Zweifelhafte Autonomie

Opusculum 59 | 01.12.2012 | Zur Orientierung gemeinnütziger Organisationen an sozialen Investitionen. Eine neoinstitutionalistische Perspektive

„Mut ist, zu bleiben. Auch wenn die Schlagzeilen verschwinden“, heißt es auf dem Werbeplakat vom Hilfswerk der katholischen Kirche „Misereor“, das in zahlreichen deutschen Städten bis zuletzt angebracht war. Ein Ziel dieser Kampagne war es Spenden zu generieren: „Ihre Spende hilft!“1 , fordert das Plakat zum Handeln auf. Damit ist das Hilfswerk nicht alleine. Im „Berliner Fenster“, ein Informationsbildschirm in den U-Bahnen der Berliner Verkehrsbetriebe, erscheinen regelmäßig Aufrufe zum Spenden – diese seien einfach durchzuführen, per SMS. Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Möglichkeit zur Spende zum tagtäglichen Wegbegleiter geworden ist. Dabei sind nicht nur die Formen der Spendendurchführung vielfältig, sondern auch die gemeinnützigen Organisationen sind zu einer unüberschaubaren Anzahl herangewachsen. Trotz der scheinbaren Alltäglichkeit beschreibt dieser Umstand eine neue Situation für den gemeinnützigen Bereich.

Zweifelsohne, die Gabe als prosoziales Verhalten ist kein neues Phänomen, sondern bereits im Neuen Testament wird die Nächstenliebe als zentrale Aufgabe der Christen betont und zur Hilfe gebeten. Ähnlich besitzt der zakat als dritte Säule des Islam eine wichtige und lange Tradition in der islamischen Religion (vgl. Strachwitz 2010: 1). Ungeachtet der Beständigkeit einer Kultur der Gabe ist es aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive schwer die Motivationen zur Spende, die Spendensummen und die Kontexte der Spenden in der Vergangenheit nachzuvollziehen – es fehlt oft an einer ausreichenden Dokumentation. Hingegen ist es für die Zeit nach 1945 einfacher das Spendenwesen in seinem historischen Verlauf zu beschreiben (Vgl. Lingelbach 2010: 31). Zu Beginn der 1950er Jahre waren die Spendenmöglichkeiten noch überschaubar und beschränkten sich maßgeblich auf die Kollekte in der Kirche, vereinzelte Aktionen der Wohlfahrtsverbände wie Tombula, Flohmarkt oder Haussammlungen für gute Zwecke. Die Spendenzwecke bezogen sich dabei „auf die Wohltätigkeit für Menschen“ (Lingelbach 2010: 31) im Inland, ein Merkmal, das nicht zuletzt dem strikten Sammlungsgesetz zu Beginn der Bundesrepublik geschuldet ist und somit politisch gewollt war. Die zunehmende Liberalisierung der staatlichen Regelungen im Spendenrecht besiegelte nicht nur den Rückzug des Staates, sondern auch die Vermarktlichung des Spendensektors. In der Folge stieg die Anzahl gemeinnütziger Organisationen mit Zwecken im In- und Ausland rasant an (vgl. Lingelbach 2010: 36). Die fortschreitende Technisierung, allen voran die für den Spendenprozess entscheidende Weiterentwicklung des Geldtransfers, die Medialisierung sowie die Globalisierung (vgl. Priller/Zimmer 2005: 113) beförderten diesen Prozess zusätzlich (vgl. Lingelbach 2010: 34ff.). Mit diesen Veränderungen manifestierten sich zwei Trends: Erstens verstärkte sich die Konkurrenz unter den gemeinnützigen Organisation aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs um finanzielle Ressourcen auf dem Spendenmarkt (vgl. Priller/Zimmer 2001: 7; Adloff 2005: 110); zweitens erhöhte sich der Anspruch der Spender an die gemeinnützigen Organisationen. Ihre Arbeit muss nicht nur Effizient und Nachhaltigkeit sein, sondern allen voran transparent – Vertrauen allein genügt immer seltener.

