Immer nur Hass? – Zivilgesellschaftliches Handeln in Deutschland nach dem 7. Oktober 2023

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EUROPA BOTTOM-UP 30 I Oktober 2025 | Finn Büttner

Seit Oktober 2023 hat die Polarisierung in der deutschen Gesellschaft spürbar zugenommen. Menschen aus jüdischen und israelischen ebenso wie aus muslimischen und arabischen Kontexten sehen sich zunehmend mit Anfeindungen und Ausgrenzung konfrontiert. Besonders Letztere berichten, dass ihnen mediale, politische und gesellschaftliche Empathie weitgehend versagt blieb. Ihre Bestürzung, Wut und Trauer wurden oft nicht geduldet, teils sogar öffentlich geächtet – was das Gefühl der Ausgrenzung weiter verstärkte.

Zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGO), die sich um Verständigung im Kontext des deutschen Umgangs mit dem Krieg in Gaza bemühen, geraten seitdem zunehmend unter Druck. Ihnen, wird teils pauschal vorgeworfen, „Hass zu verbreiten“ – häufig in Form von Antisemitismus-Beschuldigungen. Diese Untersuchung geht diesem Vorwurf nach und fragt, wie diese ZGO tatsächlich arbeiten – und welche Rolle sie in einem zunehmend polarisierten Klima spielen.

Diese Studie beruht auf sieben qualitativen Interviews (April–August 2025) sowie ergänzenden Hintergrundgesprächen mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Die befragten Organisationen – von religiösen Gemeinden über Stiftungen bis zu jungen Dialoginitiativen – repräsentieren ein breites Spektrum zivilgesellschaftlichen Engagements in Deutschland.

Ergebnisse

  1. Gesellschaftliche Polarisierung: ZGO sehen die gesellschaftliche Spaltung zu einem gewissen Maße als medial und politisch heraufbeschworen und befeuert. Ihrer Wahrnehmung nach existiert eine liberal eingestellte, universal-empathische, aber weitgehend stille Mehrheit, die den öffentlichen Raum allzu oft polarisierenden Narrativen überlässt. Einige ZGO beklagen in diesem Zusammenhang eine diskursive Stagnation, die sich auch in einem zunehmend binären, schwarz-weißen Diskurs äußert.
  2. Brückenbauen und Dialogräume: Den beschriebenen Tendenzen wirken die ZGO durch das Schmieden interkonfessioneller Allianzen und das Schaffen von Dialogräumen entgegen. Sie eröffnen Orte des Zuhörens, der Begegnung und der respektvollen, menschenrechtsbasierten Auseinandersetzung – über religiöse, ethnische und politische Grenzen hinweg.
  3. Herausforderungen und Chancen: Trotz neuer Herausforderungen – etwa einer intensiveren Community-Arbeit, dem Umgang mit Trauer, Bestürzung und Entfremdung darin, anspruchsvolleren öffentlichen Veranstaltungen und Förderunsicherheiten – erleben die ZGO zugleich starken Zuspruch. Sie berichten von wachsendem Interesse an ihren Angeboten, steigenden Mitgliederzahlen und teils neuen Fördermöglichkeiten. Zugleich verzeichnen sie stärkeren Zusammenhalt innerhalb ihrer Communities, zunehmende Professionalisierung und neue Formen der Kooperation – insbesondere zwischen jüdischen, muslimischen und säkularen Akteuren.

Fazit
Die Untersuchung zeigt: Von Hass kann keine Rede sein. Die befragten Organisationen arbeiten daran, sachliche, differenzierte und menschenrechtsbasierte Dialoge zu fördern – und damit Räume für Verständigung offenzuhalten, dort, wo Menschen Vorbehalte haben oder sich in den zunehmend polarisierten Debatten nicht mehr wiederfinden. Sie übernehmen zentrale Aufgaben einer lebendigen Zivilgesellschaft: als Brückenbauer*innen, Themenanwält*innen und Wächter*innen demokratischer Diskurse.

Zugleich spiegeln die geschilderten Herausforderungen typische Einschränkungen eines „Contested Civic Space“ wider, in dem zivilgesellschaftliches Handeln zunehmend unter Druck gerät. Gerade deshalb kommt ihren kreativen, anpassungsfähigen Beiträgen zum sozialen Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt besondere Bedeutung zu.

Finn Büttner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Maecenata Stiftung und Doktorand im Wasatia Graduiertenkolleg der Europa Universität Flensburg.

M.A. Finn Büttner

Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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