Die Kultur des Stiftens – reaktualisiert und angewendet auf aktuelle Stiftungsdiskurse.

Opusculum 30 | 01.08.2008 | Eine Arbeit über das Konzept des Stiftens

1. Einleitung

1.1. Mythen des Schenkens – zum Konzept des Stiftens

Das Schenken hat eine jahrhundertlange Tradition in der abendländischen Kulturgeschichte. Unsere Vorstellungen sind geprägt von den unterschiedlichsten Formen der Wohltätigkeit1 , die uns in den verschiedensten Ritualen, Traditionen oder Mythen begegnen. So erzählt z.B. der Mythos des christlichen Martinus von einer Wohltat. Er zerteilt in eisiger Nacht seinen Mantel mit einem Schwert, um diesen mit einem nackten Bettler zu teilen. Dieses Beispiel zeigt, dass das Prinzip des Teilens und Schenkens in unserem kollektiven Gedächtnis als archaisches Grundelement, vielleicht sogar als ein elementares menschliches Grundbedürfnis verankert ist.2 Das Prinzip des Schenkens führt unweigerlich in eine Spaltung in bedürftiger und helfender Person. Für unseren zeitgenössischen kapitalistischen Wohlfahrtsstaat stellt sich daher die Frage, welche Funktionen das Schenken unter sozial-ökonomischen Gesichtspunkten aufweist, bzw. ob Schenken in heutiger Zeit eher selbstlose Wohltat oder Funktionalisierung von bestimmten Interessen ist. Stiftungen sind dabei ein zivilgesellschaftliches Instrument, um finanzielle Mittel zum Zwecke des Gemeinwohls einzusetzen (Vgl. Münkler 2006). Angesichts der Tatsache, dass unsere Gesellschaft mit Leitsprüchen wie „Geiz ist geil“ oder „Jeder ist sich selbst der Nächste“ konfrontiert wird – welche scheinbar einen ‘Zeitgeist’ verkörpern – muss man sich fragen, aus welchem Zweck und durch wen Schenkungen erfolgen. Auf der einen Seite wächst die private Vermögensbildung stetig an. Auf der anderen Seite klafft die Einkommens- und Vermögensschere in der Wahrnehmung der Menschen immer weiter auseinander, angesichts der Zahlen von sozialer Bedürftigkeit und Hartz IV-Empfängern. Daher stelle ich mir die Frage, ob das Schenken in institutioneller Form, wie in Stiftungen, in unserer heutigen Gesellschaft ein Relikt darstellt? Oder ob man von einer Renaissance des Schenkens/Stiftens sprechen kann, um vielleicht auch Gegenmodelle zum Wohlfahrtsstaat und der dominierenden ‘Leitkultur’3 zu bilden. Brauchen wir Stiftungen heute mehr denn je?

1 In Bezug zum Thema Stiftungen kann hier der Stifter als Wohltäter in Form einer Person betrachtet werden (Vgl. Borgolte 2007).

2 Die Vermutung liegt nahe, Martinus könnte durch sein Handeln in eine Art Ehrsucht verfallen. Es trat jedoch das Gegenteil ein. Der Sage nach, war Martinus für die Kirche der erste, der Heiligkeit und Ehre durch die tatsächliche Ausübung christlicher Werte zu Lebzeiten erringen konnte. Das Schenken scheint also auch im Besonderen eine christliche Lebensweise zu verkörpern.

3 Wobei Leitkultur besonders in der BRD ein schwieriger, vielleicht sogar problematischer Begriff ist, da dieses Konzept der Idee einer funktionierenden Multikulturellengesellschaft nur schwer gerecht werden kann.