Daraus folgt die These dieser Arbeit, dass sich der zunehmende Konkurrenzdruck auf dem Spendenmarkt sowie die gestiegenen Erwartungen der Spender auf das Management und die Ausgestaltung der gemeinnützigen Organisationen, der Nonprofit-Organisationen (NPO), auswirken.2 Das wird langfristig im Bereich der organisierten Zivilgesellschaft zu Veränderungen führen. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Spenden entgegen weit verbreiteter Annahmen heute nur circa drei bis vier Prozent der Einnahmen gemeinnütziger Organisationen ausmachen.3 Gleichwohl beliefen sich die Spendensummen im Jahr 2010 auf circa 2,3 Milliarden Euro und4 stellen für einige NPO einen überlebensnotwendigen Ressourcenzufluss dar. Zudem stiften Spenden Anerkennung und wecken Hoffnung auf Autonomie. Denn sie versprechen finanzielle Unabhängigkeit, aus der selbständiges, von Zwängen losgelöstes Handeln resultieren kann. Heute stammen 60 Prozent der Mittel von NPO aus öffentlichen Kassen, was von einigen als Problem ihrer Unabhängigkeit und ihrer freien Arbeit betrachtet wird (vgl. Piller/Zimmer 2001: 32). Doch ist die erhoffte Autonomie durch eine zunehmende Orientierung an privaten Spenden tatsächlich frei von Erwartungen, von Zwängen? Diese Frage führt zu dem Erkenntnisinteresse dieser Arbeit: Welche institutionalisierende Wirkung hat die Orientierung an Spenden für Nonprofit-Organisationen.

Um dieser Fragestellung einen geeigneten theoretischen Rahmen zu geben, wird hier die neoinstitutionalistische Organisationstheorie herangezogen. Die Auswahl der Theorie ist zugleich eine Entscheidung für den Blickwinkel auf NPO, denn die Stärke der Theorie liegt darin, „die Bedeutung des gesellschaftlichen Umfelds, die institutionelle Gebundenheit organisationalen Handelns“ (Hellmann/Senge 2006: 8) für Organisationen in der modernen Welt zu betonen. Die Kernaussage des Neoinstiutionalismus5 (NI) gründet auf der Annahme, dass „die Umwelt von Organisationen […] aus institutionalisierten Erwartungsstrukturen“ (Walgenbach/Meyer 2008: 11) besteht, denen die Organisationen versuchen zu entsprechen. Die Arbeit will dabei der von vielen Wissenschaftlern geäußerten Forderung folgen, sich intensiver mit Spenden auseinanderzusetzen. Das geschieht vor allem mit Blick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht ausreichend (vgl. Lingelbach 2010: 38).

1 http://www.misereor.de/?id=870, letzter Zugriff 13.11.2012
2 Es werden im Folgenden die Begriffe „gemeinnützige Organisation“ und „Nonprofit-Organisation“ (NPO) als Synonyme verwendet. Beide Bezeichnungen stehen für die organisierte Zivilgesellschaft und drücken im Kern dasselbe aus. Die Unterscheidung geht auf unterschiedliche Akzentuierungen zurück, die hier nicht weiter auszuführen sind. Für weitere Informationen siehe: Anheier/Fritsch/Opfermann et al 2011: 12ff.
3 vgl. http://www.fundraisingverband.de/index.php?id=280, letzter Zugriff 21.11.2012
4 vgl. http://www.gfkps.com/imperia/md/content/ps_de/consumerscope/mobility/110401_pm_spenden_dfin.pdf, letzter Zugriff 01.04.2012
5 Im weiteren Verlauf werden „neoinstitutionalistische Organisationstheorie“ und „Neoinstiutionalismus“ (NI) als Synonyme verwendet.

Marius Mühlhausen

erlangte 2010 an der Universität Erfurt seinen Bachelor of Arts in Staatswissenschaften und studiert derzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin im Masterstudiengang Sozialwissenschaften.
kommunikation@maecenata.eu

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