Vom Demokratiefördergesetz zum Demokratieentwicklungsprogramm

22.03.2022 | Stellungnahme zum Diskussionspapier von BMFSFJ und BMI für ein Demokratiefördergesetz von Rupert Graf Strachwitz

Vom Demokratiefördergesetz zum Demokratieentwicklungsprogramm

Stellungnahme zum Diskussionspapier von BMFSFJ und BMI für ein Demokratiefördergesetz•

Nachdem die Bundesregierung durch die Koalitionsvereinbarung gehalten ist, ein Demokratiefördergesetz unter Beteiligung der Zivilgesellschaft auf den Weg zu bringen, ist die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem vorgelegten Diskussionspapier folgerichtig und zu begrüßen. Ich nehme wie folgt Stellung:

1. Diskurs- und handlungsleitend muß die Erkenntnis sein, daß sich der öffentliche Raum in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gleichermaßen aus kollektivenAkteuren der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und des Staates zusammensetzt, die sich in unterschiedlichen Funktionen und Aufgabenstellungen in die Gestaltung dieses Raums einbringen. Letztlich wird die Demokratie ebensowenig durch Haushaltsmittel und Zuwendungen wie durch immer mehr Kontrollen gefördert und weiterentwickelt, sondern durch demokratische Interaktion all dieser Akteure und einen intensiven, die Bürgerinnen und Bürger mitnehmenden Diskursprozeß!

2. Ziel des Vorhabens muß es sein, die heterarchische, pluralistische Gesellschaftsordnung im Kampf gegen hierarchische, populistische Ordnungsvorstellungen zu stärken. Dies bedeutet beispielsweise,

• zu erkennen, daß die Demokratie in Deutschland fest verankert, aber nicht fehlerfrei ist und insbesondere dringend der Weiterentwicklung und Anpassung an die erfolgten und zu erwartenden erheblichen gesellschaftlichen, politischen und sonstigen Veränderungen bedarf,

• populistische, autoritäre und obrigkeitsstaatliche Elemente der gegenwärtigen überkommenen Ordnung zu identifizieren und auszumerzen,

• die nicht-staatlichen Akteure in der Gesellschaft als selbständige und womöglich kritische Beitragende zum Gemeinwohl zu akzeptieren und ernst zu nehmen,

• die Demokratie so weiterzuentwickeln, daß sie die übrigen Grundprinzipien der Gesellschaft, zu deren Achtung sich die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürgerinnen und Bürger verpflichtet haben, wirksam schützen kann. Hierzu zählen u.a. die Menschen- und Bürgerrechte und die Herrschaft des Rechts.

3. Es ist daher festzustellen, daß es nicht dem Geist des Koalitionsvertrages entsprechen würde und für all die, die sich von einem solchen Gesetz viel erwarten, eine große Enttäuschung wäre, wenn ein Demokratiefördergesetz nicht deutlich mehr enthielte, als das Diskussionspapier andeutet. Es scheint, als habe man dafür alte Papiere aus der Schublade geholt und nur neu zusammengemischt. Das Papier enthält viel heiße Luft, aber keinen neuen Ansatz und muß wohl als strukturkonservativer Gegenentwurf zu Überlegungen gelesen werden, in ein solches Gesetz eine Revision anderer Gesetze und/oder neue Überlegungen aufzunehmen. Letztlich geht es nach dem Willen der Verfasser wohl

• um eine verstärkte Finanzierung der Bundeszentrale für politische Bildung (die durchaus richtig, für die aber kein neues Gesetz notwendig wäre),

• um die Vermeidung systemischer Veränderungen nach dem „Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-naß“-Prinzip,

• um die Kontrolle über nicht-staatliche Partner (s. mehrfache nicht notwendige Verweise auf Förderrichtlinien, Bundeshaushaltsordnung und dergl.),

• um andere einzuschlagende verwaltungsorientierte Pflöcke, die von erfahrenen Analysten der Behördensprache noch herausgefiltert werden müssen,

• kurz, um die Einhegung einer politischen Initiative im Sinne einer auf Erhaltung des status quo bedachten Staatsverwaltung. Besonders überflüssig erscheint der vorgeschlagene Bericht – wie überflüssig, kann man an dem schon seit Jahren regelmäßig mit viel Aufwand erstellten und allenfalls marginal zur Kenntnis genommenen Engagementbericht der Bundesregierung sehen.

