Mentale Gesundheit: Kein Tabu, sondern selbstverständlich!

Observatorium 55 | 16.09.2021 | Mentale Gesundheit, von der Zivilgesellschaft seit Jahrzehnten angesprochen, ist 2021 erstmals Thema in einem Bundestagswahlkampf.

Corona hat andere Krankheiten pandemischen Ausmaßes verschärft: Depressionen und Ängste. Der Bundestagswahlkampf hat die Seele aus dem gesellschaftlichen Untergrund geholt. Mental Health Matters stellt die Defizite der mentalen Gesundheit ins Rampenlicht. Damit gewinnt ein langjähriges Anliegen der Zivilgesellschaft bundesweit politischen Rückenwind. Hier die Fallstudie dazu.

Ihr Therapeut hatte Noreen Thiel davon abgeraten, ihre Depressionen und Ängste öffentlich auf ihre Wahlplattform zu stellen. Die 18-jährige Studentin schlug den Rat aus und kandidiert für die Berliner Liberalen mit genau diesem Thema[1]. Das Wahlplakat zeigt die Jugendliche auf dem Boden hockend, in Grau, darunter Rot auf Orange: Mental Health Matters. Das hat ihr viel Häme in den sozialen Medien eingebracht („In der Politik haben Depressive nichts zu suchen“), gleichzeitig die traditionellen Medien elektrisiert und Neugier auf die angeschlagene Psycho-Gesundheit der Deutschen geweckt[2].  Sogar der gefürchtete Spötter Jan Böhmermann fand im ZDF lobende Worte. Die Kandidatin dankte auf Twitter ihren 10.000 Followern für öffentlich-rechtliche „Gratis Werbung“[3].

Überfällig: Mental Health Matters

Psychische Einschränkungen in Gestalt von Depressionen und besonders Ängsten sind ein mächtiges Tabu. Die Seele ist mit einem hartnäckigen Stigma und einer hohen Schamschwelle besetzt, individuell und sozial. Wer niedergeschlagen, verzagt und ängstlich ist, gehört nicht richtig „dazu“. Das „Coming-out“, bei Schwulen, Lesben und in der LGBTQ Community fast normal, ist bei Depressionen und Ängsten eher die Ausnahme[4]. Gleichwohl sind die Gründe für Seelenstörungen so normal wie körperliche Beeinträchtigungen, Schnupfen, Gastritis, Beinbruch. Das behaupten Verfechter der neuen Offenheit, etwa die Autor*innen von „#nichtgesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen“[5], die Meisten aus dem gesellschaftlichen Mainstream.

Die Daten-Evidenz: Tödliche Volkskrankheit

Die Statistik, gleichwohl wegen großer Verschwiegenheit mit hoher Dunkelziffer behaftet, belegt die Tragweite der Krise. 2017, lange vor Ausbruch der anhaltenden Corona-Pandemie, warnte die WHO: „Die Zahl der Menschen mit Depressionen steigt weltweit rasant.“[6] Danach sind davon rund 322 Millionen Men­schen betroffen, 4,4 Prozent der Weltbevölkerung und, so die WHO, „gut 18 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor“.

Zum Vergleich: Ca. 35 Millionen Menschen leben laut WHO mit Krebs. Das sind knapp 10 Prozent der Depressionsbetroffenen. Dennoch findet Krebs beträchtlich mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Das war nicht immer so. Krebs, einst als absolut tödlich konnotiert und tabu, wurde erst von Frauen mit Brustkrebserkrankungen zum öffentlichen Gesprächsthema. Der Impuls ging vor einem halben Jahrhundert besonders von deutschen Frauen aus, kollektiv in freiwilliger Selbstorganisation. Therapie und Prävention erhielten dadurch einen großen Schub.

Für Deutschland schätzt die WHO die Zahl der Menschen mit Depressionen auf 4,1 Milli­onen, also 5,2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Weitere 4,6 Millionen Menschen leben mit Angststörun­gen, insgesamt 10 Prozent mit Ängsten und Depressionen. Für die Betroffenenverbände erscheinen sogar 15 Prozent denkbar.

