Stipendien Deutscher Stiftungen. Eine empirische Untersuchung

Opusculum 1 | 01.04.2000 | An welchen Personenkreis richten sich die Stipendienprogramme deutscher Stiftungen? Welche Fachrichtungen werden von den Stiftungen gefördert? Für welche Stadien des jeweiligen wissenschaftlichen, künstlerischen oder sonstigen Ausbildungsganges werden Mittel vergeben und wie hoch sind diese dotiert? Wie verläuft die Antragstellung, wer wählt die Stipendiaten aus, wie werden die Stipendiaten betreut und welche Art von Rechenschaft wird von ihnen verlangt? Welche Bildungsvoraussetzungen und welche sozialen Kriterien müssen die Bewerber erfüllen? Solche und weitere Fragen sollten durch die Untersuchung eine erste Antwort finden.

1. Einleitung

Das Interesse am Stiftungswesen in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit ist vor allem in den letzten zwei Jahren, im Rahmen der Diskussion um eine Reform des Stiftungsrechts, erheblich gestiegen. Da das Stiftungswesen in gewisser Weise eine Vorreiterfunktion für eine bürgerschaftlich ausgerichtete Reform der Rahmenbedingungen des gemeinnützigen Sektors übernimmt, verwundert dieses gesteigerte politische und öffentliche Interesse an Informationen über das Stiftungswesen nicht.

Mit den bestehenden Datenbanken, einerseits der beim Maecenata Institut geführten, andererseits der des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, kann ein großer Teil des Informationsbedarfs gedeckt werden: Fragen nach den vorkommenden Stiftungszwecken, nach den Organisationsformen oder auch nach der Schichtung der existierenden Stiftungen entsprechend der Errichtungsjahre können auf der Grundlage einer soliden, für bestimmte Dimensionen des Stiftungswesens sogar fast vollständigen Datenbasis beantwortet werden. Bei bestimmten Sachgebieten, wie etwa dem Vermögen, den Einnahmen oder den Ausgaben der Stiftungen wird die Datenbasis schwierig, da lediglich 30% der Stiftungen dazu freiwillig Angaben machen; gleichwohl sind auch hier durchaus zuverlässig begründete Aussagen möglich. Im Vergleich zu anderen Bereichen des Dritten Sektors, aber auch zu Bereichen des Staates ist es also um den Kenntnisstand und damit auch um die Transparenz des Stiftungswesens nicht schlecht bestellt.

Allerdings gibt es Sachbereiche, für die kaum systematische empirische Daten vorliegen. Dabei handelt es sich um Bereiche, an denen Öffentlichkeit und Politik ein gewiß berechtigtes Informationsinteresse haben – so ist jedenfalls die Erfahrung, die das Maecenata Institut im Rahmen seiner Beratungstätigkeit von öffentlichen Medien und politischen Entscheidungsträgern wiederholt machen konnte. Insbesondere können zu einer zentralen Fragestellung keine empirisch erhobenen Aussagen getroffen werden, nämlich was Stiftungen tatsächlich tun und wie sie es tun.

Die Frage, was Stiftungen tatsächlich tun, kann zur Zeit nur hilfsweise beantwortet werden. An erster Stelle steht sicher der Verweis auf die Analyse der Stiftungszwecke. Ist im Stiftungszweck der Stifterwille und damit das Gesetz des Handelns der Stiftung niedergelegt, scheint diese Hilfskonstruktion auf den ersten Blick für die Betrachtung des Stiftungswesens vollauf zu genügen. Dennoch spricht vieles dagegen, den aus der Analyse von Stiftungszwecken gewonnenen Aussagen allzu viel Aussagekraft beizumessen. Viele niedergelegten Stiftungszwecke stellen in ihren Formulierungen eine mehr oder weniger vollständige Reproduktion der jeweilig gültigen Abgabenordnung dar. Sie sind hinreichend präzise, um den Status der Gemeinnützigkeit zu erlangen und zugleich absichtsvoll redundant, um auf lange Sicht sich verändernden gesellschaftlichen, kulturellen und anderen Aufgaben gerecht werden zu können.

Schon die Tatsache, daß im Durchschnitt auf jede existierende Stiftung ca. zwei fundamental unterscheidbare Stiftungszwecke kommen, deutet auf die Schwierigkeit hin, von diesen auf die Praxis von Stiftungen schließen zu können. Wissenschaftlich betrachtet verbirgt sich hinter diesem Durchschnittswert ein gravierendes Problem: eine Reihe von Stiftungen, und zwar besonders kleine Stiftungen, die sonst Schwierigkeiten mit der Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit bekommen, legen sich auf einen einzigen, mitunter sehr präzise ausformulierten Zweck fest: die Förderung des Orchesters XY oder die Vergabe eines Stipendiums für eine Promotion am Institut X der Universität Y. Daneben gibt es viele vor allem größere Stiftungen, die sich gleichzeitig der Förderung von Kunst, Kultur, Wissenschaft, Umwelt, Sozialem oder manch anderem derart allgemeinen Zweck widmen. Es ist offensichtlich, daß sich hinter der Aussage, 21% der deutschen Stiftungen seien ihren Zwecken gemäß im Kulturbereich tätig, sehr unterschiedliche Phänomene verbergen. Die präzise an ein Orchester gebundene Stiftung unterscheidet sich in manchem von derjenigen Stiftung, bei der die Entscheidungsgremien immer wieder aufs Neue festlegen müssen, wieviel ihrer Stiftungstätigkeit der Kultur gewidmet wird und welchem Kulturbereich im besonderen, ja in gewissen Grenzen sogar, welches Verständnis von Kultur sie haben (bzw. welches die Aufsichtsbehörden und das Finanzamt zu akzeptieren bereit sind).

