Neuerscheinung: Ostdeutschland – Zivilgesellschaft unter Druck

Observatorium 79 I März 2025 I Stefan Vogt |

Die AfD und andere rechtsextreme Gruppierungen arbeiten tagtäglich daran, das demokratische Engagement von Personen, Vereinen oder Initiativen aus dem öffentlichen Raum in Ostdeutschland zu verdrängen. Mithilfe von Täuschungen, Diffamierungen und Agitationen sollen Ausgrenzung, Abschottung und Rassismus salonfähig gemacht und demokratische Akteur*innen dazu gebracht werden, das eigene Engagement einzustellen. Die Praxis zeigt schon jetzt „greifbare“ negative Folgen für die demokratische Zivilgesellschaft. In diesem Artikel zeigt Stefan Vogt auf, welchen konkreten Bedrohungen die Akteur*innen der demokratischen Zivilgesellschaft in Ostdeutschland vor Ort ausgesetzt sind und wie die lokale Zivilgesellschaft wirksam gestärkt werden kann.

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Ostdeutschland: Zivilgesellschaft unter Druck

von Stefan Vogt

Neubrandenburg: Vom Fahnenklau zum Flagge zeigen?

Die Stadt Neubrandenburg mit ihren 64.000 Einwohner*innen liegt sehr zentral in Mecklenburg-Vorpommern und hat eine Menge zu bieten: Die beeindruckend erhaltene Stadtmauer mit den vier mittelalterlichen Stadttoren und den einzig­artigen Wiekhäusern sind ein schöner Kontrast zu den ebenso bewundernswerten Bauten des „sozialistischen Klassizismus“. Doch womit die Stadt zwischen Backstein­gotik und Plattenbau seit Jahren stattdessen Aufsehen erregt, ist ein wiederkehrendes Schauspiel. Alljährlich wird in Neu­brandenburg am Bahnhof die Regen­bogen­flagge als Symbol für Vielfalt gehisst und ebenso alljährlich wird diese Fahne gestohlen und durch andere Fahnen, wie die des Deutschen Reichs oder der Hitlerjugend, ersetzt. Im Jahr 2024 gipfelte dieses Trauerspiel in einem Beschluss des Stadtrats, zukünftig das Hissen der Regenbogenfahne am Bahnhof ganz zu unterlassen, um Kriminalität vorzubeugen. Der Ober­bürger­meister erklärte daraufhin seinen Rücktritt und begründet diesen damit, dass verbale und moralische Grenzen in der Kommunal­politik verschwänden.

Dieses Beispiel steht exemplarisch für Diskursverschiebungen, die wir an vielen Stellen in Ostdeutschland beobachten können. Die Regenbogenfahne als Chiffre für Weltoffenheit, Vielfalt, die Anerkennung verschiedener Lebensformen oder (wenn man so will) als politisches Statement für Progression wird aus dem öffentlichen Raum verdrängt, vermeintlich um „Frieden und Ordnung“ herzustellen. Die AfD und andere rechtsextreme Gruppierungen nehmen eine zentrale Rolle in den politischen Prozessen ein, die zu solchen oder ähnlichen Ent­scheidungen führen.

Diese Parteien und Gruppen versuchen gezielt, Ausgrenzung, Abschottung und Rassismus salonfähig zu machen – mit den Mitteln von Täuschung, Diffamierung und Agitation. Sie wollen demokratische Akteur*innen einschüchtern und sie dazu bringen, das eigene Engagement einzustellen. Die Praxis zeigt schon jetzt: Das hat „greifbare“ negative Folgen für die demo­kratische Zivilgesellschaft.

Dieser Beitrag versucht daher den Fragen nachzugehen, wie die ostdeutsche Zivilgesellschaft verfasst ist, welchen konkreten Bedrohungen die Akteur*innen vor Ort ausgesetzt sind und vor allem: wie sich die lokale Zivilgesellschaft wirksam stärken lässt und welche Rolle Stiftungen dabei spielen können.