Insgesamt 18 Millionen Erwachsene sind, so die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN), alljährlich von einer psychischen Erkrankung betroffen, wozu viele weitere Symptome gehören. Bei 83 Millionen Einwohnern errechnen sich daraus über 20 Prozent Seelenkranke, im Alterssegment der Erwachsenen sogar 28 Prozent. Damit sind das „Volkskrankheiten“, so die Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Hierzu der Corona-Infektions-Vergleich: Laut Robert Koch Institut (RKI) haben sich in Deutschland (Stand Anfang September 2021) knapp 4 Millionen Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert (5 Prozent). Ca. 92.000 Deutsche sind daran gestorben. Weltweit, so die Johns-Hopkins-Universität, kam es bisher zu knapp 218,5 Millionen Infektionen mit 4,5 Millionen Todesfällen[7]. Der Vergleich mag das Ausmaß der fragilen mentalen Gesundheit in Deutschland wie auch global andeuten: Insgesamt gibt es derzeit erheblich mehr Menschen mit Depressionen und Ängsten als Corona-Infizierte.

Und: Auch Depressionen und Ängste verlaufen tödlich, wenn auch signifikant weniger als bei Corona. Viele der jährlich 9.000 Suizidfälle in Deutschland führen Mediziner auf Entgleisungen der mentalen Gesundheit zurück. Weltweit sind ca. 800.000 Suizid-Todesfälle erfasst. Und: Depressions- und Angstpatienten riskieren eine beträchtliche Verkürzung ihrer Lebenszeit – um 10 bis 20 Jahre, so eine in ‚Lancet Psychiatry‘ publizierte Untersuchung[8]. Denn wer unter Druck und Dauerstress steht, zeitigt meistens auch körperliche Folgeerscheinungen wie Bluthochdruck, Immunschwächung und Infarktrisiko und ist leichter für Süchte empfänglich – alles lebensverringernde Faktoren.

Insgesamt bezeugen diese Zahlen eine große Krise der mentalen Gesundheit. Im Vergleich mit Krebs und der aktuellen Pandemie ist sie bisher allenfalls unterproportional thematisiert und erst durch die Bundestagskandidatur der 18-jährigen Berlinerin mit einer Depressions-Vita auf die öffentliche Bühne gehoben worden. Verlässliche Zahlen darüber, wie die im Frühjahr 2020 ausgebrochene Corona-Pandemie gefolgt von Lockdowns, Isolation, Infektionsfurcht und Zukunftsängsten die ermittelten Zahlen weiter in die Höhe treiben, sind bisher eher Spekulation. Gewiss allerdings ist, so die DGPPN, dass sich „Ängste, Stress und Sorgen verstärkt“ haben[9].

Vulnerable Risikogruppe: Junge Menschen

Eine bisher wenig beachtete Altersgruppe ist überproportional gefährdet: Kinder und junge Menschen. Die Kleinsten orientieren sich in ihrem Verhalten an ihren Eltern und Erwachsenen. Darauf macht der renommierte kolumbianische Psychiater José Posada aufmerksam. Sorgen der Großen färben auf sie leicht ab. „Die Bewältigung von Covid, Stress, Ängsten ist kollektive Arbeit der gesamten Gesellschaft“, mahnt er in einem Interview. Darin unterstreicht er, dass auch die Depression eine pandemische Erkrankung sei, aber niemand davon Notiz nehmen wolle[10].

Mit der von Posada angesprochenen Bevölkerungsgruppe geraten die Schüler und jungen Erwachsenen in den Blick, die beim Thema Mental-Health besonders vernachlässigt werden. Dabei hatte bereits eine 2014 veröffentlichte UN-Studie auf sie als besondere Risikogruppe aufmerksam gemacht. 20 Prozent der Weltbevölkerung sind Menschen im Alter zwischen 14 und 24, von denen wiederum 20 Prozent jedes Jahr eine mentalgesundheitliche Störung erleiden[11]. Das summiert sich zu immerhin ca. 300 Millionen Menschen, fast so vielen, wie die zuvor zitierte WHO-Studie weltweit Depressionserkrankte schätzt. Die Zahl erklärt sich durch das Einbeziehen von anderen Symptomen wie Hyperaktivität, Magersucht, Selbstverletzung und anderen. Sie schiebt die Zahl der Betroffenen weiter nach oben und rückt die Suizidalität in ein noch brisanteres Licht. Sie ist die drittgrößte Todesursache in diesem Alterssegment.

