Reform des Stiftungsrechts – Wissenschaftler richten offenen Brief an Ministerin Lambrecht

15. Januar 2021 I Offener Brief von Wissenschaftler*innen and die Bundesjustizministerin.
In einem offenen Brief (siehe unten) haben 5 im Stiftungswesen erfahrene Wissenschaftler an Bundesjustizministerin Lambrecht appelliert, den im September 2020 vorgelegten Reformentwurf gründlich zu überarbeiten. Der Entwurf war bei Verbänden und Experten auf massive Kritik gestoßen.
 

 

Offener Brief zur Reform des Stiftungsrechts

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
als WissenschaftlerInnen bzw. StiftungspraktikerInnen verfolgen wir den Fortgang der Reform des Stiftungsrechts mit großer Sorge. Die Notwendigkeit einer Reform ist unbestritten. Stiftungen sollten die gerade in der heutigen Zeit dringend benötigte Flexibilität bei der Verfolgung ihrer meist gemeinnützigen Zwecke haben. Der seit einigen Wochen vorliegende Referentenentwurf aus Ihrem Haus genügt diesen Zielvorgaben allerdings in keiner Weise.
Durch die Umsetzung des Entwurfs würde die Privatautonomie von StifterInnen massiv beschnitten. So soll etwa die Satzung einer Stiftung künftig nur noch vom Gesetz abweichen dürfen, wenn dies dort ausdrücklich erlaubt wird. Das ist ein Bruch mit allen Maßstäben, die bislang im Stiftungsrecht galten. Überdies soll die Zulässigkeit von Verbrauchsstiftungen eingeschränkt werden, obschon gerade dieses Rechtsinstitut erst vor wenigen Jahren geschaffen und in seiner jetzigen Form als fortschrittlich empfunden wird.
Auch mit der Aufgabe der bewährten Verzahnung von Stiftungs- und Vereinsrecht und der bisher anerkannten Grundsätze zur Vermögensanlage zugunsten einer Vielzahl neuer Regelungen und Begriffe drohen Nachteile für die Praxis. Die in Niedrigzinsphasen dringend notwendige Möglichkeit zur flexiblen Verwendung von Umschichtungsgewinnen wird eingeschränkt. Selbst die Zulässigkeit einer Verwendung von Zuwendungen für den Stiftungszweck ist nach dem Wortlaut der vorgesehenen Neuregelungen nicht mehr zweifelsfrei ge-währleistet.
Schließlich stößt der Vorschlag zur Einführung eines – in der Sache unzweifelhaft erforderli-chen – Stiftungsregisters auf Bundesebene als Durchbrechung des föderalen Systems des Verwaltungsvollzugs auf massive verfassungsrechtliche Bedenken. Aus mehreren Bundeslän-dern ist bereits zu hören, dass die Vorschläge sehr kritisch gesehen werden.
Der Entwurf erfährt in Wissenschaft und Praxis breite Ablehnung. Das zeigen nicht nur die zahlreichen Änderungswünsche, die etliche Verbände in ihren Stellungnahmen zum Entwurf formuliert haben. Auch auf den 20. Hamburger Tagen des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts – einer zentralen Tagung der Zivilgesellschaft in Deutschland – wurde der Entwurf fast einhel-lig abgelehnt. 86,7% der TeilnehmerInnen, die an der Abstimmung teilgenommen haben, un-terstützten eine „Hamburger Erklärung“, die die Erarbeitung eines gänzlich neuen Reformvor-schlages fordert.
Der grundlegende Mangel des bisherigen Reformprozesses liegt darin, dass die Entwürfe ein-seitig nur in Zusammenarbeit mit den Ländern und den dortigen Stiftungsbehörden vorbereitet wurden. Dementsprechend spiegelte bereits der ursprüngliche Diskussionsentwurf im Wesent-lichen lediglich die Sichtweise der Stiftungsbehörden wider. Anregungen aus Wissenschaft und Praxis, die bereits bei einer Anhörung im Jahr 2016 zahlreich formuliert worden waren, wurden nur sehr vereinzelt aufgenommen.
Es ist höchst bedauerlich, dass der nunmehr vorliegende Referentenentwurf gegenüber dem ursprünglichen Diskussionswurf für StifterInnen deutliche Verschlechterungen enthält. Er-wähnt sei allein der bereits angesprochene Grundsatz der Satzungsstrenge, der StifterInnen ohne ersichtlichen sachlichen Grund regelrecht gängelt.
Weshalb anders als etwa bei Reformvorhaben im Gesellschaftsrecht – erinnert sei nur an die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie sowie die anstehende Modernisierung des Personen-gesellschaftsrechts – auf eine Vorbereitung der Reform durch eine Expertenkommission unter Einbeziehung externen Wissens nahezu vollständig verzichtet wurde, bleibt unverständlich. Das Ergebnis ist jedenfalls schon unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung zu beanstan-den. Letztlich wurde der Verwaltung die Möglichkeit eröffnet, ein Gesetz so zu formulieren, wie sie es in Zukunft anwenden möchte. Hier wird ein zentrales Regelwerk der Zivilgesell-schaft für Behörden passend gemacht.
Notwendig ist ein grundlegendes Umdenken. Der vorliegende Referentenentwurf ist keine Grundlage für eine Modernisierung des Stiftungsrechts. Er ist ein Rückschritt. Seine erhebli-chen Defizite lassen sich nicht durch wenige, einfache Korrekturen beseitigen. Es bedarf viel-mehr eines vollständig neuen Gesetzgebungsvorschlags. Dieser sollte nicht mehr vom BMJV und den Ländern allein erstellt werden. Vielmehr sollten daran auch die Wissenschaft und dieVertreterInnen der Stiftungen mitwirken und ihre Vorschläge, die bereits zahlreich vorliegen, in einem transparenten und konstruktiven Dialog einbringen können. Nur so wird verhindert, dass durch eine unausgereifte Reform mehr Schaden als Nutzen entsteht und nicht wenige StifterInnen zukünftig entweder in die intransparente Form der nichtrechtsfähigen Stiftung flüchten oder den Gang ins Ausland einer Stiftungsgründung in Deutschland vorziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Arnd Arnold, Universität Trier
Prof. Dr. Birgit Weitemeyer, Bucerius Law School, Hamburg
Prof. Dr. Gregor Roth, Universität Leipzig
Prof. Dr. Ulrich Burgard, Universität Magdeburg
zugleich im Namen von
Dr. Rupert Graf Strachwitz, Maecenata Stiftung / Maecenata Institut
Rupert Strachwitz

Dr. phil. Rupert Graf Strachwitz

Vorstandsmitglied der Maecenata Stiftung
rs@maecenata.eu

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