Die Zivilgesellschaft in Ostdeutschland

1989 erlebte die Zivilgesellschaft in Ostdeutschland eine frühe Sternstunde. Wirft man heute einen Blick auf die Verfasstheit der Zivilgesellschaft in Ostdeutschland, werden schnell Unterschiede zu Westdeutschland deutlich. Abwanderung und Abwicklung der ostdeutschen Wirtschaft nach der Wieder­vereinigung sorgen bis heute, insbesondere in den ländlichen Räumen, für klamme Kassen. Pflichtaufgaben der Kommunen müssen vorrangig behandelt werden, während Ausgaben für Jugend, Wohlfahrtspflege und zivilgesellschaftliches Engagement häufig einem „Spardiktat“ unterworfen sind. Gleichzeitig hängt die Finanzierung dieser Strukturen in einem deutlich höheren Maße von öffentlichen Mitteln als in West­deutschland ab. Denn aufgrund der geringeren Wirtschaftskraft in Ost­deutsch­land kann deutlich weniger privates Kapital für die Zivilgesellschaft mobilisiert werden. Eine beispielhafte Kennzahl dafür ist, dass von über 25.000 Stiftungen in Deutschland nur etwa sieben Prozent in Ostdeutschland ansässig sind. Und dennoch versuchen verschiedene engagierte Akteur*innen, die Fehlstellen staatlichen Handelns unter diesen Rahmenbedingungen mit freiwilligem Engagement und Ehrenamt zu schließen. Die dafür nötigen Strukturen mussten nach der Wiedervereinigung neu geschaffen werden, da es keine langen und verwurzelten Traditionslinien von Orga­nisationen, die für Engagement stehen, gibt. Wenngleich sich der Anteil der engagierten Menschen kaum von dem in Westdeutschland unterscheidet, sind deren institutionelle Einbindung und strukturellen Rahmen­bedingungen deutlich fragiler. Hinzu kommt, dass die Lage für kleinere zivil­gesell­schaftliche Initiativen vor Ort oft mühselig und von starker Vereinzelung geprägt ist. Häufig fehlt es an Austausch und Vernetzung untereinander und damit auch an gegen­seitiger Bestärkung.

Die Zivilgesellschaft und der politische Druck

Alle kürzlich zurückliegenden Wahlen in Ostdeutschland zeigen: Rechte und rechts­extreme Parteien haben deutlich an Zuspruch gewonnen. In den Landtagen ist die AfD oft die zweitstärkste, in Thüringen sogar die stärkste Kraft. In vielen Kommunal­parlamenten dominieren die AfD und Bürgerbündnisse, die in vielen Fällen nicht zweifelsfrei auf demokratischen Grundfesten stehen, die politische Auseinan­dersetzung. Im Zuge dessen entscheiden diese Parteien auch mehr und mehr über die Vergabe von Haushalts­mitteln.

Rechtsextreme Parteien blockieren bewusst die Förderung demokratischer Zivil­gesellschaft, um – so kann man unterstellen – unliebsame Träger auszu­schalten. Ein markanter Fall findet sich in der sächsischen Stadt Pirna. Dort beschloss der Stadtrat im April 2020, dem Verein „Aktion Zivilcourage“ sämtliche kommunalen Mittel zu streichen. Der Verein engagiert sich seit über 20 Jahren in der Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit und setzt sich aktiv gegen Rechtsextremismus ein. Die Entscheidung wurde mit 15 von 26 Stimmen getroffen, wobei die AfD und ihre Verbündeten die Mehrheit stellten. Obwohl die gestrichene Fördersumme in diesem Fall keine existenzielle Bedrohung für den Verein darstellte, wurde die Entscheidung als symbolischer Angriff auf die zivilgesell­schaftliche Arbeit gewertet.

Im Oktober 2024 wurde auf Antrag der AfD und mit Zustimmung weiterer Stadtrats­mitglieder u. a. ein Projekt des Vereins „Buntes Meißen” von der Vorschlagsliste für die Förderung durch den Europäischen Sozialfonds gestrichen. Damit rutschte ein Projekt des Vereins in der Prioritätenliste nach unten und fällt nun für die kommenden drei Jahre aus der Förderung.[1]

In Weißwasser beantragte die AfD im Dezember 2024, rückwirkend 50 Prozent der Zuschüsse für Jugendhilfe, Kulturarbeit und Wohlfahrts­pflege für das Jahr 2024 zu kürzen – mit Verweis auf notwendige Einsparungen. Nach einer Debatte einigte man sich auf Kürzungen von 30 Prozent und der Antrag bekam, auch mit Stimmen der Mitteparteien, eine Mehrheit.[2]

