesen werden!

[1] Aus dem vorgestellten Buch. Alle Übersetzungen durch den Rezensenten.

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Rupert Strachwitz

Dr. phil. Rupert Graf Strachwitz

Vorstand der Maecenata Stiftung
rs@maecenata.eu

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