Grußwort zur Eröffnung der Wasatia Graduate School

Grußwort von Rupert Graf Strachwitz zur Eröffnung der Wasatia Graduate School an der Europa-Universität Flensburg

Berlin, 9. November 2021, Katholische Akademie

Vor etwa 15 Jahren war ich mit meiner zur Maecenata Stiftung gehörenden Forschungseinrichtung in ein  Forschungsprojekt zur internationalen Zivilgesellschaft eingebunden, das mein israelischer Kollege Ben Gidron von der Ben Gurion University leitete. Bei einem der Treffen, die wir dazu hatten, kam die Idee auf, eine  größere Konferenz ins Auge zu fassen; in einer Pause stach mich der Hafer, und ich fragte Ben, ob er denn dazu auch palästinensische Kolleginnen und Kollegen einladen würde. Er verstand erstmal meine Frage nicht; nachdem ich sie zweimal wiederholt hatte, kam die Antwort: „Glaubst Du im Ernst, wir würden eine solche Konferenz machen und keine Palästinenser dazu einladen?“ Ich war blamiert – mit Recht, denn ich hätte es ja auch besser wissen können. Der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft, den Kreisen, in denen ich mich ständig bewege, war und ist ja aufgegeben, dort Brücken zu bauen und zu halten, wo Politik, Militär und Diplomatie das nicht hinbekommen. James Simon, der große Berliner Mäzen des frühen 20. Jahrhunderts, der ganz nah von hier, auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee begraben liegt, drückte das ganz lapidar so aus: „Wenn der Staat versagt, müssen die Bürger eintreten.“

Ja, ich hätte das wissen müssen, denn meine Stiftung und ihre Programme sind seit über 20 Jahren im interkulturellen und interreligiösen Dialog engagiert. Das Maecenata Institut hat dazu drei große Forschungsprojekte durchgeführt und zahlreiche Publikationen vorgelegt, in denen versucht wurde, die Argumente von den Unterschieden zwischen Juden, Muslimen und Christen weg und zu den Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkten hin zu führen. Das Stiftungsprogramm Europa Bottom Up hat sich in vier Tagungen dem Thema ‚Europa und das Mittelmeer‘ gewidmet. Worum es dabei ging, bedarf hier wohl keiner weiteren Erläuterung. Die Ergebnisse sind ebenfalls publiziert. Aus diesem Projekt, konkret aus der dabei entstandenen Freundschaft mit Prof. Udo Steinbach, ging die Idee hervor, in der Stiftung unter seiner Leitung ein MENA Study Centre anzusiedeln, was 2019 geschah. All dies war und ist dem Bemühen gewidmet, mit unseren gewiß bescheidenen Mitteln gegenzusteuern – gegen Unwissenheit und Borniertheit, Abschottung und Mißtrauen, Feindschaft und Haß.

Auch namens des Stiftungsrates und Vorstandes der Maecenata Stiftung darf ich daher heute meine große Freude und Genugtuung darüber bekunden, daß es erneut gelungen ist, eine Initiative auf den Weg zu bringen, die diesem Bemühen sichtbaren und, wie ich hoffe, nachhaltigen Ausdruck verleiht. Die European Wasatia Graduate School for Peace and Conflict Resolution wird Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus den unterschiedlichen Kulturen der Mittelmeer-Anrainer-Länder, insbesondere aber aus Palästina und Israel auf Frieden und Konfliktbewältigung ausgerichtete Forschungsaufenthalte an der Europa Universität Flensburg ermöglichen. Ich danke der Universität und insbesondere dem Initiator des Projekts, Prof. Ralf Wüstenberg, daß unsere Stiftung mit ihrem MENA Study Centre Kooperationspartnerin dieses Projekts sein darf.

Ich habe mit einer Anekdote begonnen und will mit einer zweiten schließen. Vor inzwischen schon vielen Jahren war ich Teilnehmer einer Konferenz in Istanbul, bei der auch palästinensische und israelische Kolleginnen und Kollegen anwesend waren. Ohne jede Absprache schienen wir übrigen es uns angelegen sein zu lassen, dafür zu sorgen, daß diese sich nicht zu nahe kamen – bis wir einmal einen Bus bestiegen, um zu
einer Abendveranstaltung zu fahren und mit Schrecken sahen: Die israelischen und palästiensischen Delegationschefs hatten sich unabsichtlich nebeneinander gesetzt. Wir alle hielten den Atem an, nicht wissend, was nun geschehen würde. Was geschah, war, daß sie miteinander ins Gespräch kamen. Von da an änderte sich, wieder ohne Absprache, unser Verhalten. Wir spürten, sie brauchten so viel Zeit wie nur möglich, um
vertraulich und allein miteinander zu reden; jeder andere, der sich ihnen nähern wollte, wurde höflich, aber bestimmt abgedrängt.

Nun, die Wasatia School wird niemanden abdrängen wollen. Aber sie wird, des bin ich gewiß, aus zivilgesellschaftlichem und wissenschaftlichem Geist eine Atmosphäre des Talking, Learning, Working, and Living Together – so das Motto unseres Europa-und-das-Mittelmeer-Projekts – erzeugen, das wiederum einen kleinen – vielleicht sogar nicht so kleinen – Beitrag zu Peace and Conflict Resolution an der Südost-Seite unseres gemeinsamen Kulturraums leisten kann. Wir freuen uns jedenfalls über die Kooperation mit der Universität Flensburg und anderen Universitäten und über die Einbindung in einen Kreis von vielen unabhängigen Organisationen, die unter dem arabischen Namen Wasatia für ein gemeinsames Ziel arbeiten.

In diesem Sinne wünsche ich der Wasatia School in Flensburg, ihren Mitarbeitenden und Stipendiatinnen Gottes Segen und jeden erdenklichen Erfolg!

> Grußwort zum Download (PDF)

Eindrücke von der Eröffnung sehen Sie hier: https://www.uni-flensburg.de/trilateral-graduate-school/fotogalerie

Rupert Strachwitz

Dr. phil. Rupert Graf Strachwitz

Vorstandsmitglied der Maecenata Stiftung
rs@maecenata.eu

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