Ein aktuelles Beispiel aus dem Landkreis Bautzen zeigt, welche Auswirkungen die Kürzungen kommunaler Mittel auf die Zivilgesellschaft haben können: Das Land­ratsamt hat im Januar 2025 verkündet, die bereits im Vorjahr beim Bund beantragte Förderung des Projektes „Partnerschaften für Demokratie“ zurückzuziehen und das Projekt damit beendet. Für die nun abrupt getroffene Entscheidung gegen das Projekt werden im Landratsamt derzeit fehlende Finanzen in Höhe von jährlich 50.000 EUR angeführt, die als Eigenleistung einzubringen wären. Dem Landkreis Bautzen stünden durch die Partnerschaft für Demokratie allerdings über einen Zeitraum von acht Jahren jährlich 200.000 EUR aus Bundes- und Landesmitteln zur Verfügung, die für Demokratie- und Jugendarbeit genutzt werden könnten. Dieses Beispiel zeigt, dass Demokratie auch eine Frage der politischen Prioritätensetzung sein muss, um Strukturen vor Ort bewusst zu sichern.

Neben der Kürzung von Haushaltsmitteln versuchen rechtsextreme Akteur*innen wie die AfD aber auch, auf andere Weise die Arbeit der Zivilgesellschaft zu sabotieren. Zur favorisierten Strategie, die Arbeit unliebsamer Träger zu erschweren, gehören unter anderem Kleine Anfragen an die Verwaltung oder Prüfungsanfragen an die Landesrech­nungs­höfe.

Hierbei soll vermeintlich geprüft werden, ob die durch die öffentliche Hand bereit­gestellten Mittel im gemeinnützigen Sinne verwendet wurden. Eigentlich wird jedoch die Legitimität der Jugend- oder Demokratie­arbeit grundlegend in Frage gestellt. Infolgedessen sind Träger oft damit beschäftigt, Stellungnahmen zu verfassen und sich für ihre Leistungen zu rechtfertigen. So musste der Verein „Miteinander e.V.“, der sich in Sachsen-Anhalt gegen Rechtsextremis­mus engagiert, im Zuge einer Großen Anfrage 236 Detailfragen zu seiner Arbeit be­ant­worten. Sowohl die Finanzierung als auch die Aktivitäten des Vereins wurden hinterfragt.[3]

In Sachsen richtete die AfD im Jahr 2024 mindestens 36 Kleine Anfragen an die Landesregierung, die sich auf die Finanzierung von Kultureinrichtungen und gemeinnützigen Vereinen bezogen.[4] Das politische Ziel ist klar: Die Arbeit der Vereine soll eingeschränkt und delegitimiert werden. Im Kern der Anfragen steht oft die Mahnung an ein vermeintliches „Neutralitätsgebot“, an das Träger gebunden wären, wenn sie öffentliche Mittel empfangen. Anders formuliert: Öffentlich geförderte Vereine dürfen sich nicht gegen die AfD stellen. In Sachsen war dies auch Gegenstand in einem Sonderbericht des Landesrechnungshofes[5]. Hier kam der Rechnungshof zu dem Schluss, dass sich auch geförderte Institutionen der Zivilgesellschaft parteipolitisch neutral ver­halten müssen, was, bei Nichteinhaltung, eine mögliche Rückzahlungsforderung an die Vereine zur Folge hat.

Gerade vor dem Hintergrund der beschriebe­nen Angriffe und in einer Situation, in der die Zivilgesellschaft im hohen Maße von öffent­lichen Zuwendungen zur Aufrechterhal­tung ihrer Arbeit abhängig ist, braucht es den Rückhalt der politischen Mitte. Gleichzeitig fällt es manchen Parteien, allen voran der CDU, trotz der Brandmauerdiskussion schwer, sich gegenüber rechtsextremen Parteien deutlich politisch abzugrenzen. Oft wird sich auch auf kommunaler Ebene der Rhetorik rechtsextremer Parteien bedient und in Sachthemen ist ein gemeinsames Abstimmen mit der AfD längst Realität.

