Die Stiftungsgabe

Opusculum 23 | 01.02.2008 | Beobachtung eines Reziprozitätskreislaufs

1. Motivation

Aktuell scheint das Stiftungswesen sowohl in Deutschland als auch in den USA einen starken Wachstumsschub in Form von Stiftungsgründungen und/oder Zuwendung von Kapital zu erleben. Neben dem Rückzug des Staates aus sozialen Versorgungsbereichen, einem steigenden Vertrauen in Nicht-Regierungsorganisationen zur Aufrechterhaltung eben dieser Versorgung, lassen sich auch die demographische Entwicklung und die Vererbung zahlreicher Vermögen der Gründergeneration als nur einige Indizien für ein weiter wachsendes Stiftungswesen anführen.1 Bis heute sind Stiftungen nicht nur besondere Rechtsformen, sondern gelten auch als moralische Instanzen. „Warum ist es überhaupt wichtig, mehr über Stiftungen zu wissen? Stiftungen – und Stifter – tun Gutes! Warum muss dann noch hinterfragt werden?“2 Weder wissenschaftliche Forschung noch eine öffentliche Auseinandersetzung über die Legitimität und tatsächliche Nützlichkeit von Stiftungen haben bisher ein Niveau erreicht, „that would permit researchers, policy makers and the general public to draw on valid and near complete information.“3 Die wachsende globale Wahrnehmung der Bedeutung von Stiftungen4 könnte eine bis jetzt noch nicht ausreichend geführte Debatte zumindest nachhaltig anstoßen.5 Die folgenden Ausführungen versuchen einen Impuls für eine Theorie der Stiftung zu geben. Der Ausgangspunkt der Betrachtung der gesellschaftlichen Beobachtung von Stiftungen und deren Gaben könnte hilfreich sein, um von hier aus Implikationen für eine transparente(re) und effektive(re) Stiftungsarbeit abzuleiten. Joel L. Fleishman analysiert hierzu treffend:

“The public knows very little about foundations – how they work, what they do, their role in society. As a result, whenever foundations come under attack by politicians, public officials, or the press for one or another misdeep or mishap, there is no existing reservoir of public support upon which they can draw. The only way for foundations to protect the freedom […] which they need if they are to serve society to their fullest potential – is to open […] to the world so that all can see what they are doing and how they are doing it.“6

Dass Stiftungen durch ihr Vermögen und den vom Stifter festgelegten gemeinnützigen Stiftungszweck nachhaltig social benefit produzieren, soll hier nicht in Frage gestellt werden. Es sollen eher einige Anforderungen an Stiftungen erarbeitet werden, die, ausgehend von der Einbettung in den Reziprozitätskreislauf der Gabe im Kontext von Stiftung-Empfänger- Gesellschaft, zu beobachten sind.

Hierfür wird versucht, die Theorie der Gabe von Marcel Mauss und in Abgrenzung dazu, Jacques Derridas Anökonomie der Gabe, sowie Michel Serres’ Theorie des Dritten im Rahmen des Stiftungskontexts zu verorten. Grundsätzlich ist auf die trotz allem geringe gesellschaftliche Beobachtung von Stiftungen ebenso hinzuweisen, wie auf die Zurückhaltung von Stiftungen und ihrer Verwaltungen bezüglich der Veröffentlichung von Leistungsberichten oder sonstigen Statistiken.7

1 Vgl. Schwertmann, P. (2004) S. 24 oder: Adloff,F. (et al.) (2007): S. 172, sowie: Fleishman, J. L. (2007): S. 2 ff.
2 Lang, N./Schnieper, P./Rüegg-Stürm, J. (2007): S. 80
3 Adloff,F. (et al.) (2007): S. 172
4 Vgl. Fleishman, J.L. (2007): S. 275 f.
Als Warren Buffet im Sommer 2006 verkündete, er werde ca. 85% seines Vermögens (ca. 32 Milliarden Dollar) der Bill & Melinda Gates Foundation überschreiben, war dies vielleicht der erste Höhepunkt für ein (globales) öffentliches Interesse an der tatsächlichen Arbeit und Wirkung bzw. Effektivität von gemeinnützigen Stiftungen. Siehe: The new powers in giving. In: The Economist, July 1st 2006, Volume 380, Nr. 8484, S. 65-67
5 In den USA gibt es seit je her eine intensive Auseinandersetzung über Philanthropcapitalism im Allgemeinen, Effektivität und Eingrenzungsmöglichkeiten der (Kapital) Macht von Stiftungen im Speziellen. Vgl. auch: Strachwitz, R.G. (2006): S. 148 f.
6 Fleishman, J.L. (2007), xiii
7 Vgl. Priddat, P.B. (2006): S. 118