Zivilgesellschaftspolitik in Japan

Opusculum 37 | 01.12.2009 | Die Entwicklung der organisierten Zivilgesellschaft in Japan

 

1. Einführung

Die Zivilgesellschaft Japans war in den vergangenen 20 Jahren enormen Wandlungsprozessen unterworfen, sowohl in der gesellschaftlichen Wahrnehmung als auch in dem politischen Umgang mit ihren Erscheinungsformen. Hierfür sind zwei unterschiedliche Staatsverständnisse zu differenzieren, die die Rolle der Zivilgesellschaft unterschiedlich definieren1 . Bei der ersten Variante handelt es sich um einen starken Staat, der durch die Bürger legitimiert in der Pflicht steht, die Lösung sozialer Probleme aktiv anzugehen. Daraus ergibt sich, dass im sozialen Bereich tätige zivilgesellschaftliche Organisationen mit dem Staat zusammenarbeiten müssen. So werden viele Dienstleistungen wie zum Beispiel Armenfürsorge, Erziehung und Gesundheit nur unter Anleitung des Staates geleistet. Demgegenüber steht das Modell des kooperativen Staates, in dem die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen mehr Eigenverantwortung mit geringerem staatlichen Einfluss übernehmen und zivilgesellschaftliche Aufgaben, wie z.B. soziale Dienstleistungen, selbst organisieren. Für Japan trifft nach wie vor das erst genannte Modell eher zu, wobei zu beachten ist, dass die staatliche Verantwortung in Japan vorwiegend in den Sektoren Gesundheit, Soziales und Bildung gesehen wird2 . Andere Bereiche, wie etwa Umweltthemen, Katastrophen- oder Verbraucherschutz3 , erreichen erst seit kürzerem höhere Aufmerksamkeit seitens der Regierung. Die in diesem Bereich tätigen und weitgehend unabhängigen Nonprofit-Organisationen sind in der Regel klein und verfügen nur über begrenzte Ressourcen. Diese Nonprofit-Organisationen gewannen als Resultat verschiedener gesellschaftlicher und politischer Wandlungsprozesse in den 1990er Jahren verstärkt an Bedeutung. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist es, diese Prozesse vor dem Hintergrund der statistisch beobachtbaren Zivilgesellschaft und ihrer kulturgeschichtlichen Entwicklung genauer zu betrachten.

Die hier vorliegende Arbeit soll im Folgenden einen Überblick über die vergangene und derzeitige Entwicklung der japanischen Zivilgesellschaft bieten und ist übergreifend in zwei Hauptteile gegliedert. Kapitel 2 befasst sich überblicksartig mit der kulturhistorischen Entwicklung des zivilgesellschaftlichen Engagements in Japan, angefangen vom Mittelalter bis in die Mitte der 1990er Jahre. Dies ist nicht zuletzt notwendig, um die Pfadabhängigkeiten der Entwicklung am Ende des 20. Jahrhunderts nachvollziehen zu können und die Besonderheiten der Wandlungsprozesse zu verstehen. Wie zu zeigen sein wird, bestehen grundlegende Unterschiede zwischen dem japanischen und einem eher europäischamerikanischen kulturellen Verständnis. Lässt man diesen Punkt außer Acht, wird man nur zu einem ungenügenden Ergebnis kommen, was die Ausprägung und Veränderungen von freiwilligem Engagement in der Bevölkerung Japans betrifft. Da es sich hierbei jedoch um eine sozialwissenschaftliche Arbeit handelt, die vorwiegend Politikprozesse und Entwicklungen in Japan in Bezug auf seine Zivilgesellschaft behandelt und nicht um eine komparative Analyse verschiedener Nationalstaaten, ist dieser Teil eher als notwendige Erläuterung für den europäisch-amerikanisch sozialisierten Leser zu verstehen, denn als abgeschlossenen, eigenständigen Teil der Analyse.

1 Yamauchi 2007,

3 2 ebd. 3 f

3 Kawato 2008, 201

Christian Schreier

Christian Schreier

Sozialwissenschaftler
Geschäftsführer der Maecenata Stiftung/ General Manager of the Maecenata Foundation (bis 01/2021)
Programmleiter Transnational Giving (bis 02/2021)
csc@maecenata.eu

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