Allein auf weiter Flur: Was Engagierten vor Ort begegnet

Neben den parlamentarischen Strategien nutzen Akteure der Neuen Rechten auch den vorpolitischen Raum, um die demokratische Zivilgesellschaft zu schwächen und zu demoralisieren. Dabei setzen die Akteur*innen der extremen Rechte vor allem auf gezielte Diffamierung und Feindbildkon­struktionen und betiteln die demokratischen Akteur*innen als „linksextrem“, „Staats­feinde“ oder „Volksverrä­ter“. Begriffe wie „linksgrün-versifft“ oder „Klima-Terroristen“ werden gezielt eingesetzt, um eine negative Wahrnehmung zu erzeugen​ und im Zweifel auch Gewalt zu legitimieren, um sich gegen diese „Feinde“ zur Wehr zu setzen.

Das Institut für Demokratie und Zivil­gesellschaft (IDZ) in Jena berichtet in den „Thüringer Zuständen“ beispielsweise von einem SPD-Politiker, der in Waltershausen gezielt Opfer eines Brandanschlags wurde. Mutmaßlich aufgrund seines Engagements gegen Rechtsextremismus​. Oder von einem Journalisten der Ostthüringer Zeitung, der bei einer AfD-Veranstaltung in Plothen zunächst körperlich angegriffen wurde und später Schrauben in allen vier Reifen seines Autos​ vorfand.[6]

Gewalt gegen Personen ist Teil einer gezielten Strategie der extremen Rechten, die sich davon erhofft, einer rechten, autoritären gesellschaftlichen Entwicklung Vorschub zu leisten. Ziel ist die Erosion des gesell­schaftlichen Rückhalts und der politischen Kultur, die über Einschüchterung dazu führt, dass sich Akteure „ganz freiwillig“ aus ihrem Engagement zurückziehen. Ein prominentes Beispiel ist Dirk Neubauer. Der Landrat von Mittelsachsen verkündete im Juli 2024 seinen Rücktritt, weil er monatelang „mit einer diffusen Bedrohungslage aus der rechten Ecke, hauptsächlich ‚Freie Sachsen‘ und Ähnliche“ konfrontiert wurde.[7] Für ihn war die körperliche Bedrohung so groß, dass er sogar seinen Wohnsitz aufgab. Auch die Initiative „Sonneberg gegen Nazis“ hat nach der Wahl des ersten AfD-Landrats in Deutschland die eigenen Aktivitäten beendet. Die Aktiven begründen die Entscheidung damit, dass „es zu gefährlich geworden [sei]. Hass­kommentare, persönliche Anfeindungen und sogar Morddrohungen sind mittlerweile an der Tagesordnung.“[8]

Das Gefühl, sich allein gegen eine Mehrheit von rechtsextremen Demokratiefeinden zu stemmen, zermürbt viele der Akteur*innen über die Zeit. Brechen jedoch diejenigen weg, die standhalten, erfahren rechtsextreme Narrative noch weniger Gegenwind und die Diskursverschiebung schreitet noch schneller voran. Gleichzeitig lässt diese Lücke Platz, um von einer „Gegenzivilgesellschaft“ gefüllt zu werden. Rechtsextreme Strukturen etablieren sich klandestin und mit „Würstchen und Hüpfburg“ betont unpolitisch. Sie schaffen aber Angebote, die in einem entleerten Raum anschlussfähig an die Mitte der Gesellschaft sind. Eines dieser Beispiele ist das „Flieder Volkshaus“ in Eisenach. Es bietet Sommer­feste und ähnliche Veranstaltungen für die ganze Bevölkerung und ist gleichzeitig im Besitz eines bekannten Neonazis, der ebendort Rechtsrock-Konzerte veranstaltet. Die Strategie ist einfach und offensichtlich: Das Haus öffnen für „Otto Normal“ und damit auch zur Normalisierung von Rechtsextremis­mus beitragen.

Was Stiftung tun können

Stiftungen sind Teil der Zivilgesellschaft. Oft sind sie finanziell unabhängig und können mit eigenen Mitteln Vorhaben verwirklichen. Diese Unabhängigkeit können sie nutzen, um vor Ort auf vielfältige Weise Handlungs­spielräume zu ermöglichen.

