Krisen wie diese: Bewährungsproben für das Miteinander zwischen Zivilgesellschaft und Kommunen? | In der Corona Krise: Eine Stimme aus der Zivilgesellschaft 20 | 07. August 2020

Diese 20.  Ausgabe ist bis auf weiteres die letzte wöchentliche Veröffentlichung einer „Stimme“, mit der die Maecenata Stiftung seit März 2020 auf Positionen, Nöte, Sorgen und Beiträge der Zivilgesellschaft in Zeiten der Pandemie hinweisen wollte, die in der allgemeinen Berichterstattung nach ihrer Auffassung zu wenig wahrgenommen worden sind. Dies bedeutet nicht, daß sie die Krise für überwunden hält.  Sie  wird  sich  weiterhin  in  den  öffentlichen  Diskurs  hierzu  einbringen.   Alle „Stimmen“ bleiben auf der Webseite der Stiftung (demnächst in zusammengefaßter Form) abrufbar. Die Stiftung dankt den insgesamt 10 Autorinnen und 9 Autoren, die alle in irgendeiner Form mit der Stiftung verbunden sind, herzlich für ihre meinungsstarken und die Debatte bereichernden Beiträge.

Eine Kolumne von Elke Bojarra-Becker

Die Zivilgesellschaft – sei es institutionalisiert oder in freien Zusammenschlüssen – ist (insbesondere) in Krisenzeiten zusehends als feste Instanz in unseren Kommunen akzeptiert. In der aktuellen Phase war es lange überraschend still um sie und in ihr.

Klar ist: die Zivilgesellschaft ist da und verschafft sich mehr und mehr Gehör. Aber sie wird in der aktuellen Situation noch immer vergleichsweise zögerlich spür- und sichtbar. Dies überrascht, da es bei aller Heterogenität von Selbstverständnissen, Strukturen und Definitions- und Abgrenzungsansätzen doch eine ziemliche Übereinstimmung darüber gibt, dass zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse sich spontan und flexibel sowie anwaltschaftlich an die (politische) Öffentlichkeit wenden. Die Akteure der Zivilgesellschaft tun dies freiwillig und in dem Rahmen und Umfang, wie sie Interesse und Zeit dazu haben. Mit anderen Worten: die Zivilgesellschaft macht, was sie will und nicht, was andere wollen. Nicht selten ist sie da präsent, wo der Staat an Grenzen stößt.

Diese Handlungslogik hat sie für eine Zusammenarbeit mit der eher durchregulierten öffentlichen Hand lange Zeit unattraktiv gemacht. Sie ist in der Tat nicht selten unbe- quem. Vielfach wurde sie als konkurrierend bis störend wahrgenommen. Dies hat sich in Teilen geändert: Kein Hochwasser ohne tatkräftige Unterstützung zahlreicher freiwilliger Helfer*innen sowie zivilgesellschaftlicher Institutionen. Zivilgesellschaftli- che Akteure und ihr Beitrag im Quartier sind (nicht nur) in der Sozialen Stadt nicht mehr wegzudenken. Die Relevanz für „ihre“ Stadt und die Stadtentwicklung wird seit der Gründung der ersten Bürgerstiftungen vor über 20 Jahren nicht angezweifelt. Der Beitrag zivilgesellschaftlicher Akteure im Rahmen des Zuzugs von Geflüchteten in den Jahren 2015/16 war beispiellos – auch in der öffentlichen Wahrnehmung.

Im Rahmen der Corona-Epidemie ist irgendetwas anders. Sowohl innerhalb der Zivilgesellschaft, als auch in der Wahrnehmung von außen. Klar: es gab und gibt Nachbarschaftshilfe und Musik-Darbietungen vor Seniorenheimen während des Lockdowns, und nicht wenige Unternehmen engagieren sich in dieser Zeit in besonderer Weise. Während aber Sorgen um die Ökonomie, das Gesundheitswesen oder gar Europa sehr schnell politisch und vor allem medial aufgegriffen wurden, kamen anwaltschaftliche Positionierungen und Sorgen um häusliche Gewalt, Vernachlässigung oder Vereinsamung, Armut und eine absehbare Segregations-Zunahme vergleichsweise zögerlich an die Oberfläche. Inzwischen sind solche absehbaren Probleme benannt, aber kaum Teil des öffentlichen Diskurses. Es bräuchte aber an dieser Stelle dringend einen Diskurs – und Taten.

Es scheint die Stunde der Politiker*innen und damit der gewählten Demokratie zu sein. Die deliberative Demokratie – so man sie nicht auf die diskursive Einbeziehung von Virologen, Wirtschaftslobbyisten oder die Stimme einzelner Betroffener oder „anderer“ Expert*innen in den Medien reduzieren will (das kann nicht gewollt sein) – wirkt geschwächt und die Zivilgesellschaft gegen ihre Art eher leise reagierend, statt laut agierend. Gerade in den ersten Wochen der Krise hat die Politik das Gros der Bevölkerung positiv überrascht. Ob diese ungewohnt restriktive und zunächst an einem Strang ziehende Politik ein Grund dafür ist, dass Teile der Zivilgesellschaft ihre Themen und Akzente nicht platzierten oder platzieren konnten, wird wohl eine der Frage bleiben, die nur schwer zu beatworten sind.