Als Ausweg aus dieser Gesundheitskrise verlangt die UN-Studie großangelegte Aufklärungskampagnen und Präventions-Programme in Schulen und Bildungseinrichtungen, die vor allem darauf abzielen, mentale Gesundheit gesellschafts-, kommunikations- und salonfähig zu machen. Diese UN-Forderung lässt sich für Deutschland bisher als eher unerfüllt einstufen. So berichtet Noreen Thiel in ihren vielen öffentlichen Einlassungen zu ihrer Depression, dass auf deren Höhepunkt ihre Lehrerin nicht verstanden hätte, warum sie sich vom Schulbesuch entschuldigte. Die Schülerin war einfach nicht in der Lage gewesen, sich aus dem Bett zu erheben und die Wohnung zu verlassen. Alles für die Erkrankten ist dunkel, verhangen, zäh wie Schlick. Diese Black-Dog-Symptomatik hat der unter Depressionen leidende Winston Churchill ausführlich beschrieben.

Verständnis und Rücksichtnahme darauf ist in deutschen Schulen nicht verbreitet, weder in Berlin noch in München. 2019 sorgte in der bayerischen Landeshauptstadt der Schülerfilm „Grau ist keine Farbe“ über Depressionen und Ängste in Lehranstalten für große öffentliche Aufmerksamkeit[12]. Das setzte den bayerischen Bildungsminister Michael Piazolo unter Druck, der die jugendliche Filmcrew zu einem Gespräch über Depressionen an Schulen empfing. Sie verlangte vom Minister die Einführung eines Unterrichtsfaches ‚Mentale Gesundheit‘. Die Umsetzung bleibt bisher aus und ist vermutlich in den Corona-Turbulenzen untergegangen.

Selbsthilfe in der mentalen Gesundheit

Für Insider der mentalen Gesundheit, vor allem aber Akteure der Zivilgesellschaft, die sich seit vier Jahrzehnten in der Selbsthilfe organisieren, sind die alarmierenden Zahlen und Erkenntnisse nicht neu. Einer der Pioniere und bis heute Agenda-Setter, ist das Selbsthilfezentrum München SHZ. Selbsthilfe: Das klang in den 1980ern noch verdächtig, in den Ohren von Konservativen wie eine Unterminierung staatlicher Ordnung. Unter dem SHZ-Dach gediehen viele unkonventionelle Initiativen, darunter die Münchner Angstselbsthilfe MASH, die die deutschlandweite Angsthilfe DASH auf den Weg brachte. Davon gingen Impulse zur Selbstorganisation rund um die mentale Gesundheit überall im Lande aus[13].

Das alles trug zur raschen Emanzipierung und Konsolidierung von Selbsthilfe im öffentlichen Gesundheitssektor bei, sodass der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (1992-1998) alsbald den kostensparenden Faktor der Selbsthilfe pries und von ihr als der „vierten Säule“ der Gesundheitsfürsorge sprach[14]. Ein weiterer Meilenstein: Seit 2008 sind die Krankenkassen zur finanziellen Förderung von Selbsthilfe verpflichtet, was deren Wirksamkeit, Reichweite und Unabhängigkeit weithin zugutegekommen ist[15].

Seit den 2010er Jahren ist auch in medizinisch-wissenschaftlichen Fachkreisen eine zunehmende Akzeptanz beobachtbar. Laienkompetenz hatten diese zunächst argwöhnisch als dilettantisch oder unwillkommene Konkurrenz rezipiert. Nunmehr setzte sich durch, einander respektvoll auf   Augenhöhe zu begegnen, Tandems zwischen Laien-/Alltagsexperten und akademischen Fachexperten[16] zu formieren sowie „Hand in Hand“ in eine neue gemeinsame Zukunft vorzustoßen – so etwa das Motto des Psychotherapie-Kongresses 2021 der Universität Mannheim[17]. Teil der Veranstaltung war eine öffentliche Diskussion zwischen Fach- und Laienexperten über Best-Practice-Beispiele in der gemeinsamen Kooperation[18].

Diese von den zivilgesellschaftlichen Graswurzeln ausgehenden Impulse für eine allmählich wachsende Offenheit gegenüber mentalgesundheitlichen Belangen, nicht zuletzt gefördert durch die Thiel-Kandidatur für den Bundestag und die breit gefächerte Publizität um diese, lassen auch die großen meinungsbildenden Medien immer mehr auf das Thema anspringen. So etwa die ZEIT, die im Sommer 2021 unter dem Titel „Wir sind zur Therapie“ 38 Menschen vorstellte, die sich in Behandlung begeben haben, und die zu diesen Porträts mittlerweile fast 300 größtenteils bekennend-zustimmende Stellungnahmen ihrer Leserschaft gesammelt hat. Die Erkrankung, oft nur eine Störung, die sich, sofern nicht durch jahrelange Verdrängung chronifiziert, vielfach rasch therapieren lässt, verliert ihren Stachel[19].