Um das Gefühl der Vereinzelung zu reduzieren, können Stiftungen zum Beispiel „Solidaritätspatenschaften“ für Demokratie-initiati­ven in Ostdeutschland übernehmen. Sie können sich bei Anfeindungen mit ihrer Reputation hinter den Träger stellen, bundesweit auf den jeweiligen Fall aufmerksam machen und im Zweifel auch juristische Beratung organisieren. Im Falle des „Neutralitätsgebotes“ hat die Cellex Stiftung gemeinsam mit der Freudenberg Stiftung, der Schöpflin Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung ein Rechtsgutachten[9] beauftragt, das den Einlassungen des Sächsischen Rech­nungshofes widersprochen hat. Es stellt heraus, dass Demokratiearbeit und politische Bildung die Sicherung der Verfassungswerte zum Ziel haben. Das Prinzip der streitbaren Demokratie verpflichtet den Staat zu Demokratiearbeit und politischer Bildung, die sich von extremistischen Bestrebungen distanziert. Staatlich geförderte zivil­gesellschaftliche Vereinigungen sind als eigenständig zu sehen und nicht im gleichen Maße an ein „Neutralitätsgebot“ gebunden wie der Staat selbst.  Eine sachliche Auseinandersetzung mit verfassungswidrigen Positionen ist immer zulässig – auch wenn solche Positionen von politischen Parteien vertreten werden. Dies gibt den Akteur*innen vor Ort ein wirksames Mittel an die Hand, um für sich selbst argumentativ einzutreten und stärkt ihre Handlungssicherheit im Feld. Die Körber Stiftung untersucht derzeit, wie eine Kommune aktiv gegen demokratiefeindliche Unterwanderung vorgehen kann, wie im politischen Raum Resilienz aufgebaut und Kommunalpolitiker*innen besser geschützt werden können.[10]

Eine weitere wichtige Möglichkeit für Stiftungen liegt im Wissenstransfer und der Investition in Capacity Building der Initiativen, wie beispielsweise durch Workshop-Angebote. Diese können bei der Öffentlichkeitsarbeit und dem Verfassen von Statements genauso unterstützen, wie bei der Professionalisierung vorhandener Strukturen oder Prozessen. Auch könnten Beratungs-angebote zu Förderungen ausgebaut und Antragsverfahren vereinfacht werden, um die Ressourcen von kleinen zivilgesellschaftli­chen Organisationen zu schonen.

Am naheliegendsten wäre es, wenn sich Stiftungen langfristig durch institutionelle Förderung in Ostdeutschland einbrächten. Die Ressourcen für stabile zivilgesellschaftli­che Strukturen sind kaum vorhanden oder werden aktiv bedroht. Daher können langfristige, verlässliche und verstärkt institutionelle Kooperations- und Förder­partnerschaften zwischen Stiftungen und demokratischen Initiativen einen wichtigen Beitrag vor Ort leisten. Doch müssen sich Stiftungen einem wichtigen Dilemma bewusstwerden: Die Förderungen können und sollten nicht kompensatorisch für ausgefallene Mittel der öffentlichen Hand wirken. Erstens können Stiftungen niemals vollumfänglich jene Mittel ersetzen, die der Staat zur Verfügung hat, und zweitens darf nicht das Signal gesendet werden, dass staatliche Haushalte darüber konsolidiert werden können, dass private Mittel „einspringen“. Es braucht eine klare Fokussierung des eigenen Wirkens und zwingend begleitende Kommunikation in Richtung Politik und Verwaltung, was genau die Stiftungsmittel leisten und was nicht.

Die Gemeinschaftsinitiative „Zukunftswege Ost“[11] ist ein Vehikel für Stiftungen, um gemeinsam in Ostdeutschland wirksam zu werden. Sie bündelt Geld von aktuell 15 Stiftungen in einem Gemeinschaftsfonds aus zwei Säulen. Mit der ersten Säule werden in ganz Ostdeutschland Mikroprojekte mit bis zu 5.000 EUR gefördert. Niedrigschwellig und schnell können auch Initiativen ohne Rechtsform Mittel für ihre Vorhaben beantragen. Eine Jury, die sich mehrheitlich aus Vertreter*innen der ostdeutschen Zivilgesellschaft zusammensetzt, entscheidet über die Mittelvergabe. Mit der zweiten Säule werden in zunächst drei Fokusregionen langfristig in die Struktur von zivil­gesellschaftlichen Netzwerken investiert werden. Mit bis zu 100.000 EUR jährlich soll ermöglicht werden, dass Spielräume für Akteur*innen geschaffen werden, die darüber weitere Mittel zur Absicherung ihrer Aktivitäten akquirieren können. Die Nachfrage an der Initiative ist groß und auch für Stiftungen gilt: Im Verbund handelt man weniger allein. Die Initiator*innen laden weiterhin Stiftungen ein, sich an der Initiative zu beteiligen.