Ein Augenmerk verdient in dieser Zeit ein Blick auf den bereits ohnehin konstatierten Shrinking Space of Civil Society. Böll Stiftung, Brot für die Welt, das Maecenata Institut und andere sehen den zivilgesellschaftlichen Sektor global, aber auch in Deutschland wachsenden Restriktionen und schrumpfenden Handlungsspielräumen ausgesetzt. Die Zivilgesellschaft wird ausgebremst. Mögliche Folgen zeigen sich in dieser Ausnahmephase in besonderer Weise, denn Zivilgesellschaft ist, wie dargestellt, auf Öffentlichkeit ausgerichtet. Ansgar Klein bezeichnet die öffentlichen Räume als „Lebenselixier zivilgesellschaftlicher Aktivitäten“. Die konstatierten closed public spaces zeigen im Rahmen der Corona-Krise anschaulich, welche Folgen diese haben: sie wirken sich extrem auf die Möglichkeiten, vielleicht auch das Selbstbewusstsein zivil- gesellschaftlicher Akteure aus.

Damit einher geht die Herausforderung, dass zivilgesellschaftliche Akteure und Institutionen, die sonst so flexibel und nah am Menschen sind – dies alles nicht sein durften oder konnten. Distanz war und ist gefragt (an Fenstern stehen und klatschen), für den Nachbarn einkaufen ist hilfreich, aber wenig effektiv gegen Vereinsamung oder Bewältigung von Ängsten; die Einrichtung digitaler Plattformen ist nicht gerade originäres Handlungsfeld vieler zivilgesellschaftlicher Akteure, und damit erreichen viele nur begrenzt die Menschen; anwaltschaftlich Handeln für die Schwachen und Schutzbedürftigen ist wichtig, aber wie an diese herankommen, wenn Kitas, Schulen– und Haustüren verschlossen bleiben. Diese Aufzählung ließe sich problemlos fort- setzen und zeigt, dass die Zivilgesellschaft sich natürlich angepasst und reagiert hat, wenn auch eingeschränkt und recht „leise“. Hätte sie dafür mehr reden müssen – den Finger auf Wunden legen? Oder hat sie dies, aber aus irgendeinem Grund hat es nur vereinzelt den Weg in die Öffentlichkeit und die Medien gefunden? (Die stim- mungsbildende Rolle der Medien durch die Auswahl von Themen und Expertinnen und Experten, durch Suggestivfragen, und damit deren Macht und Einflussnahme muss an anderer Stelle reflektiert werden – eine Analyse tut dringend Not!) Hier zeichnet sich ein deutlicher Unterschied zu vorangegangen Krisen ab: Bei Hochwassern oder der Flüchtlingskrise wurden Engagierte und zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse zuletzt medial „gefeiert“. Sie waren Sprachrohr, Multiplikator und Anwalt und damit unverzichtbare Partner der öffentlichen Hand. Wird diese Funktion der Zivilgesellschaft allein deshalb so anders, weil ein Abstand von 1,50 Meter einzuhalten ist?

Über die tatsächlichen Ursachen kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden; es ist davon auszugehen, dass es sich um einen Mix von Ursachen handelt. Es lässt sich aber festhalten, dass der Zivilgesellschaft z.T. die Hände gebunden sind oder waren. Auch Überforderung mag eine Rolle gespielt haben. Natürlich ist es auch in- nerhalb der Zivilgesellschaft eine Aufgabe und Herausforderung, sich mit den (digitalen) Möglichkeiten und Grenzen von Aktivitäten reflektierend auseinanderzusetzen. Wichtig ist es, in der nun anstehenden Phase des Umgangs mit den Folgen, von denen viele noch gar nicht absehbar und kalkulierbar sind, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Denn sicher ist, dass die aus der Corona-Krise und dem Lockdown resultierenden Herausforderungen erst noch kommen und bewältigt werden müssen.

Auf kommunaler Ebene tut es insbesondere aus zwei Gründen Not, sich mit der aktuellen Situation und dem Miteinander zu befassen. Zum einen sind gerade hier die Folgen für die Zivilgesellschaft noch nicht absehbar. Bislang war kaum die Rede von einem Rettungsschirm für NGOs, Sportvereine oder Tafeln. Deren Beitrag für sozialen Zusammenhalt, das Gemeinwesen, Integration etc. ist unumstritten. Absehbar drohen Einbrüche bei Spenden und Vereinsaustritte. Eine Vielzahl von Initiativen musste ihre Aktivitäten (vorerst) einstellen – oder zumindest reduzieren, weil diese maßgeblich von älteren Menschen und damit einer Risikogruppe getragen werden. Das kann nicht im Interesse von Kommunen sein.

Die Vergangenheit hat uns zum zweiten gezeigt, dass es ohne einen aktiven Part der Zivilgesellschaft – idealerweise in Kooperation und nicht Konkurrenz zur Kommune – kaum funktionieren kann, mehr noch, dass dieser einen Mehrwert bedeutet. Den in mühsamer Arbeit gesponnenen Faden eines konstruktiven Miteinanders nicht reißen zu lassen, muss im Interesse beider Seiten sein. Daher braucht es jetzt ein erstar- kendes Miteinander. In der Flüchtlingskrise wurden bewusst zivilgesellschaftliche Vertreter*innen in Krisenstäbe und regelmäßige Runden einbezogen – nicht selten wurden sie gar durch die Zivilgesellschaft initiiert. Es wäre sinnvoll, sich zeitnah mit solchen Krisenstäben und deren Zusammensetzung und Aufgabenstellung zu befassen, um zu agieren, anstatt zu reagieren, wenn die (Spät)-Folgen auf kommunaler Ebene spürbar werden – denn das werden sie.