Empfehlungen 2021-2025

Die Geschichte der Selbsthilfe mit Fokus auf die Mentalgesundheit über die letzten Jahrzehnte weist diese als maßgebliche Akteurin der Zivilgesellschaft aus. Als Resümee lassen sich hieraus für die kommende Legislaturperiode Empfehlungen für Parlamentarier und Regierung herausfiltern:

  • Weitere finanzielle Stärkung aller Initiativen der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe, insbesondere der mentalen Gesundheit, als wichtiger Motor des Fortschritts in der öffentlichen Gesundheit. Bereits im letzten Jahrhundert fanden SHZ- und MASH-initiierte Studien heraus, dass Investitionen in die Selbsthilfe sich mit einer bis zu vierfachen Rendite in Kostenersparnissen und geringerer Krankheitsanfälligkeit auszahlen und die gesundheitliche Robustheit individuell und sozial merklich stärken.
  • Mental-Health Offensive auf breiter Front, so wie von der UN bereits vor 10 Jahren formuliert: Nicht nur in den Schulen mit speziellen Unterrichtseinheiten und Mental-Empowerment, sondern insbesondere auch in der Wirtschaft und an den Arbeitsplätzen. Durch Krankheitsfehltage infolge von Depressionen, Ängsten, neuerlich auch Burnout, gehen der Volkswirtschaft jährlich Milliarden verloren, allein 2018 geschätzt 13 Milliarden Euro[20], seit Jahrzehnten beklagt, aber folgenlos. Eine konzertierte Aufklärungskampagne von Politik, Unternehmen, Gewerkschaften, Wissenschaft, und zivilgesellschaftlicher Selbsthilfe brächte frischen Wind in dieses Thema, u.a. wenn DAX-Vorstände über ihre psychischen Erkrankungen öffentlich Auskunft gäben, wie der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer anregte[21].
  • Modernisierung der Termini und idiomatischer Paradigmenwechsel: Der vorliegende Beitrag verzichtet weitestgehend auf die Begriffe „seelische Störung“ oder „psychische Erkrankung“ und rekurriert auf die international gebräuchliche „mentale Gesundheit“. Warum? Der internationale Sprachgebrauch vermittelt mehr Neutralität, ist weniger belastet und stigmatisiert als Seele (die noch kein Wissenschaftler verortet hat), entzieht sich auch „Labeln“ und historisch-ideologischem Missbrauch, etwa durch die Nazis. Was Seele und Psyche und deren Funktionieren zum großen Teil ausmachen, sind biochemische Prozesse im Gehirn, deshalb: mentale Gesundheit. Das möge den Umgang mit dem Thema normalisieren. Auch „Angst“ ist extrem negativ besetzt, wird deshalb gerne verdrängt, greift insgesamt zu kurz. Das Wort kommt aus dem Indogermanischen und meint Enge. Aber Angst bedeutet auch Weite, wenn sie nämlich dazu anspornt, den engen Käfig zu sprengen und sich über die Angst hinwegzusetzen – wie jetzt Noreen Thiel mit ihrer Hinwendung zur Öffentlichkeit und Politik, worin sie eine Fortführung ihrer Therapie sieht. Diese Doppelbedeutung von Enge und Weite, salopp Bremsen und Gas geben, schwingt in einigen außereuropäischen Sprachen mit[22]. Insofern wäre eine etymologische Überholung des Begriffs und eine frische Rahmung angebracht, etwa, nicht von Angst, sondern „Angstmut“ zu sprechen. Dies wäre für viele Angst- und Depressionsbetroffene eine große Erleichterung. Sprachwissenschaftler und Philologen erwartet eine wichtige experimentelle Forschungsaufgabe.
  • Vision Zero! Hiermit sind wir beim Mut zu Innovation und Neuaufbrüchen, vielen Kritikern zufolge über viele Jahre in Deutschland auf fast allen Feldern der Politik vernachlässigt oder zu Tode geredet. Deshalb: Auf in die mental-gesundheitliche Zukunft mit VISION ZERO. Dieser einst in Skandinavien erfundene Begriff hat Autos und Verkehr sicherer gemacht und die Unfallzahlen erheblich gesenkt[23]. Vision Zero hat jetzt auch die Krebsmedizin ausgerufen. Keine Toten mehr infolge von Karzinom-Erkrankungen. Ließe sich das nicht auch für den Formenkreis mentaler Indisposition adoptieren?

Schluss mit Wackelpudding vs. Badeschwamm: Zivilgesellschaft Matters!