Die oben geschilderten Gewaltakte sind keine Einzelfälle. Die menschenfeindliche Gefahr, die von rechtsextremen Gruppierungen ausgeht und die Bedrohung der Zivil­gesellschaft sind real. Und auch die aktuellen Ergebnisse der Bundestagswahl zeigen deutlich, wie weit die Normalisierung rechtsextremer Positionen bereits in der Lebensrealität in Ostdeutschland verankert ist. Die nächsten Jahre werden für die Demokratieinitiativen entscheidend sein. Der politische Rückhalt wird weiter abnehmen. Der Druck wird steigen. Umso bedeutender ist es, dass Stiftungen zukünftig mit ihrem Engagement einen stützenden und stärken­den Beitrag für die wichtige Arbeit der demokratischen Zivilgesellschaft leisten.

In Neubrandenburg wurde der Stadtratsbe­schluss in der folgenden Sitzung wieder aufgehoben. Weil die Entscheidung bundes­weiten Protest ausgelöst hat und der Druck der Zivilgesellschaft zu hoch wurde. Und hierin liegt wohl auch der Schlüssel: Wenn es gelingt, dass sich die Zivilgesellschaft solidarisiert und im Sinne einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft die Stimme erhebt, gelingt es vielleicht auch andernorts „die Fahne hochzuhalten“.

Stefan Vogt ist Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung in Weinheim, die sich mit einer Vielzahl von Projekten in Ostdeutschland für die Stärkung von demokratischen Strukturen einsetzt.

[1] Litschko, K. (2025, 26. Januar). Brandmauer in sächsischen Kommunen. Die Tageszeitung https://taz.de/Brandmauer-in-saechsischen-Kommunen/!6064675/ und Buntes Meißen. (2024, 4. Oktober). Mit Unterstützung von FDP, Freie Bürger und Teilen der CDU: AfD verhindert Fördergelder. Buntes Meißen. https://www.buntes-meissen.de/index.php/2024/10/04/mit-unterstuetzung-von-fdp-freiebuerger-und-teilen-der-cdu-afd-verhindert-foerdergelder/

[2] Mobile Jugendarbeit und Soziokultur e.V. (2024, 5. Dezember). Stellungnahme zur Entscheidung des Stadtrats Weißwasser über die Kürzung von Fördermitteln. Station Weißwasser e.V. Stellungnahme-zur-Kuerzung-von-Foerdermitteln.pdf

[3] Rosbach, J. (2018, 9. Februar). Die parlamentarische Anfrage als Kampfmittel. Deutschlandfunk Kultur. AfD contra Demokratie-Vereine – Die parlamentarische Anfrage als Kampfmittel

[4] Neflin, J. (2024, 13. September). Nach der Wahl: Warum viele Kultureinrichtungen mit Sorge in die Zukunft blicken. MDR. Nach der Wahl: Warum viele Kultureinrichtungen mit Sorge in die Zukunft blicken | MDR.DE

[5] Sächsischer Rechnungshof (2024). Richtlinie Integrative Maßnahmen (Förderbereich Teil 1). Sächsischer Rechnungshof. SonderberichtIntegrativeMassnahmen.pdf

[6] ezra, MOBIT e.V., KomRex, IDZ Jena (2024). Thüringer Zustände. Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. IDZ-ThuerZustaende24-Broschur-170x240mm-D-gesamt-web-Doppelseiten.pdf

[7] Dpa (2024. 24. Juli). Landrat tritt wegen Bedrohungen zurück. ZDF heute. Mittelsachsen: Landrat Neubauer tritt wegen Drohungen zurück – ZDFheute

[8] Litschko, K. (2024. 24. Juni). Zivilgesellschaft unter Druck. Die Tageszeitung. Zivilgesellschaft unter Druck: Riskante Demokratiearbeit | taz.de

[9] Hufen, F. (2024). Zur Bedeutung des sogenannten Neutralitätsgebots für zivilgesellschaftliche Vereine der Demokratie- und Jugendarbeit. Cellex Stiftung. Hufen Rechtsgutachten

[10] Ritgen, K. (2024, August). Wehrhafte(re) Kommunen. Politische Resilienz in herausfordernden Zeiten. Körber Stiftung. gutachten_resilienz_langfassung-1.pdf

[11] Zukunftswege Ost. Start – Zukunftswege Ost

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