Zivilgesellschaft Goes Global-Süd

18.04.2023 I Der Weltkongress der Wissenschaftsjournalisten fand erstmals in Global-Süd statt. Der Event in Medellín, Kolumbien, rückte zivilgesellschaftliches Engagement in den Amerikas, Afrika, Asien ins Rampenlicht. Ein Bericht über Soll und Haben 

Es war, als ob Garcia Marquez in Medellíns Botanischem Garten Regie geführt hätte. Beim Panel über die bedrohte Biodiversität Amazoniens kroch plötzlich ein meterlanger Leguan durchs Publikum. Ein Whistle Blower?

Diversität und ihre Stärkung war ein Schlüsselwort dieser Konferenz, in der Vorosterwoche von 500 Delegierten aus 50 Ländern besucht. Laura Helmuth, Chefredakteurin des Scientific American, klopfte es mit einem Süd-Süd Inklusions-Panorama ab.

Teilnehmende berichteten über Diskriminierung, weil sie nicht in den Mainstream passten: In Indien, weil sie nicht der richtigen Kaste angehören; in Afrika wegen ihrer LGTBQ+ Orientierung; in Lateinamerika, weil sie Frau sind; überall wegen falscher Hautfarbe.

Konsens war, dass Teams, Institutionen, Gesellschaften erst durch Einbeziehen Aller, in der gesamten Unterschiedlichkeit resilient und kreativ werden; dass nur durch Bottom-up Aktivitäten der Betroffenen, vom Boden der Zivilgesellschaften, diese Integration erfolgen kann; und Journalismus als Brückenbauer hierbei zentral ist.

Zivilgesellschaftliche Selbstorganisation und Everyday-Democracy: Dafür war das Konferenz-Ambiente, die botanische Pflanzenvielfalt, der Botschafter. So wie hier, in Amazonien, auch auf jeder Kaffeefarm rund um Medellín: Diversität und Inklusion machen robust.

Kaffeeplantagen beherbergen Flora- und Fauna-Schätze: Zum einen Tausende Pflanzen, großteils pharmazeutisch wertvoll – zum anderen riesige Vogelscharen. Auf der Maquesa Kaffee-Finca nisten 100 Arten aus dem Großraum Lateinamerika. Jeder Kaffeetrinker trägt so zur Biodiversität bei (gleichwohl fair gehandelt die Tasse 10 Euro kosten müsste).

WCSJ 2023 Medellín lieferte viele Beispiele für expandierenden Civic Space in der Weltregion, einst unterentwickelt und Dritte Welt genannt. Erfolgreiche Projekte in Südasien, bei denen neue Selbsthilfemodelle gegen Depression erprobt werden; wie Gemeinden vereint sich gegen steigende Wasserspiegel schützen; Kinder spielerisch bei der Wiederaufforstung helfen.

Nur: Wenn die Politik davon Wind bekommt, werden diese Unternehmungen von ihr oft gekidnappt und zerfallen im parteipolitischen Gezänk und überbordender Bürokratie.

Schuld daran ist auch die etablierte Wissenschaft. Wie Brigitte Baptiste, Rektorin der EAN-Universität, Bogotá, in ihrer Eröffnungs-Keynote klarstellte: „Nord- und Südforschung haben unterschiedliche Agenden. Die des Nordens ist kolonial geprägt, mit oft wenig Verständnis, auch Respekt für die Kulturen, Erfordernisse der Süd-Menschen.“

Nord-Forscher seien mitunter „narrow-minded“, Ergebnisse und Empfehlungen politisch-sozial wertlos. Wissenschaftsjournalisten sollten solche Defizite offenlegen und neue Fragen aufwerfen, die alle Menschen ansprächen, gerade Angehörige indigener Gesellschaften, die bevormundungsfrei ihre eigenen Wege finden müssten.

Eine große Lanze für die indigene Zivilgesellschaft brach Sashenka Hernandez, mesoamerikanische Wissenskommunikatorin mit uramerikanischen Wurzeln. Wissen müsse für alle zugänglich gemacht werden, in allen nativen Idiomen. Aber das funktioniere nicht mal auf Englisch. Fast nie kommunizierten Forscher aus Global-Nord ihre Untersuchungen über indigene Völker an selbige zurück.

„Hört den Menschen in den Communities zu!“, plädierte Hernandez. Sie brauchten weniger Topdown-Wissenschaft, als vielmehr „Auto-Repräsentation“, Gehör für Stimmen aus ihren Kreisen. Was sich als Motto für die Zivilgesellschaft-Süd lesen ließe und inhaltlich sich an die indigene „Cosmovision“ anlehnt: Alles ist im Kreislauf, wird recycelt, wiedergeboren. Stimmt auch physikalisch. Sagte doch Carl Sagan, „We’re star stuff“, rief ein Besucher in Erinnerung.

Sozial-wissenschaftlich vertiefte dies Antonio Copete, Vize-Rektor der Eafit-Universität, Medellín. Mit Hinweis auf die UNESCO Resolution von 2021 forderte er „Open Science“ ein, demokratisch und im umfassenden Dialog mit allen, im Herzstück: Citizen, Civic, Civil Science, also Wissensgraswurzeln ganz von unten.

Ergänzte Yesenia Olaya, Afro-Kolumbianerin, zweite Frau im Wissenschaftsministerium, Bogotá, und Expertin für „soziale Aneignung“ von Bildung: „Wir sind alle Subjekte von Wissen.“

Fortsetzung folgt: in Kapstadt oder Kathmandu, bei WCSJ 2025. Für Medellín resümierte Andrew Wight, Mitveranstalter: „Wir werden uns noch mehr an der Zivilgesellschaft ausrichten, die interessiert daran ist, was wir tun, aber absolut frei in ihren Wegen ist.“ Das sei beides, „eine große Herausforderung und Chance“.

Gastbeitrag von Wolfgang Chr. Goede, Wissenschaftsjournalist/Wissens-Facilitator

Fotos © WCSJ

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