Bundestagswahlkämpfe sind die Zeit öffentlicher Reflexion, Eingaben und Formulieren von Forderungen. Das Haus wird neu bestellt. Es ist demokratisches Recht, besser Pflicht aller Bürger*innen und der Zivilgesellschaft, nicht nur die Wahllisten abzuhaken, sondern aktiv ihr Wissen in die Politik einzubringen. Dieser Beitrag über die Defizite der mentalen Gesundheit in Deutschland versteht sich als Teil dieses Prozesses, aufsetzend auf einer aus vielen Richtungen anschwellenden Kritik, dass Deutschland immer mehr den Anschluss an eine innovative Erneuerung verpasst und auch im Wahlkampf 2021 bisher keinen Anlauf dazu unternommen hat. So beschreibt der Journalist und Publizist Gabor Steingart im Pioneer Morning Briefing den Wahlkampf der Volksparteien als ein Antreten von „Wackelpudding gegen Badeschwamm“ (03.09.2021) und schätzt den Reformimpetus so ein: “Deutschland und Europa sind Absteiger. Wir reden sonntags über Innovation und Modernisierung, aber machen überall das Gegenteil. Deshalb laufen wir Gefahr, dass wir der Freizeitpark der Welt werden und nicht der Innovations-Kontinent.”[24] (30.08.2021)

Spezifischer geworden ist Rupert Graf Strachwitz in seinem Aufruf zur Bundestagswahl 2021 „Respekt – Vertrauen – Teilhabe“[25] In seiner Schrift über die Zivilgesellschaft als Ergänzung der repräsentativen Politik wie auch Ideen- und Impulsgeber und letztlich Korrektiv erinnert Strachwitz daran, dass nicht die Bürgerschaft dem Staat, sondern umgekehrt: der Staat der Bürgerschaft verantwortlich ist, beklagt die zunehmende obrigkeitsstaatliche Abschottung und zivilgesellschaftliche Diskreditierung und resümiert insgesamt, dass wir in einer schweren politischen Krise stecken:

„Ihr Rang als gleichberechtigte Arena des kollektiven Handelns wird [der Zivilgesellschaft] verweigert. […] Ein engstirniger Kampf um Machterhalt beherrscht das Denken der politischen Eliten. Sie klammern sich am Status quo fest und haben Angst vor Veränderungen. […] Bei manchen [Wahlprogrammen und ihrer Umsetzung] kann man sich schon jetzt ausmalen, dass diese nie erfolgen oder wieder zum Ende der Legislaturperiode in Trostpflaster umgewandelt [werden].“

Dem ist wenig hinzuzufügen, vielleicht die hier vorgelegte Fallstudie: In der Mental-Gesundheit herrscht seit langem eine Art Pandemie. Akteure der Zivilgesellschaft haben diesen Stier bei den Hörnern gepackt. Davon könnte und müsste der Staat viel lernen – hoffentlich demnächst, 2021-2025. Denn: Mental Health (dank Frau Thiel) – UND Zivilgesellschaft matter. Very much indeed!

[1] Watson Newsportal Junge Erwachsene (12.05.2021): FDP Jugend will Offensive für psychische Gesundheit ins Wahlprogramm bringen https://politik.watson.de/deutschland/exklusiv/498041785-vor-fdp-parteitag-junge-liberale-fordern-offensive-fuer-psychische-gesundheit (Stand 07.09.2021)

[2] Siehe dazu Auswahl an Medienberichten https://checkpoint.tagesspiegel.de/telegramm/cg7vylHZGJaiOnMOrC5Mi (Stand 07.09.2021)
https://www.gq-magazin.de/lifestyle/artikel/mental-health-jungpolitikerin-noreen-thiel-es-sollte-im-job-und-in-der-politik-normal-sein-zu-sagen-ich-habe-depressionen (Stand 07.09.2021), https://www.luzernerzeitung.ch/international/deutschland-psychisch-krank-zu-sein-ist-teil-meines-lebens-diese-18-jaehrige-mit-depressionen-will-in-den-bundestag-ld.2182155?reduced=true (Stand 07.09.2021)

[3] https://twitter.com/noreenthiel (Stand 07.09.2021)

[4] TELI Wissenschaftsdebatte http://www.wissenschaftsdebatte.de/?p=6326 (Stand 07.09.2021)