4. Nach Ansicht des Unterzeichners ist es zu früh, um die Frage abschließend zu beantworten, was stattdessen in einem Diskussionspapier stehen sollte und schon gar, wo es Handlungsbedarf für den Gesetzgeber gibt. Es ist zu vermuten, daß Demokratieförderung und Demokratieentwicklung gerade auch an Stellen ansetzen können und sollten, die sich einer gesetzlichen Regelung entziehen, aber politischer Direktiven und/oder einer Veränderung des Bewußtseins bedürfen. An einem Gesetz, das nur plakativen Charakter hat, besteht insofern kein Interesse. Auch kann die Konzeptionierung eines Gesetzes nur gelingen, wenn sich auch Regierung, Parlament, Justiz und Verwaltung einer kritischen Analyse im Hinblick auf eigene Versäumnisse und Defizite unterziehen und für Änderungen bisheriger Verfahren und Maßnahmen offen sind.

5. Im Vorfeld sind andere und grundlegendere Fragen zur Diskussion zu stellen, als dies das vorgelegte Diskussionspapier tut, beispielsweise:

• Wie verhelfen wir einer deliberativen und partizipativen Demokratie zum Durchbruch?

• Wie setzen wir veränderte Voraussetzungen der Gestaltung des Gemeinwesens, beispielsweise das erheblich gestiegene Bildungsniveau der Bürgerinnen und Bürger und den damit einhergehenden Wunsch nach mehr und aktiverer Beteiligung an den öffentlichen Angelegenheiten in konkrete Veränderungen der Verfahrensdemokratie um?

• Wie machen wir die Demokratie, die wir fördern wollen, tatsächlich förderungswürdig?

• Wie brechen wir verkrustete oder obsolete Strukturen und Prozesse auf, die den Bürgerinnen und Bürgern zum Ärgernis geworden sind und beseitigen obrigkeitsstaatliche und etatistische Relikte der gegenwärtigen Gesetzgebungs- und Verwaltungspraxis?

• Wie stellen wir einen respektvollen Umgang von politischen Entscheidungsträgern und Staatsbediensteten mit allen Bürgerinnen und Bürgern nachhaltig sicher?

• Wo setzen wir und wie begründen wir notwendige Grenzen der Ausübung von Grundrechten und stellen sicher, daß sie nicht von Partikularinteressen oder angeblichen oder tatsächlichen Verwaltungserfordernissen bestimmt werden?

• Wie setzen wir einen vernünftigen Rahmen für den bürgerschaftlichen Raum, damit unabhängige, selbstermächtigte und selbstorganisierte Akteure in diesem agieren können?

• Wie organisieren wir den öffentlichen Raum so, daß sich die Zivilgesellschaft nach ihrer eigenen Handlungslogik organisieren und dennoch auf gleicher Augenhöhe mit anderen Akteuren im öffentlichen Raum interagieren kann?

• Wie schaffen wir zeitgemäße Möglichkeiten der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten?

• Wie schaffen wir ein abgewogenes Verhältnis zwischen der Beteiligung einzelner Bürgerinnen und Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten und der Nutzung der Kompetenz kollektiver zivilgesellschaftlicher und anderer Akteure?

• Wie entwickeln wir unsere Demokratie so, daß sie gegenüber undemokratischen Bewegungen und Strömungen resilient und stressfest ist?

6. Nur aus einer breiten Debatte über diese und weitere verwandte Fragen kann ein Demokratieentwicklungsprogramm entstehen, das neben anderen Maßnahmen auch solche enthält, die in einem Demokratiefördergesetz zusammengefaßt und dem Parlament zur Beratung und Beschlußfassung vorgelegt werden können. Hier und jetzt hat auch die wissenschaftliche Begleitung ebenso anzusetzen wie die aktive Mitwirkung von Think Tanks, Experten und zivilgesellschaftlichen Organisationen, nicht nur aus Deutschland.

Berlin, 14. März 2022
gez. Dr. Rupert Graf Strachwitz

• Es ist dem Unterzeichner gelungen, seine Überlegungen auf drei Seiten zusammenzufassen. Dennoch darf die Anmerkung nicht fehlen, daß die kategorische Aufforderung, Stellungnahmen zu dem 6-seitigen  Diskussionspapier auf 3 Seiten zu begrenzen und nur bestimmte Aspekte aufzugreifen, keinen guten Ausgangspunkt für eine Diskussion auf gleicher Augenhöhe bildet.

Rupert Strachwitz

Dr. phil. Rupert Graf Strachwitz

Vorstandsmitglied der Maecenata Stiftung
rs@maecenata.eu

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