Untersuchungen in anderen Ländern zeigen deutlich, daß der Abstand zwischen Theorie (dem Stiftungszweck) und Praxis (der tatsächlichen Stiftungstätigkeit) erheblich sein kann. Nachweisen konnte dies beispielsweise eine in Großbritannien 1999 abgeschlossene Untersuchung der dortigen Stiftungswelt. Dort wurde gezeigt, daß sich theoretisch die Destinatäre der Stiftungstätigkeit zwar gleichmäßig auf alle Altersklassen verteilen müßten, tatsächlich aber vor allem Kinder und Jugendliche gefördert werden.

Nun ist die tatsächliche Praxis deutscher Stiftungen nicht so unerforscht wie es die Kritik am hilfsweisen Ausweichen auf den Stiftungszweck erscheinen läßt. In den letzten zehn Jahren sind immer wieder allgemeine Daten zur tatsächlichen Tätigkeit von Stiftungen abgefragt worden. Werden Stipendien vergeben? Werden Preise vergeben? Werden Anstalten betrieben und wenn ja, welche (Krankenhaus, Bibliothek, Museum usw.)? Werden Personen, Projekte oder Institutionen gefördert? Auf dieser generellen Ebene kann man entsprechende Aussagen über die Tätigkeit von Stiftungen treffen. Sie bleiben aber an der Oberfläche, denn man kommt nicht über die Aussage hinaus, daß ein gewisser Prozentsatz von Stiftungen Preise oder Stipendien vergibt, Projekte oder Personen fördert, Bibliotheken oder Krankenhäuser betreibt. Die zentrale Frage nach dem ‚Wie‘ dieses Tuns – und damit auch die Frage nach dem Unterschied zwischen dem, was Stiftungen etwa im Vergleich zu anderen Organisationen des Dritten Sektors oder zu Organisationen anderer Sektoren tun – kann nur nach subjektiven Eindrücken beantwortet werden.

Preise als Ehrungen für eine Lebensleistung oder für ein literarisches Gesamtwerk und ähnliches haben einen vollkommen anderen Charakter als Preise für Nachwuchskünstler. Im ersten Fall steht der Aspekt der Ehrung und Anerkennung, also das ‚Lobpreisen‘ im Vordergrund, im zweiten Fall das ‚Prinzip Hoffnung‘. Solche Unterschiede sind nicht unwichtig für die Beurteilung dessen, was mit der materiellen Dotation eines Preises geschieht. Im ersten Fall kann zum Beispiel die (informelle) Erwartung in den verleihenden Stiftungsgremien sowie bei früheren Preisträgern oder in der Öffentlichkeit vorherrschen, daß der Preisträger die Dotation des Preises nicht für sich behalten sollte, sondern diese als Ausdruck seiner Preiswürdigkeit an eine gemeinnützige Initiative weitergeben möge. Nicht der Preisträger selbst ist hier letztlich der Destinatär, ganz im Unterschied zu Preisen für Nachwuchskünstler. Hier berührt sich die Vergabe von Preisen mit der von Stipendien, d.h. es geht auch darum, daß der Künstler sich in den nächsten Monaten ohne Sorgen um seinen Lebensunterhalt ganz seiner Kunst widmen kann. Dafür soll er die Dotation des Preises nutzen und sie eben gerade nicht an Dritte weitergeben.

Bei der Analyse solcher und weiterer Fragen der praktischen Tätigkeit von Stiftungen geht es um Wissen, das für die Anerkennung und Förderung des Stiftungswesens im öffentlichen und politischen Raum relevant ist, aber auch für das Selbstverständnis und die Praxis bestehender bzw. neuer Stiftungen.

So ist es ein Leichtes, Fallbeispiele für innovative Praktiken von Stiftungen zu finden. Kann man daraus aber wirklich schließen, daß Innovation oder auch nur Handeln jenseits des Mainstreams ein typisches Charakteristikum des Stiftungswesens ist? Wenn eine Untersuchung der Vergabepraxis von Preisen durch Stiftungen zeigen würde, daß die meisten Stiftungen sich bei der Auswahl der Preisträger auf das Urteil arrivierter Fachleute aus dem jeweiligen Kunstoder Wissenschaftsbetrieb verlassen, dann wäre es nur schwer begründbar, warum bei solch einem Prozedere Innovation eine besondere Chance haben sollte.

Die im folgenden dargestellte Untersuchung zu Stipendien deutscher Stiftungen beleuchtet ein spezifisches Tätigkeitsfeld deutscher Stiftungen. Die Stipendienvergabe ist eine klassische Tätigkeitsform fördernder Stiftungen, besonders in den Bereichen Wissenschaft und Kultur. Damit sind auch schon die wesentlichen Beschränkungen der Reichweite der Aussagen dieser Untersuchung benannt. Es geht um die Praxis von Förderstiftungen im Bereich Wissenschaft und Kultur (die Zahl der davon abweichenden Stipendien ist für generalisierbare Aussagen zu gering).

Dr. Rainer Sprengel

Autor
Fellow am Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft
kommunikation@maecenata.eu

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