Analyse zur Zusammensetzung der politischen Beratungsprozessen auf Bundesebene
Zivilgesellschaft ist in aller Munde und zum politischen Schlagwort geworden – doch wer genau damit adressiert wird, bleibt oft unklar. Wen meinen ParlamentarierInnen und Verwaltung, wenn sie von den „Vertretern der Zivilgesellschaft“ sprechen? Welche dieser Vertreter*innen binden sie in Anhörungen, Expertengremien und Konsultationsverfahren ein? Bisher liegen dazu in Deutschland keine Untersuchungen vor. Im Rahmen einer Projektförderung der Otto Brenner Stiftung untersuchte das Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft daher, in welcher Form zivilgesellschaftliche Organisationen in den konsultativen Bundesgremien in Deutschland eingebunden sind und stieß dabei auf erhebliche Mängel im Bezug auf die Datenlage zu und die Zusammensetzung von Bundesgremien.
Ziel des Projekts war es, zu erfassen, in welcher Form zivilgesellschaftliche Organisationen – neben anderen Interessensvertretungen in den politikberatend tätigen Gremien des politischen Prozesses in Deutschland auf Bundesebene eingebunden sind.
Dabei wurden insbesondere folgende Fragen bearbeitet:
In einem ersten Schritt wurden die politischen Gelegenheitsstrukturen erfasst, d.h. es wurde ein Überblick über die Beratungsgremien der Bundesregierung und des Bundestages sowie eine Zusammenfassung der verfassungsrechtlich garantierten Beteiligungsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Organisationen erstellt. Danach wurde eine Gremienanalyse über die Zusammensetzung der Experten*innen der 19. Legislaturperiode durchgeführt.
In der vergangenen Legislaturperiode haben mehr als 300 Expertengremien die Politik auf Bundesebene beraten. Relevante Fakten über diese Gremien und wichtige Informationen über deren Mitglieder waren jedoch nur teilweise verfügbar. Daher konnten in unserer „Vollerhebung“ nur 223 Sachverständigengremien analysiert werden.
Die gesetzlichen Grundlagen für die politische Beteiligung von Interessenvertretern lassen den zuständigen Ministerien einen erheblichen Spielraum bei der Berufung. Zwar wird „Verbänden“ häufig eine besondere Rolle zugeschrieben (z.B. in gesetzlichen Vorgaben und Geschäftsordnungen), doch ist der Begriff des Verbandes rechtlich und wissenschaftlich nicht eindeutig definiert. Auch deshalb gibt es große Unterschiede zwischen den Ministerien. Allgemein lässt sich eine Überrepräsentativität von Interessenvertretenden aus der Wirtschaft und Wissenschaft feststellen. Gemeinwohlorientierte Akteure aus der Zivilgesellschaft sind dagegen kaum vertreten. Sie stellen nur 14 Prozent der einberufenen Expert*innen.
Hinzu kommt, dass die Verfahren für die Berufung in Gremien nicht formalisiert und nur vereinzelt nachvollziehbar sind. Die Kriterien für die Berufung von Gremienmitgliedern oder die Berücksichtigung ihrer Empfehlungen sind damit nicht überprüfbar. Die Auskunftspraxis der meisten Bundesministerien zum Berufungsverfahren und zur Zusammensetzung der Gremien ist auf Basis unserer Recherchen als intransparent und mangelhaft zu bewerten. Zudem spiegelt die Zusammensetzung der Gremien in der 19. Legislaturperiode eine verzerrte gesellschaftspolitische Repräsentativität, etwa was die Geschlechterparität angeht, wider.
Um den vorhandenen Mängeln entgegenzuwirken, sollten die Verfahren zur Berufung externer Sachverständiger in die Bundesgremien künftig offengelegt und eine angemessene Repräsentanz der verschiedenen Sektoren und ihrer vielfältigen Akteure sichergestellt werden. Zudem sollte die Einbringung von Expertise durch Expertengremien im legislativen Fußabdruck von Gesetzen dargestellt werden. Schließlich muss der Verbändebegriff geschärft werden. Nur so kann die derzeitige Bundesregierung ihrem erklärten Ziel eines „transparenten Regierungshandelns“ gerecht werden.
Büro gegen Altersdiskriminierung 23.02.2023
Finanznachrichten.de 22.02.2023
Frankfurter Rundschau 22.03.2023
Saarbrücker Zeitung 22.03.2023
TAZ 22.02.2023
Erscheinungsdatum: 22. Februar 2023
OBS-Arbeitspapier 57
Autorinnen: Siri Hummel und Laura Pfirter