[5] Strauß, Sandra, Scharwel, Tommy (Hrsg.) (2020): nichtgesellschaftsfähig. Alltag mit psychischen Belastungen. Leipzig: Glücklicher Montag https://gluecklicher-montag.de/nichtgesellschaftsfaehig (Stand 07.09.2021)

[6] Ärzteblatt https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/73297/WHO-Millionen-leiden-an-Depressionen (Stand 07.09.2021)

[7] deutschland.de https://www.deutschland.de/de/topic/politik/corona-in-deutschland-zahlen-und-fakten (Stand 07.09.2021)

[8] The Lancet https://www.thelancet.com/journals/lanpsy/article/PIIS2215-0366(19)30132-4/fulltext (Stand 07.09.2021)

[9] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde DGPPN
https://www.dgppn.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2020/offensive-psychische-gesundheit.html (Stand 07.09.2021)

[10] SEMANA https://www.semana.com/vida-moderna/articulo/como-anda-la-salud-mental-de-los-colombianos-por-estos-dias/202100/ (Stand 07.09.2021)

[11] United Nations UN: Mental Health Matters/Youth https://www.un.org/esa/socdev/documents/youth/youth-mental-health.pdf (Stand 07.09.2021)

[12] Münchner Bündnis gegen Depression https://www.muenchen-depression.de/news/grau-ist-keine-farbe/index.html (Stand 07.09.2021), Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Grau_ist_keine_Farbe (Stand 07.09.2021)

[13] https://www.angstselbsthilfe.de/wp-content/uploads/2016/01/130.pdf (Stand 07.09.2021)

[14] Matzat, Jürgen (2002):  Die Selbsthilfe als Korrektiv und ‚vierte Säule‘ im Gesundheitswesen. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, S. 89ff. Heft 3, Juli 2002. Lucius http://forschungsjournal.de/sites/default/files/archiv/FJNSB_2002_3.pdf (Stand 07.09.2021)

[15] Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen NAKOS  https://www.nakos.de/informationen/foerderung/krankenkassen/ (Stand 07.09.2021)

[16] Goede, Wolfgang Chr (2020): Tandems of Lay Experts and Academic Experts. (Opuscula, 136) Berlin: Maecenata https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/68058/ssoar-2020-goede-Tandems_of_lay_experts_and.pdf (Stand 07.09.2021)

[17] Universität Mannheim, Psychotherapie-Kongress 2021 https://www.uni-mannheim.de/newsroom/presse/pressemitteilungen/2021/mai/38-symposium-klinische-psychologie-und-psychotherapie-kopie-1/ (Stand 07.09.2021)

[18] Goede, Wolfgang Chr, Letsch, Fritz (2021): Zeige deine Wunde. In: Selbsthilfezentrum München SHZ, Einblick, Juni 2021, S, 13f https://www.shz-muenchen.de/fileadmin/shz/downloads/einBlick/Einblick_0621_V4.pdf (Stand 07.09.2021)

[19] ZEIT ONLINE: Wir sind zur Therapie. 8. Juli 2021 https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-06/psychische-erkrankungen-therapie-depression-angststoerung-klinik-psychopharmaka-erfahrungen (Stand 07.09.2021)

[20] Tagesschau: Thematisieren statt tabuisieren. 05.10.2020 https://www.tagesschau.de/inland/kampagne-psychische-gesundheit-101.html (Stand 07.09.2021)

[21] Tagesschau: Thematisieren statt tabuisieren. 05.10.2020 https://www.tagesschau.de/inland/kampagne-psychische-gesundheit-101.html (Stand 07.09.2021)

[22] Wiktionary „Angst” https://de.wiktionary.org/wiki/Angst (Stand 07.09.2021)

[23] t-online/dpa (2015): Warum Schweden die wenigsten Verkehrstoten hat https://www.t-online.de/auto/recht-und-verkehr/id_75145528/schweden-hat-die-wenigsten-verkehrstoten-dank-vision-zero.html (Stand 07.09.2021)
Wikipedia „Vision Zero“ https://de.wikipedia.org/wiki/Vision_Zero (Stand 07.09.2021)

[24] The Pioneer/Morning Briefing https://www.thepioneer.de/originals/steingarts-morning-briefing (Stand 07.09.2021)

[25] Graf Strachwitz, Rupert (2021): Respekt – Vertrauen – Teilhabe. Presseinformation. Berlin: Maecenata Stiftung https://www.maecenata.eu/wp-content/uploads/2021/08/Bundestagswahl-2021.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=presseinfo_zivilgesellschaft_staerkt_die_demokratie&utm_term=2021-08-09 (Stand 07.09.2021)