Work + Life = Balance? Hauptamtliche in kleinen und mittleren Nonprofit-Organisationen

Opusculum 71 | 01.04.2014 |

Hauptamtlich Beschäftigte sind für viele kleine und mittlere Nonprofit-Organisationen (NPO) von existenzieller Bedeutung: Sie erledigen den überwiegenden Teil des täglichen operativen Geschäfts, organisieren den Einsatz von ehrenamtlichen Kräften, sorgen für reibungslosen Ablauf der Finanz- und Steuerangelegenheiten und vertreten die Ziele und Interessen ihrer Organisation. Sie sind mithin nicht nur ein Teil des gesellschaftlich bedeutsamen Dritten Sektors, sondern auch in erheblichem Maße wirtschaftlich von Belang, und zwar nach außen als Leistungserbringer im volkswirtschaftlichen Sinne als auch nach innen als Leistungsträger innerhalb der Organisationen.

Das Ziel dieser Untersuchung war es, die Situation von hauptamtlich Beschäftigten in kleinen und mittleren NPO zu untersuchen und einen vertieften Einblick in ihre Arbeits- und Lebenswirklichkeit zu erlangen. Damit sollte ein Beitrag zu einer differenzierten Betrachtung dieser Gruppe innerhalb der Gesamtbeschäftigung des Dritten Sektors geleistet werden. Die zentralen Fragestellungen der Untersuchung drehten sich dabei um die Wahrnehmung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsumfeldes durch die Beschäftigten und die Auswirkungen ihrer Arbeit auf andere Lebensbereiche.

NPO in Deutschland nehmen in verschiedener Hinsicht wichtige Rollen ein: Vom gesellschaftspolitischen Standpunkt genießt der Dritte Sektor in der Schnittstelle zwischen Markt, Staat und privater Gemeinschaft als infrastrukturelle Basis der Zivilgesellschaft eine hohe Wertschätzung.1 Gesamtwirtschaftlich betrachtet hat das Ausgabenvolumen des Dritten Sektors mit 90 Milliarden EUR (2007) eine beachtenswerte Größe erlangt.2 Aus beschäftigungspolitischer Sicht wiederum hatte der Nonprofit-Sektor, wenn man die Daten des Länderreports Deutschland des internationalen „Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector“ Projektes zugrundeliegt, in Vollzeitäquivalenten bereits 1995 einen Anteil von 4,9% an der Gesamtbeschäftigung mit weiter steigender Tendenz.3 Allein die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Dritten Sektor betrug im Jahre 2007 in Deutschland etwa 2,3 Millionen.4

Viele dieser Beschäftigten sind in den Bereichen „Gesundheit und Soziales“ angestellt, wo sie als Dienstleistende in Krankenhäusern, Pflegediensten und -heimen Teil des sozialen Versorgungssystems sind. Diese Aufgabenfelder werden vielfach von Wohlfahrtsverbänden und anderen großen Nonprofit-Organisationen abgedeckt, die – wenn man die Gesamtzahl ihrer Beschäftigten zugrundelegt – zu den größten Arbeitgebern in Deutschland zählen.5

Zivilgesellschaftlich bedeutsam sind Nonprofit-Organisationen aber auch dort, wo sie und ihre Beschäftigten bürgerschaftliches Engagement fördern sowie gesellschaftliche Diskurse anregen und führen, wie z.B. in den Bereichen Bildung, Kultur, Umweltschutz und Sozialentwicklung.6 Hier finden sich vielfach kleine und mittlere, unabhängige Organisationen, die beispielsweise in den „Neuen Sozialen Bewegungen“7 der frühen achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts als Antwort auf aktuelle Problemstellungen in lokalen Initiativen entstanden sind. Etliche der Organisationen haben sich durch eigene Professionalisierungsbestrebungen zu Institutionen entwickelt, deren Strukturen, Umfang und wirtschaftliches Volumen denen kleiner bis mittlerer Unternehmen entsprechen. Den Beschäftigten dieser Einrichtungen gilt das besondere Augenmerk dieser Arbeit.

Die Herausforderungen, denen sich die Organisationen des Dritten Sektors und ihre Beschäftigten stellen müssen, sind in den vergangenen Jahren größer geworden: Auf der einen Seite übernehmen sie in zunehmenden Maße Verantwortung bei der Bewältigung gesellschaftlicher Probleme, wie beispielsweise den demografischen Wandel. Auf der anderen Seite steigen die Anforderungen an die Organisationen hinsichtlich einer ressourcensparenden Leistungserstellung und Mittelverwendung.8 Dies wirkt sich auch auf die Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnisse im Dritten Sektor aus. So findet man atypische, also in mehreren Punkten von der Norm abweichende Arbeitsverhältnisse9 in Organisationen des Dritten Sektors bei mehr als 60% der hauptamtlich Beschäftigten10

Der Standpunkt von Organisationen im Nonprofit-Bereich zu den Entwicklungen von Beschäftigungsverhältnissen in NPO war bereits Gegenstand verschiedener empirischer Studien. Ebenso gibt es eine Reihe von Erhebungen zu den Voraussetzungen und Bedingungen von ehrenamtlicher Tätigkeit und deren Auswirkungen. Die Situation und insbesondere die Sichtweise der hauptamtlichen NPO-Beschäftigten sind bisher vergleichsweise wenig erforscht.11 Mit der Untersuchung sollte daher auch der Versuch unternommen werden, diese Forschungslücke zu verkleinern.

Die Datenbasis für die Untersuchung bildeten fünf qualitative Interviews, die in Anlehnung an den Forschungsansatz der „Grounded Theory“ nach Glaser und Strauss12 analysiert wurden. Das machte es möglich, auf eine Ausgangshypothese zu verzichten, um stattdessen eine möglichst große Bandbreite an Wahrnehmungen und Meinungen zuzulassen. Aus den in den Interviews gewonnenen Daten wurden mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse induktiv Kategorien gebildet. Diese wurden untersucht, überprüft und zu einer Kernkategorie neu zusammengesetzt, um daraus gegenstandsbezogene Theorieansätze zu formulieren.

1 Zimmer/Priller (2004): S. 11
2 Priller et al. (2012): S. 39
3 Zimmer/Priller (2004): S. 38
4 ZiviZ (2011): S. 9
5 DB Research (2010): S. 5
6 Kategorien in Anlehnung an die ICNPO-Klassifizierung, vgl. Salamon/Anheier (1996): S. 7
7 Zur Definition der Neuen Sozialen Bewegungen vgl. Roth/Rucht (2002): S. 296 ff.
8 Priller et al. (2012): S. 9
9 Zu den atypischen Beschäftigungsverhältnissen zählen laut Statistischem Bundesamt u.a. Teilzeitbeschäftigungen unter 20 Arbeitsstunden pro Woche, geringfügige Beschäftigungen und befristete Beschäftigungen. Unter einem Normalarbeitsverhältnis wird ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis verstanden, das in Vollzeit und unbefristet ausgeübt wird. Quelle: https://www.destatis.de/DE/Meta/AbisZ/AtypischeBeschaeftigung.html (08.08.2013)
10 Priller et al. (2012): S. 32
11 Zimmer/Freise (2003): S. 129f.
12 In dieser Arbeit findet der Forschungsansatz in der durch Strauss und Corbin weiterentwickelten Form Anwendung.