Der Begriff ‚Zivilgesellschaft’ hat in Deutschland vor allem seit der Wiedervereinigung wieder Hochkonjunktur. Er beschreibt das Ideal einer sich austauschenden und partizipierenden Bürgergesellschaft, die unabdingbar ist für eine stabile Demokratie. Eine außerordentlich aktive Zivilgesellschaft ist dennoch nicht immer eine Stütze der Demokratie. Beispielhaft dafür steht die Weimarer Republik. Die 20er und 30er-Jahre zeichneten sich durch ein überaus reiches Vereinsleben aus. Berufsverbände und Kulturvereine florierten. Diese freiwilligen Organisationen waren aber weniger durch ein ziviles Miteinander geprägt, als viel mehr durch politisch-ideologische Ziele, die es mit aller Macht durchzusetzen galt. Die Identitätsbewahrung der zivilgesellschaftlichen Organisationen war wichtiger als das friedliche Miteinander. Statt Kompromisse einzugehen, strebte man eine kulturelle Hegemonie an, die nach Antonio Gramsci eine Produktion zustimmungsfähiger Ideen durch Herrschaftssysteme bedeutet. Die Nationalsozialisten hatten so ein leichteres Spiel beim Aufbau ihres schnell dynamisch werdenden politischen Propagandaapparates.[1]
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges glaubte in Deutschland kaum jemand an einen schnellen Wiederaufbau und eine tiefenstrukturelle Neuausrichtung des politisch, wirtschaftlich und moralisch zerrütteten Landes. Amerikanische Politikwissenschaftler prophezeiten noch in den 50er-Jahren, dass es mindestens hundert Jahre dauern werde, „bis Deutschland eine demokratische politische Kultur entwickelt hätte, die der seiner Nachbarn entspräche“.[2] Eine Demokratie, wie wir sie heute kennen – freie Wahlen, Kontrolle von Macht, Meinungsfreiheit, Machtkonkurrenz statt Machtkonzentration, ungehinderte, unzensierte Informationsflüsse und ein Pressegesetz, das nicht den Staat, sondern den Bürger schützt – war damals gar nicht anzudenken. Doch bereits 30 Jahre später bezeichneten dieselben Politologen, die für Deutschland nach dem Krieg wenig Hoffnung hatten, das Land als eine der stabilsten Demokratien Europas. [3] Was war also geschehen? Auch wenn eine aktive Zivilgesellschaft nicht immer eine stabile Demokratie hervorbringt, ist sie dennoch Voraussetzung für eine stabile Demokratie. Wenn wir also erfahren möchten, was Deutschland zu einem der meist untersuchtesten Beispiele der Demokratieforschung[4] macht, sollten wir uns neben vielem anderen anschauen, was zivilgesellschaftliche Strukturen fördert und wie wir diese fest in der Gesellschaft verankern können. Dabei spielen vor allem Massenmedien eine entscheidende Rolle. Das sieht auch Journalist und Autor Jürgen Appel so und konstatiert: „Bedingung und Ausdruck einer Zivilgesellschaft zugleich ist die Diskussion der politischen Fragen auf breiter Basis. Pressefreiheit und die Existenz unabhängiger Medien sind dafür die Voraussetzungen.“[5]
Eine staatsferne, unabhängige publizistische Macht ist die virtuelle Säule der Gewaltenteilung und wird deshalb auch als Vierte Gewalt bezeichnet. Doch wie konnte sich eine solche Gewalt nach einem verlorenen Weltkrieg in dieser Schnelligkeit etablieren und inwiefern war sie daran beteiligt, dass bereits in den 60er-Jahren die politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen so vielfältig und öffentlich wie nie zuvor waren, die Straßen voll von Demonstranten und man außerdem „noch mehr Demokratie wagen“ wollte? Wenn im Rahmen dieser Arbeit auch keine repräsentative Analyse erwartet werden kann, soll sie doch die Schaffung von Grundvoraussetzungen für eine Etablierung von Zivilgesellschaft herausstellen, an dem die Presse insgesamt, aber wahrscheinlich vor allem der Aufbau eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die Alliierten, der nicht nur in Deutschland ein Novum war, beteiligt waren.
[1] Vgl. Carothers 2000
[2] Vgl. Greiffenhagen 1999
[3] Vgl. Greiffenhagen 1999
[4] Vgl. Greiffenhagen 1999
[5] Appel 1999